Vor 16 Monaten hat der Bundesrat seinen Antrag zum NPD-Verbot in Karlsruhe eingereicht. Viele Schriftsätze wurden seither ausgetauscht, der NPD-Anwalt Peter Richter säte Zweifel, die Vertreter des Bundesrats, Christoph Möllers und Christian Waldhoff, hielten dagegen. Man hoffte, die Phase der Vorbereitung sei zu Ende. Nun steht wieder alles auf Anfang. In einem Hinweisbeschluss fordert das Bundesverfassungsgericht Nachweise: Hat der Staat, der das NPD-Verbot betreibt, seine V-Leute in den Führungsgremien der Partei wirklich so nachhaltig "abgeschaltet", dass eine Ausforschung auszuschließen ist? Ist die NPD so "staatsfrei", wie es das Gericht 2003 gefordert hatte, als es den ersten Anlauf zum Verbot krachend scheitern ließ?
Gewiss dienen die harten Fragen aus Karlsruhe vor allem dem Selbstschutz: Der Zweite Senat unter Vorsitz von Andreas Voßkuhle will sich absichern. Der Schrecken von 2003, als ein V-Mann nach dem anderen auftauchte, sitzt tief. Der Senat sammle Material und werde erst später entscheiden, ob es reiche. Man wolle das Verfahren mit der "größtmöglichen Präzision" führen, heißt es aus dem Gericht. Man kann aus den Fragen aber auch dies schließen: Das Verfahren steht auf der Kippe.
Nun sind V-Leute aber keine Glühlampen, denen man einfach so das Licht abdreht
Heikel ist das Thema "Nachsorge". Die Innenministerkonferenz hatte im März 2012 beschlossen, dass zum 2. April 2012 - dem Beginn der Materialsammlung für das Verbotsverfahren - die Quellen des Verfassungsschutzes in NPD-Vorständen "abgeschaltet" werden. Nur sind V-Leute eben keine Glühbirnen, denen man mit dem Umlegen des Schalters das Licht abdreht. Sondern Angehörige der Szene, wankelmütige Charaktere mit hybriden Loyalitäten, die sich zu irrlichternden Gefahrenquellen entwickeln können. Vorsicht ist geboten, deshalb betreibt man "Nachsorge".
Beamte, sogenannte V-Mann-Führer, halten den Kontakt aufrecht, auch nachdem eine "Abschalterklärung" unterschrieben ist. Entweder, um den Übergang sozial abzufedern, oder um eine Enttarnung zu verhindern. Die Dienste helfen, wie es im Jargon heißt, bei der "Ablegendierung" aus der Szene, damit der (Ex-)Spitzel nicht auffliegt. Oft werden noch Prämien gezahlt, die gestaffelt werden, damit der Betroffene nicht durch zu große Ausgaben auffällt; in einem Fall waren dies beispielsweise 1500 Euro.
Entscheidend für das Karlsruher Verfahren ist, ob der Informationsfluss wirksam unterbunden wird. Dies haben die Behörden dem Gericht in Testaten nachdrücklich versichert: Keine Infos über die NPD, selbst wenn die Quelle unbedingt plaudern will. Die Frage ist nur, ob sich in der unübersichtlichen Welt der Verfassungsschützer alle daran halten. Beispiele aus der Vergangenheit sind da wenig ermutigend.
In Thüringen führte das Landesamt im Jahr 2007 einen NPD-Funktionär, Deckname "Ares". Der Mann war dem Amt nicht mehr geheuer, aber er sollte noch die Mitgliederliste der Thüringer NPD beschaffen. Die Liste blieb aus, man führte ein "Abschaltgespräch", schloss aber nicht aus, dass man wieder zusammenfinde. "Ares" erhielt eine spezielle E-Mail-Adresse und eine Handy-Nummer für Notfälle, Codewort: "Liebeskummer". Und "Ares" nutzte den Kanal: Unaufgefordert soll er über NPD-Männer berichtet haben. Oder, ein Fall aus Baden-Württemberg: Noch 2003 führte das Landesamt "Abschöpfungsgespräche" mit einem Ex-Spitzel, drei Jahre nach der Abschaltung.
Hinzu kommt: Abgeschaltet wurden nicht alle V-Leute, sondern nur die in Führungsgremien. Wie viele V-Leute noch in der NPD sind, verrät niemand, doch könnten es - unterhalb der Vorstandsebene - noch mehrere Dutzend sein. Das könnte dann zum Problem werden, wenn sie Informationen über die Prozessstrategie der NPD an die Ämter lieferten - womit die Fairness des Verbotsverfahrens gefährdet wäre. Auch danach hat das Gericht gefragt.
Abschaltung, Nachsorge, Informationsverbot: Die Behörden werden dem Gericht zeigen müssen, wie das umgesetzt wird. Grundsätzlich sei dies möglich, sagt eine Verfassungsschützerin, die Nachsorge werde penibel dokumentiert. Nur dürfe der Name der Quelle nicht erscheinen. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) hatte ein "In-Camera"-Verfahren angeregt, bei dem nur die Richter, nicht aber die NPD-Vertreter die Belege sehen dürften. Darauf dürfte sich Karlsruhe kaum einlassen. Ein Parteiverbot, das auf Material gründet, welches die Partei nicht einsehen durfte, wäre rechtsstaatlich angreifbar.
Gefragt hat das Gericht zudem nach dem NPD-Parteiprogramm von 2010 und dem "Strategischen Konzept" von 1997. Der Verbotsantrag enthält zur Quellenfreiheit des inkriminierenden Materials zwei Kategorien - doch die beiden Papiere wurden keiner Kategorie zugeordnet. Ein Versehen? Oder die Furcht, dass jemand an den Programmen mitgearbeitet hat, der im Sold des Verfassungsschutzes stand?
Ist die angeschlagene Partei wirklich so gefährlich, dass die schärfste Sanktion notwendig ist?
Der Bundesrat hat gut anderthalb Monate Zeit, Belege zu liefern. Gelingt es, die Richter zufriedenzustellen, ist nur die erste Hürde genommen. Der Senat würde dann, etwa im Frühherbst, einen Verhandlungstermin für Ende 2015 ansetzen. Erst dann geht es um die inhaltlichen Fragen. Um eine Wesensverwandtschaft der NPD zur NSDAP, um ihre aggressive Ausländerfeindlichkeit - all das, was der 270 Seiten starke Verbotsantrag anführt. Reicht es für ein Verbot? Die ersten Signale aus dem Gericht lassen daran Zweifel aufkommen.
Peter Müller, im Senat zuständig für das Verfahren, fragt in einem "Berichterstatterschreiben" nach "konkreten Beispielen" dafür, dass durch die NPD in Mecklenburg-Vorpommern eine "Atmosphäre der Angst erzeugt werde und hierdurch erkennbare Einschränkungen demokratischen Handelns nachweisbar seien". Zudem verlangt Müller Belege für die "besonders aggressiv" gestalteten Proteste gegen Asylbewerber im Jahr 2013. Es klingt skeptisch: Ist die angeschlagene Partei wirklich so gefährlich, dass die schärfste Sanktion notwendig ist, die eine auf Parteienfreiheit fußende Demokratie kennt - das Verbot?
Bisher ist es nur das Schreiben eines einzelnen Richters, der sich in seinem früheren politischen Leben stets gegen einen Verbotsantrag ausgesprochen hatte. Üblicherweise werden solche Schreiben allerdings mit dem Senat abgestimmt.