NRW: Atommüll:Brennelemente aus Forschungsreaktor vermisst

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Der Landesregierung von NRW sind mehr als 2000 Brennelementekugeln aus dem Forschungszentrum Jülich abhandengekommen. Die Behörden schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu. Aus dem Atommüll ließen sich mehrere schmutzige Bomben bauen.

Atompanne in Nordrhein-Westfalen: Die Landesregierung vermisst 2285 Brennelementkugeln aus dem Forschungszentrum Jülich bei Aachen. Das geht aus Antworten auf eine "Kleine Anfrage" der Grünen hervor, wie das Nachrichtenmagazin Der Spiegel am Wochenende vorab berichtete.

Die Landesregierung von NRW vermisst mehr als 2000 Brennelementekugeln. Im Bild: Castor-Behälter mit Müll aus dem stillgelegten Atomversuchsreaktor Jülich. (Foto: dpa)

Die Behörden in Bund und Land schoben sich im Streit um den Verbleib des Atommülls gegenseitig die Verantwortung zu. NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) geht laut Spiegel davon aus, dass Brennelementkugeln "allem Anschein nach" im niedersächsischen Forschungsbergwerk Asse gelandet seien. Genau lasse sich das heute nicht mehr herausfinden, weil die in der Asse "eingelagerten Mengen nicht bekannt sind". In der Asse durften allerdings nur schwach und mittelradioaktive Abfälle der Republik gelagert werden - keine Brennelemente.

Die nordrhein-westfälische Landesregierung zeigt sich beunruhigt durch das Verschwinden der Brennelementekugeln. "Der Vorgang ist absolut alarmierend", sagte Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) am Sonntag in Düsseldorf. Die Bundesregierung müsse schnellstens lückenlos aufklären. Die Brennelementekugeln seien kein Kinderspielzeug. "Hier geht es möglicherweise um hochradioaktiv belasteten Atommüll, der Umwelt und Bevölkerung schädigen kann", sagte Remmel. Selbst wenn die Kugeln im Endlager Asse sein sollten, gehörten sie dort gar nicht hin.

Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) teilte mit, man sei seit 2009 für die Asse verantwortlich. "Aus den Unterlagen des alten Asse-Betreibers Helmholtzzentrum München geht nicht hervor, dass die jetzt vermissten knapp 2.300 radioaktiven Brennelementekugeln aus dem stillgelegten Versuchsreaktor Jülich in dem Bergwerk Asse lagern." Es sei "nicht nachvollziehbar, dass der Betreiber der Jülicher Anlage und die Landesaufsicht nicht Auskunft geben können, wo die abgebrannten Kernbrennstoffe verblieben sind".

Ein Sprecher des NRW-Energieministeriums sagte, nach den in Düsseldorf vorliegenden Informationen müssten die Kugeln in die Asse gegangen sein. Einen genauen Überblick müssten aber das Bundesumweltministerium und das Bundesamt haben. Das Forschungszentrum Jülich gab an, dass im eigenen Zwischenlager derzeit in 152 Castorbehältern 288.161 intakte abgebrannte Brennelementkugeln plus 124 Absorberkugeln aus dem benachbarten Hochtemperaturreaktor lagern. Zudem seien in der Zeit der Entwicklung und des Betriebs des Hochtemperaturreaktors "zahlreiche abgebrannte Brennelementkugeln zu unterschiedlichen Forschungszwecken untersucht" worden.

Stoff genug für mehrere schmutzige Bomben

Bei Politikern sorgte der Fall für Empörung. "Ein erschreckendes Beispiel, wie lax mit radioaktiven Stoffen hier umgegangen wurde", kritisierte Hans Christian Markert, Atom-Experte der NRW-Grünen. Der Landtagsabgeordnete hat ausgerechnet, dass in den verschwundenen Kugeln etwa 2,2 Kilogramm Uran 235 und 23 Kilogramm Thorium 232 stecken. Allein das wäre Stoff genug für mehrere schmutzige Bomben. Falls die Brennelemente benutzt worden sind, käme noch hochgefährliches Plutonium dazu.

Der Dürener Grünen-Bundestagsabgeordnete Oliver Krischer forderte die Bundesregierung als Mehrheitseigner des Forschungszentrums auf, den Fall aufzuklären. "Es wird verschleiert und vertuscht, wo es nur geht, anstatt sich den Folgen der hochgefährlichen Atomkraft zu stellen", sagte der Energieexperte.

Der Versuchsreaktor in Jülich lief von 1966 bis 1988 und wird seitdem zurückgebaut. Er galt als Prototyp für den 1989 ebenfalls von der damaligen SPD-Landesregierung stillgelegten Thorium-Hochtemperatur-Reaktor (THTR) in Hamm-Uentrop.

Die THTR-Technologie unterscheidet sich deutlich von der Funktionsweise der in Westeuropa hauptsächlich verbreiteten Leichtwasserreaktoren. In den THTR sind die von einem Graphitmantel umhüllten, tennisballgroßen Brennelementekugeln übereinander aufgeschichtet. In einem einzigen Brennelement befinden sich wiederum Tausende winzige Kügelchen, die aus Plutonium, Americium und Curium bestehen. Gekühlt werden diese Reaktoren nicht mit Wasser, sondern mit Edelgasen.

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