Anfang September sitzt Geir Lundestad friedlich unter dem Dach des Nobel-Instituts in Oslo. Das Büro des Pensionärs ist gemütlich, ein Sofa, viele Bücher, der Regen prasselt auf die Dachschräge. Er berührt ein kleines silbernes Tablett auf dem Tisch, ein Geschenk von Barack Obama, sagt er.
25 Jahre lang hat Lundestad als Leiter des Instituts Friedensnobelpreisträger betreut, große Namen, die er hier und da einstreut. Seine Lieblingsanekdote handelt von Jassir Arafat, den er 1994 in dessen Hotelsuite zum Bankett abholen wollte. Die versammelten PLO-Führer hockten vor dem Fernseher, es lief die Comicserie Tom und Jerry.
Seit Lundestad Ende 2014 in Pension gegangen ist, macht er mit anderen Geschichten Schlagzeilen, mit Seitenhieben auf das Komitee, dem er gedient hat. Darin sitzen die fünf Norweger, die jedes Jahr den laut Oxford Dictionary "prestigeträchtigsten Preis der Welt" vergeben. Das norwegische Parlament wählt diese fünf aus. Es sollte dabei künftig aufmerksamer auf die Qualifikation achten, klagt Lundestad. Die Kandidaten sollten sich wenigstens für internationale Politik interessieren. Auch Fremdsprachenkenntnisse könnten nicht schaden. Lundestad selbst war als Institutsleiter auch der Sekretär des Komitees. Er war bei dessen Sitzungen dabei, durfte aber nicht mit abstimmen.
Lundestad lehnt sich zurück. Mitte September wird sein Buch erscheinen und für so viel Ärger sorgen, dass er sein Büro räumen muss. Er beschreibt darin die Preis-Entscheidungen während seiner 25 Jahre, schreibt über versuchte Einflussnahme und über Mitglieder des Komitees. Es folgt die Frage, worauf sich das Renommee dieses Preises eigentlich stützt.
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Ein Stockwerk unter Lundestads Pensionärsbüro sitzt Olav Njølstad, sein Nachfolger. Ein Treffen, lange bevor das Buch erscheint: Schon damals hat Njølstad alle Hände voll zu tun, hinter Lundestad aufzuräumen. Der hatte sich mit einem Knall verabschiedet: Frühere Premier- und Außenminister, sagte Lundestad damals, sollten gar nicht ins Komitee gewählt werden.
Das war schon ein Skandal, schließlich war der damalige Vorsitzende des Komitees, Thorbjørn Jagland, beides, nämlich früherer Außen- und früherer Premierminister. Prompt wurde Jagland Anfang März nicht als Vorsitzender bestätigt. So etwas war vorher noch nie passiert.
Den Preis für die EU hielten viele für schlecht terminiert
Olav Njølstad, ein Historiker wie Lundestad, aber mit dem Ruf, bescheidener aufzutreten, öffnet die Tür. Das Nobelpreis-Komitee trifft sich in einem hellen Jugendstil-Raum, mit grünem Teppich und Tapete. Ringsum hängen die Fotos aller Preisträger. Sie schauen milde in den Raum, in dessen Mitte ein ovaler Tisch mit sechs Stühlen steht, für Njølstad und die fünf Entscheider, alles frühere Politiker.
Sie werden nach Parteiproporz gewählt. Wenn sich die Mehrheit ändert, ändert sie sich auch im Komitee. Dessen fünf Mitglieder sollen unabhängig von Parteipolitik entscheiden, obwohl sie meist altgediente Parteigrößen sind. Als der Sozialdemokrat Jagland den Vorsitz verlor, stand es im Gremium drei zu zwei für die Konservativen.
Sofort wurde spekuliert, dass die Regierung ihn loswerden wollte. Während seiner sechs Jahre als Chef hatte das Komitee einige umstrittene Preise verliehen, wie den an Barack Obama 2009. Der amerikanische Präsident war damals erst achteinhalb Monate im Amt. Auch den Preis für die EU 2012 hielten viele für schlecht terminiert, mitten in der Euro-Krise.
Am meisten schmerzte Norwegen der Preis für den chinesischen Dissidenten Liu Xiaobo 2010. Lundestad beschreibt in seinem Buch, wie der damalige Außenminister Jonas Gahr Støre versucht habe, Jagland von der Vergabe abzubringen, ohne Erfolg. Die Beziehungen zu China sind seither frostig. Dabei zeigen gerade die Preise für Dissidenten und Regierungskritiker, wie wichtig es ist, dass das Komitee unabhängig entscheidet.
Nur deswegen kann Olav Njølstad sagen: "Es gibt absolut keinen Grund, warum die Chinesen Norwegen als Land bestrafen sollten." Schließlich sind nur fünf Norweger für die Auszeichnung von Xiaobo verantwortlich, nicht das Land. Peking scheint das anders zu sehen.
Wer die Entscheidung nicht mittragen kann, der geht
Anfang September hat sich die neue Vorsitzende des Komitees, Kaci Kullmann Five, früher Chefin der konservativen Partei Høyre und seit zwölf Jahren eine der erwählten Fünf, zum Frühstück mit Journalisten getroffen. Kurz vor Verkündigung des Preisträgers ist das heikel, alles was Five sagt, könnte als Hinweis gedeutet werden.
Doch dieses Mal ist ihre Hauptproblem, die Presse trotz Lundestads Enthüllungen und Jaglands Abwahl davon zu überzeugen, dass Frieden unter den Friedenspreis-Vergebern herrscht. Die Debatten im Parlament seien wesentlich hitziger als die im Komitee, versichert Five.
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Das Gremium trifft sich sechsmal. Jedes Mal streicht es die Liste der Nominierten - in diesem Jahr waren es 273 - weiter zusammen, bis am Ende alle hinter einem Kandidaten stehen. Wer die Entscheidung nicht mittragen kann, der geht. Zuletzt ist das 1994 passiert, als Arafat den Preis erhielt.
Five betont daher, dass sie alle Auszeichnungen während Jaglands Vorsitz "aus vollem Herzen" mitgetragen habe. "Diejenigen, die unterstellen, dass ich nachgiebiger wäre als Thorbjørn Jagland in Fragen von Menschenrechten oder China, kennen mich schlecht."
Auch über Geir Lundestad spricht sie, lobt die Zusammenarbeit. Das war allerdings, bevor sein Buch erschien. Nun wirft das Komitee Lundestad Vertrauensbruch vor. Was es während seiner Treffen berät, welche Kandidaten es erwägt, dürfe nicht nach außen dringen. Vor allem Jagland, der noch im Komitee sitzt, fühlt sich angegriffen.
Tagelang lieferte er sich mit Lundestad einen Schlagabtausch in den Medien. Wenn ein ehemaliger Sekretär schreibe, die aktuelle Chefin des Komitees sei schwach, ihr Vorgänger (also Jagland selbst) ein Idiot und dessen Vorgänger habe keine Ahnung von Außenpolitik gehabt, verbessere das nicht unbedingt den internationalen Ruf des Komitees, sagte Jagland dem Sender NRK.
Sollten lieber Akademiker entscheiden?
"Ich nehme nichts von der Wichtigkeit des Preises", hatte Lundestad in seinem Büro unter dem Dach gesagt. Er findet trotz allem nicht, dass man das Komitee für Nicht-Norweger, beispielsweise frühere Preisträgern, öffnen sollte. Diese seien womöglich weniger objektiv.
Er hält auch nichts von dem Vorschlag, Akademiker statt Politiker ins Komitee zu setzen. Die Frage, welcher Weg zum Frieden führe, sei schließlich eine politische - darin ist er mit Five und Njølstad einig.
Es sei sehr schwer, gute Entscheidungen zu treffen, und sehr leicht, sich zu irren, sagt Lundestad. Barack Obama habe für alle Prinzipien gestanden, die dem Komitee wichtig waren. "Die Frage war damals, ob das Komitee ihm zur Hand gehen, seine Rolle stärken sollte." Der Nobelpreis habe Obama dann leider nicht den Schub verliehen, den man erhofft hatte. Immerhin kam er nach Oslo.
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