NPD in Sachsen-Anhalt:Bürgerlich Braun

Am Sonntag will die NPD in den dritten deutschen Landtag einziehen: Mit einer Materialschlacht und bürgerlicher Rhetorik versuchen die Rechtsextremen, Nichtwähler zu mobilisieren. Ein Besuch in Halle an der Saale.

Lena Jakat und Maria Fiedler

Überlebensgroß grinst Matthias Heyder von der Seitenwand des weißen Lasters, sehr verbindlich. Hinter dem Lenkrad sitzt, nicht besonders groß, Gustav Haenschke. Der Mann in dem hellblauen Hemd mit den Schulterklappen hat früher, in der DDR, als Busfahrer gearbeitet, heute fährt er eines von vier Wahlkampfmobilen der NPD. Auf dem Beifahrersitz, hager und im dunkelgrünen Anzug, ist Detlef Appel für die Parolen zuständig. Die kommen vom Band und werden durch eine Lautsprecheranlage auf dem Dach in die Straßen geblasen.

NPD

Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt kann der NPD eine geringe Wahlbeteiligung in die Hände spielen.

(Foto: ddp)

"Wollen Sie, dass die Grenzen dichtgemacht werden, damit nicht noch mehr ausländische Lohndrücker ins Land kommen", hallt es durch die offenen Fenster zurück in die Fahrerkabine. "Dann wählen Sie am 20. März die NPD." Rassistische Parolen, mal besser, mal schlechter in demokratische Rhetorik verkleidet. So will die NPD in Sachsen-Anhalt in den Landtag einziehen. Am Sonntag wird gewählt und viele Haenschkes und Appels verbreiten die braune Botschaft. Jeden Tag steuern sie den weißen Laster durch das Land, von neun Uhr bis es dunkel wird. Haenschke, der Rentner, und Appel, der Hartz-IV-Empfänger haben viel Zeit für den Wahlkampf.

Die Verzweiflung an der Politik hat die beiden Männer zu den rechtsextremen Nationaldemokraten gebracht. Haenschke hat bis 2005 als Fahrer für die sachsen-anhaltinische Staatskanzlei gearbeitet und unter anderem auch den damaligen SPD-Ministerpräsidenten Reinhard Hoeppner (1994-2002) chauffiert. Dann wechselte er von den Sozialdemokraten zur NPD, verlor deswegen seinen Job, wie er erzählt. "Die NPD hat einfach das beste Programm, das Soziale und alles", sagt der 62-jährige. "Uns wurden blühende Landschaften versprochen, und jetzt sehen wir überall nur Unkraut." Das Dauerlächeln unter dem Schnauzer kann seine Bitterkeit nicht überdecken. Er fühlt sich von der Sozialdemokratie betrogen, wie von den anderen Parteien auch.

Sein Beifahrer Appel arbeitete in der DDR im Innenministerium, kam nach der Wende zur NPD. "Die anderen Parteien sind unehrlich", sagt er. "Wir sagen, was unsere Bürger denken." Dazu gehört auch rassistisches Gedankengut, verpackt in die Satzbausteine der Partei: "Wir sind gegen die Unterwanderung unsere Sozialsystems durch Ausländer", sagt der 56-Jährige. In Sachsen-Anhalt kommen 1,9 Prozent der Bevölkerung aus dem Ausland - weniger als überall sonst in der Bundesrepublik. "Man muss den Anfängen wehren", sagt Haenschke.

Solche Phrasen kennt Ilse Junkermann zur Genüge. Seit 2009 Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, vertritt die 53-Jährige in gesellschaftlichen und politischen Debatten klare Positionen. Kaum im Amt, forderte sie zum Beispiel eine Aussöhnung mit dem DDR-Regime. Regelmäßig äußert sie sich auch gegen die NPD, den Wahlkampf der Rechtsextremen verfolgt sie genau. "Diese Partei tut so, als wären die Lösungen für komplexe gesellschaftliche Probleme ganz einfach", sagt Junkermann.

Dabei setzt die NPD auf Seriosität: Spitzenkandidat Heyder trägt Krawatte, die Partei pocht auf ihren demokratischen Anspruch, präsentiert sich als Opfer der großen Volksparteien. "Die NPD gibt sich aktuell betont bieder. Das Bild von der gewaltbereiten Chaoten-Truppe in Springerstiefeln soll offenbar bewusst vermieden werden", sagt Junkermann. Der Theologin bereitet es Sorge, dass auf kommunaler Ebene die Sympathien für die NPD teilweise bis ins bürgerliche Lager hineinreichen. "Scheinbar gibt es auch in der Mittelschicht zunehmend Menschen, die ihre Hoffnungen auf die NPD projizieren, weil sie von den anderen Parteien nichts mehr erwarten", sagt sie.

So wie Haenschke, der das Wahlkampf-Mobil durch Halle-Neustadt lenkt. Renovierte Wohnblocks mit buntgestrichenen Betonbalkons wechseln sich ab mit leerstehenden Hochhäusern, taumelnden Ruinen. Ihre Mauern werfen die Forderungen der NPD zurück: "Müttergehalt" für deutsche Frauen, sofortige Ausweisung von Wirtschaftsflüchtlingen aber auch kostenlose Mittagessen für alle Kinder, neue Arbeitsplätze für Sachsen-Anhalt. Die wirtschaftliche Lage des Landes ist desolat: Nach Berlin und Mecklenburg-Vorpommern ist Sachsen-Anhalt das Bundesland mit der höchsten Arbeitslosigkeit, die Löhne hier sind niedriger als anderswo. Tausende, gerade Junge und Qualifizierte, ziehen weg. Ein Problem, das die NPD den sogenannten etablierten Parteien in die Schuhe schiebt. Seine Partei stehe hingegen für Arbeit und Sicherheit, verspricht der Spitzenkandidat Matthias Heyder im Wahlwerbespot

Die Jugend im Visier

In Sachsen-Anhalt verfügt keine Partei - ob in der Mitte oder am rechten Rand - über eine gefestigte Stammwählerschaft, die Wähler sind volatil, entscheiden sich oft erst kurz vorher, wem sie ihre Stimme geben. "Die Regeln demokratischer Auseinandersetzung sind hier nicht verankert", sagt eine Sprecherin des Vereins Miteinander, der über Rechtsextremismus aufklärt, Opfer rassistischer Gewalt berät und Toleranz fördern will. Dazu kämen "Entwertungserfahrungen": "In der Wahrnehmung vieler geht die Politik an den persönlichen Problemen vorbei." Deswegen gehen viele erst gar nicht zur Wahl: 2006 sank die Wahlbeteiligung auf 44 Prozent, bundesdeutsches Rekordtief. Umfragen prognostizieren für dieses Jahr Ähnliches. Das könnte der NPD in die Hände spielen: Dann reichen schon wenige NPD-Wähler aus, um die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden.

Aber auch diese wenigen fünf Prozent wollen mobilisiert sein. Dafür hat die NPD eine wahre Materialschlacht gestartet. Haenschke setzt den Blinker, lenkt den Lkw auf eine breite Straße. An jedem einzelnen Laternenpfosten hängt ein Plakat der Rechtsradikalen. "Deutsche Kinder braucht das Land", schreien sie, "Kriminelle Ausländer raus" oder "Wehrt euch!". Wahlwerbung der demokratischen Parteien sucht man dazwischen vergebens. Kein seltener Anblick im sachsen-anhaltinischen Wahlkampf, gerade in ländlichen Gegenden. Die extreme Rechte scheint kein Problem zu haben, genügend Wahlkämpfer zu finden. "Es gibt genug Gebeutelte, die keine Arbeit haben", sagt Haenschke.

Appel ist eigentlich Stadtverordneter im brandenburgischen Oranienburg und sozusagen als Gastarbeiter in Halle unterwegs. Er war auch schon in Sachsen und in Thüringen, in der ganzen Bundesrepublik. "Die Solidarität ist groß", sagt er. Zwei Streifenpolizisten halten den Lkw an. Der Ton sei zu laut, sagt einer der Beamten. "Man versteht ja gar nichts mehr." Er fragt nach Papieren und plaudert indes mit Appel über gemeinsame Erfahrungen bei der Volkspolizei. "Warum sind Sie nicht mehr dabei?", fragt der Polizist. Die Antwort bleibt der Wahlkämpfer schuldig, bedankt sich aber für den Hinweis und winkt den Polizisten noch einmal. Dann rollen Appel und Haenschke weiter, die Parolen ihrer Partei brüllen vom Dach.

Ihre Kollegen gehen vor Schulen auf Stimmenfang: Dort verteilt die Partei nach eigenen Angaben eine neue Version der inzwischen berüchtigten Schulhof-CD und einen Comic. Der soll laut NPD-Webseite "deutsche Jugendliche gegen Multi-Kulti-Zustände" mobilisieren. Martin Krems, Pressesprecher des Innenministeriums von Sachsen-Anhalt, bezeichnet das Heft schlicht als "rassistischen Dreck". Jung- und Erstwähler werden von der extremen Rechten besonders umworben. "Jugendliche sind eine vielversprechende Zielgruppe, weil sie politisch noch nicht so stark festgelegt sind und sich oft bei den demokratischen Parteien nicht wiederfinden", sagt Pascal Begrich, der eine Studie zur NPD veröffentlicht hat. Die Partei setzt dafür auch auf neue Medien: "Die NPD bedient sich in Sachsen-Anhalt viel stärker des Webs 2.0 als andere Parteien das tun", sagt Begrich. Spitzenkandidat Heyder hat ein Facebook-Profil und seine Wahlwerbespots bei YouTube. Als Held eines Online-Spiels fegt er im Landtag Abgeordnete anderer Parteien hinaus - eine Absage an die parlamentarische Demokratie, findet Begrich.

Der Wissenschaftler hat über Monate hinweg das Auftreten der NPD in Kreistagen studiert und ahnt, was bei einem Einzug der Rechtsradikalen in den Magdeburger Landtag geschähe. "Die NPD würde das Parlament als Bühne für ihre Propaganda nutzen und wäre mit ihren Botschaften viel präsenter", sagt er. Das könne bewirken, dass sich die neonazistische Szene wieder mehr zusammenschließe. Ministeriumssprecher Krems befürchtet, dass sich durch ein gutes NPD-Wahlergebnis rassistische Schläger ermutigt fühlen würden. "Es ist dem Ansehen eines Landes extrem abträglich, wenn eine neofaschistische Partei im Landtag sitzt", sagt er.

In Halle-Neustadt rollen Haenschke und Appel in ihrem Lkw weiter durch das Wohngebiet, lächeln und winken ab und an Passanten zu. Eine junge Frau erwidert den Gruß, ein älteres Ehepaar brüllt zurück - wütend und mit ausladenden Gesten. Es wird knapp für die NPD. Die jüngste Umfrage sagt der Partei fünf Prozent voraus.

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