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Brexit:Das norwegische Modell brächte den Briten noch mehr Frust

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Großbritannien überlegt, nach dem Brexit wie Norwegen Mitglied im Europäischen Wirtschaftsraum zu werden. Doch das würde das Land nur noch abhängiger von der EU machen.

Kommentar von Silke Bigalke

Es so machen wie die Norweger? Darüber diskutieren die Briten besonders eifrig, seit sie für den Brexit gestimmt haben. Mindestens ebenso lange warnen norwegische Politiker vor den Nachteilen ihres Modells. Dass es trotzdem verlockend klingt, liegt wohl daran, dass die Zeit für die Austrittsverhandlungen knapp wird. Und daran, dass ein harter Brexit für Premierministerin Theresa May nach ihrer Wahlschlappe schwieriger werden dürfte. Doch der norwegische Weg kann höchstens eine Notlösung sein. Er garantiert den Briten keine angenehme Zukunft nach dem Abschied, sondern eher noch mehr Frust.

Norwegen ist Mitglied im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), aber nicht in der Europäischen Union. Das liegt daran, dass Norwegen seit 1960 zur Europäischen Freihandelsassoziation Efta gehört, genauso wie früher Großbritannien. Die meisten Staaten wechselten von dort in die Europäische Gemeinschaft. Nur Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz blieben übrig. Damit das gemeinsame Wirtschaften weiter funktionierte, wurden sie - außer der Schweiz - durch das EWR-Abkommen in den EU-Binnenmarkt integriert.

Das klingt für viele Briten attraktiv: Zugang zum gemeinsamen Markt ohne EU-Mitgliedschaft. Praktisch ist es außerdem, ein Modell zu nutzen, das es bereits gibt. Brexit-lite. Doch leicht ist daran nichts. Norwegens Politiker beschreiben ihr Land mitunter als stimmlosen Befehlsempfänger. Es zahlt Beiträge und setzt Regeln aus Brüssel wie ein EU-Mitglied um, ohne mitzuentscheiden. Zudem hält es sich an die Grundfreiheiten des gemeinsamen Markts und lässt EU-Bürger uneingeschränkt ins Land, was Brexit-Befürworter nicht mehr wollen.

Es gibt jedoch auch ein paar Vorteile: Norwegen und Island etwa wollten Landwirtschaft und Fischerei aus dem EWR-Abkommen heraushalten. So schützen sie die Fangquoten ihrer Fischindustrie und ihr teures Gemüse vor ausländischer Konkurrenz. Britischen Landwirten dürfte aber eher daran gelegen sein, den europäischen Markt für ihre Produkte offen zu halten - womöglich ein erster Konflikt. Denn die Efta-Länder entscheiden einstimmig und sind nicht unbedingt begeistert von der Idee, das große Britannien in ihren kleinen Klub aufzunehmen.

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Die Briten würden sich dort noch unfreier fühlen als in der EU. Sie müssten sich weiter über Regeln zur Gurkenkrümmung ärgern, ohne dabei mitreden zu dürfen. Sie hätten auch keine Veto-Rechte mehr - etwa falls die EU irgendwann doch für einen Türkei-Betritt stimmen sollte. Das düstere Bild, das die Brexit-Lobby zeichnete, würde am Ende wahr werden: Das Land als Insel, die sich vom Ausland viel zu viel vorschreiben lässt.

Die Norweger sprechen da von Demokratiedefizit. Sie nehmen es in Kauf, weil ihr Land wirtschaftlich vom Binnenmarkt abhängt. Norwegens Modell ist ein Kompromiss - die engste Beziehung zu Europa, die es ohne Beitritt erreichen kann. Den haben die Norweger in Referenden abgelehnt. EU-Optimisten glauben, er werde irgendwann möglich. Sie betrachten das Efta-Konstrukt als Übergangslösung. Das wäre es auch für die Briten - allerdings auf ihrem Weg aus der EU. Großbritannien, fürchten die kleinen Staaten, würde ihren Klub sehr verändern. Und weiter weg rücken von Europa.

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SZ vom 09.09.2017
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