Jens Stoltenberg:Der Justin Bieber des Nordens

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Der norwegische Sender NRK schreibt, um Jens Stoltenberg herum herrsche „oft eine unangenehme Halleluja-Atmosphäre“, in der sich Erwachsene benähmen wie Teenies. (Foto: Thomas Fure/Reuters)

Seine Ernennung gilt als Überraschungscoup: Der ehemalige Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wird norwegischer Finanzminister. Das hat auch Folgen für die Münchner Sicherheitskonferenz.

Von Stefan Kornelius und Alex Rühle, Stockholm

Ein Coup, man kann es nicht anders nennen: Letzte Woche noch dachten alle, das war’s. Nachdem Norwegens konservative Zentrumspartei am Donnerstag die Regierungskoalition aufgekündigt hatte, galt der sozialdemokratische Ministerpräsident Jens Gahr Støre als lame duck, obwohl er sich entschlossen gab, bis zu den Neuwahlen im September weiterregieren zu wollen. Am Dienstagvormittag nun ernannte er acht neue Minister. Und einer von ihnen ist Jens Stoltenberg, den man hierzulande vor allem aus seinen zehn Jahren als stoischer Generalsekretär der Nato kennt.

In Norwegen aber ist der 65-jährige Stoltenberg – trotz oder gerade wegen seines kühlen Gebarens – eine Art Politstar. Er war vor seiner Zeit in Brüssel Finanzminister und zweimal Ministerpräsident, das zweite Mal von 2005 bis 2013. In diesen Jahren wurde er in Umfragen regelmäßig zum beliebtesten Politiker des Landes gekürt. Durch die Jahre in Brüssel stieg seine Popularität noch, der öffentlich-rechtliche Sender NRK schrieb, um ihn herum herrsche „oft eine unangenehme Halleluja-Atmosphäre, in der sich Erwachsene wie Teenies bei einem Justin-Bieber-Konzert benehmen. Es besteht die Hoffnung, dass seine Genialität auf die Partei abfärbt.“

Viele in Norwegen hoffen, dass er Trump noch einmal mäßigen kann

Außerdem eilt ihm der Ruf voraus, im Umgang mit Donald Trump den richtigen Ton zu treffen: In seiner Rolle als Nato-Generalsekretär hatte er den US-Präsidenten immer wieder heftigst dafür gelobt, dass er die anderen Nato-Mitglieder zu höheren Militärausgaben drängte. Da Trump jetzt Strafzölle für die EU angekündigt hat, hoffen nun viele in Norwegen darauf, dass Stoltenberg auch in seiner neuen Rolle mäßigend auf den amerikanischen Präsidenten einwirken wird. Norwegen ist zwar nicht in der EU, aber Teil des Europäischen Wirtschaftsraums.

Es dürfte freilich schwer werden, solch einer Heilsbringerrolle gerecht zu werden. Die Umfragewerte für die Sozialdemokraten sind miserabel. Und wenn Stoltenberg seine eigenen Mahnungen aus seiner Nato-Zeit ernst nimmt, müsste er im Grunde erst mal mehr Geld für die Ukraine bereitstellen: Norwegen ist eines der reichsten Länder der Welt, hat aber bislang pro Kopf weit weniger gezahlt als etwa Dänemark oder die baltischen Staaten.

Vergangene Woche war die Regierungskoalition aus Sozialdemokraten und konservativer Zentrumspartei zerbrochen. Anlass waren Meinungsverschiedenheiten in Fragen der Energieversorgung, im Grunde aber ging es um das Verhältnis Norwegens zur EU: Ministerpräsident Jens Gahr Støre will das Land tiefer in den europäischen Energiemarkt integrieren und drängte darauf, das vierte Energiepaket der EU anzunehmen, das unter anderem mehr erneuerbare Energien fördern will. Die Zentrumspartei fürchtet sich vor einer engeren Bindung an die EU und plädierte dafür, „die Kontrolle zurückzugewinnen“ und sich nicht „noch abhängiger von Brüssel zu machen“.

Stoltenberg sollte eigentlich Chef der Sicherheitskonferenz werden

Stoltenbergs überraschende Ernennung hat auch die Planung der Münchner Sicherheitskonferenz durcheinandergebracht. Die weltgrößte außen- und sicherheitspolitische Konferenz in privater Organisation hatte Stoltenberg zum neuen Vorsitzenden bestellt, seine Amtszeit sollte nach dem Ende der nun bevorstehenden Konferenz am 17. Februar beginnen. Die Sicherheitskonferenz reagierte mit einer knappen Pressemitteilung auf seine Berufung zum Finanzminister und kündigte an, die Organisation „bis zu seiner Rückkehr von den öffentlichen Ämtern“ in die Hände der beiden Stellvertreter, Benedikt Franke und Rainer Rudolph, zu legen.

Stoltenberg selbst lässt sich mit den Worten zitieren, er werde zur Münchner Sicherheitskonferenz und seinen anderen Verpflichtungen zurückkehren, „sobald meine Amtszeit beendet ist“. Einen konkreten Zeitpunkt nannte Stoltenberg nicht. Bis zum geplanten norwegischen Wahltermin im September stehen in der Sicherheitskonferenz üblicherweise weniger Veranstaltungen an, die Hauptveranstaltung in München wird danach erst wieder im Februar 2026 stattfinden.

Stoltenbergs Berufung zum Vorsitzenden der Münchner Konferenz war nicht ohne Spannungen abgelaufen, weil der momentan amtierende Konferenzchef, der frühere Kanzlerinnen-Berater Christoph Heusgen, gegen seinen Willen von dem Führungsposten abgelöst wurde. Stoltenberg wäre erst der fünfte Konferenzleiter und der erste ohne deutsche Staatsbürgerschaft gewesen. In diesem Jahr findet die Konferenz noch unter Heusgens Leitung in weniger als zwei Wochen statt und steht ganz unter dem Eindruck der beginnenden Trump-Präsidentschaft und der deutschen Bundestagswahl eine Woche später.

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