Interview mit Norwegens Ministerpräsident:Herr Støre, was sind Ihre Erwartungen an den Berliner Gipfel?

Interview mit Norwegens Ministerpräsident: Mehr Gas fördern gehe nicht, und an den Preisen könne er ja nichts machen: Norwegens Ministerpräsident Jonas Gahr Støre.

Mehr Gas fördern gehe nicht, und an den Preisen könne er ja nichts machen: Norwegens Ministerpräsident Jonas Gahr Støre.

(Foto: Alastair Grant/AP)

Einige europäische Staaten beschuldigen Norwegen, dass es sein Gas in der aktuellen Not viel zu teuer verkaufe. Wie sich Ministerpräsident Jonas Gahr Støre gegen die Anschuldigungen wehrt.

Interview von Alex Rühle, Oslo

An diesem Mittwoch beginnt die zweitägige Berliner Sicherheitskonferenz (BSC), auf der alljährlich Fragen der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik erörtert werden. In diesem Jahr ist Norwegen Gastland der BSC, Ministerpräsident Jonas Gahr Støre wird mit mehreren Ministern anreisen. Ein Gespräch in Oslo, wo der Sozialdemokrat Støre mit schlechten Umfragewerten genauso zu kämpfen hat wie mit dem Unmut befreundeter europäischer Regierungen, die unter den extrem hohen Gaspreisen ächzen.

SZ: Herr Støre, was sind Ihre Erwartungen an den Berliner Gipfel?

Jonas Gahr Støre: Die Konferenz kommt genau zum richtigen Zeitpunkt, inmitten eines Krieges, der enorme Auswirkungen auf nahezu alle Lebensbereiche hat. Die Konferenz gibt uns die Möglichkeit, uns auf die Sicherheitsdimension und auf Fragen der militärischen Zusammenarbeit zu konzentrieren, aber auch auf die Folgen für die Energiepolitik, die soziale Stabilität und industrielle Ansätze zur Begrenzung des Klimawandels.

Was hat sich für Norwegen durch den Ukrainekrieg geändert?

So ziemlich alles. Zum ersten Mal in der modernen Geschichte unterstützen wir eine der Parteien in einem Krieg militärisch. Außerdem sind wir Nachbarn Russlands. Ein anderes russisches Nachbarland, die Ukraine, wird mit voller Brutalität angegriffen. Wir helfen der Ukraine, weil es politisch und moralisch richtig ist, aber es liegt auch in unserem eigenen Interesse. Wir helfen bei einem großen Gasspeicherprojekt in der Ukraine, bei dem wir über die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung den größten Zuschuss geleistet haben. So kann die Ukraine Gas für den kommenden Winter kaufen. Dieses Projekt ist um so notwendiger, als Russland gezielt die Energieinfrastruktur der Ukraine zerstört.

Ihr Finanzminister erwartet, dass der norwegische Staat in diesem Jahr mit Öl und Gas 120 Milliarden Euro netto verdienen wird - viermal so viel wie 2021, mehr als doppelt so viel wie 2008, das bisher das erfolgreichste Jahr war. Wird es noch mehr werden?

Die Unternehmen, die vom norwegischen Schelf aus produzieren und exportieren, haben ihre Verkäufe um acht bis zehn Prozent gesteigert, was eine zusätzliche Menge von 100 Terawattstunden für den europäischen Markt bedeutet. Ohne diesen Anstieg wäre es schwierig geworden für Deutschland und andere Länder, ihre Speicher zu füllen. Wir haben von Seiten der Behörden und in Zusammenarbeit mit den Unternehmen alles dafür getan, dass die Exporte gesteigert werden können. Aber jetzt haben wir das Maximum erreicht und hoffen, dass wir dieses Niveau 2023 halten können.

Olaf Scholz war im August in Norwegen, dabei schwang wohl auch die Hoffnung auf eventuelle Preisnachlässe mit. Warum gibt es die nicht?

Wir wollen diese hohen, volatilen, eskalierenden Preise selbst nicht. Das ist nicht gut für uns.

Interview mit Norwegens Ministerpräsident: Olaf Scholz trifft im August in Oslo Jonas Gahr Støre, Finnlands Ministerpräsidentin Sanna Marin und die damalige Regierungschefin Schwedens, Magdalena Andersson (v. li.).

Olaf Scholz trifft im August in Oslo Jonas Gahr Støre, Finnlands Ministerpräsidentin Sanna Marin und die damalige Regierungschefin Schwedens, Magdalena Andersson (v. li.).

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Profitiert Ihre Regierung nicht extrem davon?

Von diesen Gasmilliarden sieht die Regierung nichts, die fließen in unseren Staatsfonds, der für die Absicherung der kommenden Generationen gedacht ist. Es war eine kluge Idee, die Einnahmen aus einer unbeständigen Quelle wie der Energie in einen Fonds und nicht in den Haushalt fließen zu lassen. Auf diese Weise haben wir die norwegische Wirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten vor großen Schwankungen geschützt. Die Regierung darf im aktuellen Haushalt jedes Jahr nur drei Prozent, die angenommene Rendite, aus diesem Fonds entnehmen. Im Haushaltsplan für das nächste Jahr schlage ich vor, nur 2,5 Prozent auszugeben, um einer galoppierenden Inflation vorzubeugen.

Gut, dann anders gefragt: Profitiert ganz Norwegen nicht extrem von den hohen Preisen?

Nein. Die erste direkte Auswirkung ist, dass die Strompreise im Süden Norwegens in die Höhe schießen. Eine norwegische Familie verbraucht dreimal so viel Strom wie eine durchschnittliche europäische Familie, weil sie ihre Häuser mit Strom aus Wasserkraft heizen. Wenn also die europäischen Strompreise steigen, trifft das die norwegischen Bürgerinnen und Bürger extrem, was für mich ähnlich wie für andere Regierungen in Europa eine politische Herausforderung ist.

Sie stehen in den Umfragen bei 15 Prozent.

Ja. Die hohen Energiepreise wirken sich zweitens auf die europäische und damit sofort auch auf die norwegische Wirtschaft aus. Wenn die deutsche Industrie mit Problemen zu kämpfen hat, haben wir sofort auch Probleme, denken Sie nur an all unsere Zulieferbetriebe für die deutsche Autoindustrie. Drittens führen die Energiepreise zu sozialer Instabilität in unseren Partnerländern. Das kann niemand wollen. Wir möchten, dass die Energiepreise auf ein stabiles, vorhersehbares Niveau sinken. Der Grund für die Energieknappheit liegt darin, dass Russland sein Gas abstellt. Der Bundeskanzler und ich haben im Januar darüber gesprochen, dass der Stand in den deutschen Gasspeichern im letzten Herbst auffällig niedrig war. Heute wissen wir, dass das eine Art Vorspiel zum Ukrainekrieg war und zu Putins Versuch, Europa energiepolitisch unter Druck zu setzen.

Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki schrieb, die norwegischen Preise seien "nicht fair", Emmanuel Macron beschwerte sich, Robert Habeck sprach von Mondpreisen. Ist nicht doch was dran an der Klage über die überhöhten Preise?

Oh, ich verstehe diese Frustration sehr gut. Aber es bin ja nicht ich als norwegischer Premierminister, der das Gas verkauft. Wir vergeben Lizenzen auf dem norwegischen Schelf an norwegische und ausländische Unternehmen. Die zahlen für diese Lizenzen hohe Steuern an Norwegen und dann sind sie für die Förderung, die Vermarktung und den Verkauf verantwortlich. Die EU erörtert Maßnahmen gegen diese Preisexplosionen. Aber ich warne vor Maßnahmen, die kontraproduktive Auswirkungen haben können. Maßnahmen, die die Nachfrage nach einem Produkt erhöhen, bei dem es einen Angebotsmangel gibt, führen zu weiteren Preiserhöhungen und beeinträchtigen die Energiesicherheit.

Norwegen verdankt seinen Reichtum dem Export von Gas, das Land hat dadurch überproportional zum Aufheizen der Erdatmosphäre beigetragen. Trägt es dadurch nicht auch eine größere energiepolitische Verantwortung als andere?

Von meinen europäischen Partnern höre ich jetzt, dass Norwegen unbedingt sein hohes Exportniveau halten muss und ich kann nicht dafür verantwortlich sein, dass es in Europa zu Energieengpässen kommt. Aber ich versichere Ihnen, dass wir uns unserer Verantwortung bewusst sind. Gerade weil wir in dieser finanziell günstigen Lage sind, müssen wir bei der Entwicklungszusammenarbeit genauso vorangehen wie bei der Energiewende. Wir tun sehr viel für den Klimaschutz. Ich habe auf der Klimakonferenz in Sharm el-Sheich gesagt, dass wir bis 2030 unsere Emissionen um 55 Prozent reduzieren werden.

Als im August der neue Bericht des Weltklimarats herauskam, sagte UN-Generalsekretär António Guterres, dass die Staaten dringend damit aufhören müssen, neue fossile Brennstoffe zu suchen und zu produzieren. Damals haben Sie ihm zugestimmt. Nach den Wahlen im September haben Sie dann aber gesagt, dass die Suche nach neuen Lagerstätten nicht eingestellt wird. Wie erklären Sie diesen Umschwung?

Wir befinden uns in einer Übergangszeit. Fossile Brennstoffe werden auslaufen, und Norwegen wird den großen klimatechnischen Umbau technologisch vorantreiben. Aber man braucht einen organisierten Übergang. Wenn wir endlich die Kapazität der erneuerbaren Energiequellen ausbauen, müssen wir dann als Erstes den Kohleabbau zurückfahren, weil der die schlimmsten Umweltverschmutzungen zur Folge hat. Bei Gas kann man mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung arbeiten. Die Speicherung von CO2 unter dem Meeresboden in der Nordsee ist eine bewährte Technologie. Wir praktizieren das seit Mitte der 90er-Jahre in der Barentssee. Norwegen hat genug Speicherkapazität unter dem Nordseeboden für das gesamte europäische CO2 der nächsten Jahrzehnte.

Klimaschützer kritisieren, die Abscheidung liefere der Industrie ein Argument, einfach so weiterzumachen wie bisher, statt endlich den Ausstieg aus den fossilen Energien anzugehen.

Das ist ein grundlegend falsches Argument. Ohne Kohlenstoffspeicherung können wir niemals bis 2050 die Emissionen auf null runterbringen. All die Zementfabriken und Abfallverbrennungsanlagen etc. können Emissionen reduzieren, aber nicht eliminieren. Wenn man Emissionen auf null bringen will, bleibt nichts anderes übrig, als sie abzuscheiden. Und wenn uns das gelingt, können wir weiterhin Gas für die Stromerzeugung, aber auch für die Wasserstofferzeugung nutzen.

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