Süddeutsche Zeitung

NPD in Mecklenburg-Vorpommern:Neues braunes Phänomen

Sechs Prozent für die NPD in Mecklenburg-Vorpommern - der Bodensatz der Gesellschaft? Mitnichten: In ländlichen Gegenden sind die Neonazis in die Mittelschicht hineingekrochen, ihre Stammwählerschaft ist gefestigt, ihre Infrastruktur stabil. Zwar gibt es Initiativen, die sich in den Kampf gegen Braun werfen. Doch deren Arbeit wird von der zuständigen Bundesministerin mit Misstrauensklauseln traktiert.

Heribert Prantl

Man kann diese sechs Prozent herunterreden. Etwa so: Damit muss man sich leider einrichten, als dem Bodensatz der Demokratie sozusagen. Sechs Prozent? Anderswo in Europa sind es doch, könnte man sagen, viel mehr: In Frankreich und Österreich, in den Niederlanden, in Dänemark, Schweden und Finnland; in Italien ohnehin. Geht es Deutschland da nicht vergleichsweise golden, trotz der braunen Flecken in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern?

Es gibt einen Unterschied zwischen den Rechtsaußen-Parteien in Europa und der NPD. Bei den einen handelt es sich um Rechtspopulisten unterschiedlicher Schattierung, bei der NPD handelt es sich um Neonazis. Da gibt es Schnittmengen, aber so braun wie die NPD ist keine andere Partei, keine schöpft so unverfroren aus dem Sumpf, wie es die Neonazis von McPomm und Sachsen tun, keine hat ein so geschlossen chauvinistisches und rassistisches Weltbild: Weiße sind mehr wert, Juden gehören nicht hierher, Muslime sind Terroristen, Frauen sollen nicht so viel Wind machen, Homosexuelle sind pervers und Polen stehlen den Deutschen die Arbeit.

Ausländerfeindliche Plakate werden in ganz Europa geklebt, aber keine Partei sonst wirbt mit Nazi-Sprüchen wie "Kraft durch Freude", keine andere verklärt die Hitlerei. Und das ist nicht nur in Ost-Vorpommern und in der Sächsischen Schweiz so. Die Gesinnungsgenossen in Sachsen-Anhalt und Thüringen sind nur deshalb aus dem Fokus verschwunden, weil sie den Einzug in die Parlamente knapp verpasst haben.

Das neuere braune Phänomen hat nichts zu tun mit den bundesrepublikanischen Protestwahl-Erfahrungen vor 40 Jahren: Damals war die NPD in sieben westdeutschen Landtagen vertreten. Das dauerte aber nicht lang. Seitdem gibt es die Ansicht, das man einen temporären Rechtsextremismus über sich ergehen lassen müsse wie Gewitter und Hagelschauer - die alsbald wieder abziehen.

Im deutschen Osten zieht gar nichts ab. Es gibt in etlichen ländlichen Gegenden - in Grabow, Ludwigslust, in Anklam und Usedom hat sich das soeben wieder gezeigt - eine gefestigte braune Stammwählerschaft und eine stabile braune Infrastruktur. In Koblentz, Postlow und Blesewitz wurden die Neonazis stärkste Partei, liegen um die dreißig Prozent. Für CDU und SPD sind die dünnbesiedelten Gegenden im Osten zu wenig attraktiv, um sich mit Verve hineinzuwerfen. Und so gibt es viele Dörfer, die vollgepflastert sind mit NPD-Plakaten, in denen man die Präsenz demokratischer Parteien mit der Lupe suchen muss.

Die demokratische Kultur ist defensiv

Die Neonazi-Szene dort besteht nicht mehr vornehmlich aus ledigen jungen Männern, die prügeln, wenn es sie juckt und wenn sie sich gerade wieder vollgesoffen haben. Die braune Szene hat sich familiarisiert: Neonazistische junge Frauen schlagen nicht zu, sie erziehen Kinder; sie sind präsent bei Heimat- und Elternsprechabenden und werden beim Kinderarzt vorstellig mit der Aufforderung, doch die Fotos mit den schwarzen Kindern im Wartezimmer abzuhängen.

Die demokratische Kultur auf dem Land ist defensiv. Die Tourismus-Industrie in Ost-Vorpommern hat Nothilfe geleistet und sich verzweifelt in den Kampf gegen Braun geworfen. Was hat es geholfen? Es wäre sonst wohl noch schlimmer geworden, meint Anetta Kahane von der Amadeu-Antonio-Stiftung in Berlin. Diese Stiftung führt einen bewundernswerten Kampf gegen den Rechtsextremismus - mit Projekten gerade dort, wo das den demokratischen Parteien zu teuer und anstrengend ist.

Zum Dank traktiert die zuständige, aber ansonsten desinteressierte Bundesministerin Kristina Schröder diese Arbeit mit Misstrauensklauseln. In Sachsen klagen Initiativen gegen Neonazis darüber, dass sie selbst Presseerklärungen und Interviews mit staatlichen Stellen absprechen müssen; andernfalls kriegen sie kein Geld mehr.

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SZ vom 06.09.2011/aho
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