Süddeutsche Zeitung

Verheerende Anschläge in Norwegen:Schwere Bombenexplosion erschüttert Regierungsviertel von Oslo

Verheerender Anschlag in der Osloer Innenstadt: Mindestens sieben Menschen sterben, Dutzende werden verletzt. Auch das Büro des norwegischen Premiers wird beschädigt. Noch tappt die Polizei im Dunklen, Augenzeugen sprechen von einer Autobombe.

Bei einem schweren Bombenanschlag im Regierungsviertel der norwegischen Hauptstadt Oslo sind am Freitag sieben Menschen getötet und mindestens 15 verletzt worden. Über die Urheber des Attentats konnte die Polizei zunächst keine Angaben machen.

Durch die Wucht der Explosion am Nachmittag wurde der Sitz des Büros von Ministerpräsident Jens Stoltenberg in einem 17 Stockwerke hohen Gebäude schwer beschädigt, im nahe gelegenen Energieministerium brach ein Feuer aus.

Der norwegische Regierungschef ist nicht zu Schaden gekommen, hält aber auf Anraten der Polizei seinen Aufenthaltsort geheim. "Das ist sehr ernst", beschrieb Stoltenberg in einem Telefonat mit dem Fernsehsender TV2 die Lage. Zugleich nannte er es zu früh, um zu sagen, ob es sich um einen Terroranschlag gehandelt habe. Er versicherte, alle Minister seines Kabinetts seien nach dem Anschlag auf einen Gebäudekomplex mit Regierungsbüros unversehrt.

Stoltenberg kündigte eine entschlossene Reaktion der Behörden auf die Anschläge an: "Wir werden alle verfügbaren Kräfte einsetzen, um uns zu schützen", sagte der Regierungschef.

Nach Angaben eines Reuters-Reporters fand sich zwischen den Regierungsgebäuden ein Autowrack. Nach seinen Eindrücken kann es sich dabei um die Überreste einer Autobombe handeln. Terrorexperte Tore Björgo sagten dem norwegischen Sender NRK: "Es fällt mir schwer vorzustellen, dass es sich um etwas anderes als ein Attentat gehandelt haben könnte."

Es seien "eine oder mehrere" Bomben explodiert, sagte Polizeichef Anstein Gjengdal vor Journalisten. Auf die Frage, ob es sich um einen Autobombenanschlag handele, sagte Gjengdal, möglicherweise sei ein Fahrzeug verwendet worden. Eine Bestätigung dafür gebe es aber bislang nicht.

Die Zeitung Dagbladet berichtete online, die Ermittler gingen davon aus, dass das Öl- und Energieministerium (OED) das Ziel des Attentats war. "Es sieht aus, als ob es direkt vor unseren Büros passierte", sagt Håkon Smith-Isaksen vom OED.

Die norwegische Tageszeitung VG berichtete auf ihrer Internetseite, im Regierungsviertel seien praktisch alle Fenster zerstört worden, die Luft sei voller Staub und Rauch. Im Wirtschafts- und Handelsministerium seien alle Fenster zersplittert. Blutende Menschen mit Schnittwunden liefen umher, Kinder schrien. "Die Leute stehen unter Schock, viele wurden ins Krankenhaus gebracht", sagte der Organist des Osloer Doms, Magne Draagen, der Deutschen Presseagentur.

Die Polizei befürchte zunächst, es könnte noch weitere Bomben gegeben haben. Teile der Innenstadt wurden gesperrt, auch die Räumung des Hauptbahnhofs sowie der Einkaufszentren Oslo City und Byporten wurde angeordnet. Dies berichtete der staatliche Rundfunksender NRK am späten Freitagnachmittag.

Auch der Fernsehsender TV2 wurde evakuiert, schrieb die Zeitung Dagbladet. Es sei eine verdächtige Tasche gefunden worden. Am Osloer Flughafen Gardermoen kontrollieren bewaffnete Polizisten alle ankommenden und abfahrenden Autos. Die Polizei rief dazu auf, große Menschenansammlungen zu meiden und das Osloer Zentrum zu verlassen. Außerdem hat sie die Bevölkerung gebeten, ihre Mobiletelefone nicht zu benutzen, um eine Überlastung der Netze zu vermeiden.

Über dem Zentrum von Oslo stand eine Rauchsäule. "Alle Rettungskräfte sind vor Ort und die Polizei versucht, sich eine Überblick über die Situation zu verschaffen", erklärte eine Polizeisprecherin. Die Brand- und Rettungszentrale habe mitgeteilt: "Wir wissen nur, dass eine schwere Explosion im Zentrum von Oslo gab. Das Schadensausmaß ist groß, und wir haben alle Kräfte im Einsatz."

Das Nato-Mitglied Norwegen war wegen seiner Beteiligung am internationalen Afghanistan-Einsatz in der Vergangenheit öfters Ziel von Drohungen des Islamisten-Netzwerks al-Qaida. Zudem nimmt Norwegen an dem Einsatz gegen Libyens Machthaber Muammar Gaddafi teil, der mit Anschlägen in Europa gedroht hatte.

David Lea von Control Risks, einer Fachagentur für Sicherheitsrisiken, sagte in einer ersten Einschätzung: "Es gibt sicherlich keine norwegischen Terroristengruppen, auch wenn es einige Festnahmen mit Al-Qaida-Bezug in der vergangenen Zeit gegeben hat." Es sei zu früh, um irgendwelche Rückschlüsse aus der Explosion zu ziehen.

Die Gewerkschaft der Polizei ruft die Bevölkerung in Deutschland dennoch zu erhöhter Wachsamkeit auf. Wenn der Bombenanschlag auf das Konto des islamistischen Terrorismus gehe, sei nicht ausgeschlossen, "dass auch deutsche Großstädte in Gefahr sind", sagte Gewerkschaftschef Bernhard Witthaut in Berlin. "Die Sicherheitsbehörden sind jetzt mehr denn je auf Hinweise und Mithilfe der Bevölkerung angewiesen."

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat unterdessen den Bombenanschlag scharf verurteilt. In einer am Abend in Berlin veröffentlichten Erklärung heißt: "Die Hintergründe dieser menschenverachtenden Tat sind zu diesem Zeitpunkt noch unklar. Klar ist, dass wir alle, die an Demokratie und friedliches Zusammenleben glauben, solchen Terrorismus, womit auch immer er begründet wird, scharf verurteilen müssen." Die Kanzlerin sprach den Familien der Opfer ihre tiefe Anteilnahme aus und wünschte den Verletzten rasche Besserung.

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