Wer auf dem Flughafen von Ercan in der Türkischen Republik Nordzypern landet, kommt in ein Land, das es nicht gibt. Ein Land, dessen Beamte bei der Einreise den Pass kontrollieren, das eine Flagge und ein Parlament besitzt, aber keine eigene Währung und Telefonvorwahl. Auch keine Botschaften anderer Länder, beziehungsweise nur eine, die der Türkei. Die teilt mit Nordzypern nicht nur ihre Lira und die Vorwahl +90, sie ist seit längerer Zeit auch noch so freundlich, fast 40 000 Soldaten auf der Insel zu stationieren.
An diesem Sonntag steht in Nordzypern, das nur von der Türkei als Republik anerkannt wird, die Präsidentschaftswahl an. In dem Inselteil, der mitten in Nikosia beginnt, der letzten geteilten Hauptstadt Europas. Auch die Grenze gibt es, wie es heißt, nur de facto: Aus Sicht der griechischen Zyprer im Süden ist der Norden ein Teil Zyperns unter türkischer Besatzung. So sieht es im Prinzip die ganze Welt bis auf die Türkei.
Immerhin, die Kopftuchregelung für Schulen wurde gekippt
Zypern, die geteilte Insel, die Ferieninsel auch, hat eine komplexe Geschichte und einen schwierigen Status quo. Der gilt, seit 1974 die türkische Armee einmarschierte. Zuvor hatte das in Athen herrschende griechische Militärregime in Zypern geputscht, es wollte die Insel mit Griechenland vereinen. Die Türkei besetzte schließlich den ganzen Norden, die dort lebenden Griechen flohen, die Teilung begann.
Diesen Status quo versucht die Regierung in Ankara zu manifestieren. Sie fördert, dass Türkinnen und Türken vom Festland nach Nordzypern ziehen. Die auf der Insel Geborenen, deren Vorfahren über Jahrhunderte mit griechischen Nachbarn zusammenlebten, sehen, wie ihre Republik sich mehr und mehr dem türkischen Festland angleicht. Im Frühjahr protestierten viele dagegen, dass an den Schulen nun das Tragen von Kopftüchern erlaubt sein sollte. Die türkischen Zyprer sind traditionell säkular, der islamisch-konservative Einfluss vom Festland stört sie.
Als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan nach Zypern kam, ließ er die Demonstranten wissen, sie würden „nicht erfolgreich sein“. Er irrte sich, das Verfassungsgericht kippte die neue Kopftuchregelung. Noch existiert auf der Insel ein wenig mehr Rechtsstaat als auf dem Festland. Was nichts daran ändert, dass Erdoğan in Nordzypern eine Art türkisches Protektorat sieht. Er will eine Teilung für immer, eine Zweistaatenlösung, während viele türkische Zyprer noch von einer Vereinigung träumen. Haben sie eine Wahl?
Am Sonntag zumindest auf dem Papier. Sie können den Amtsinhaber abwählen, der kürzlich sagte, er sei „stolz darauf“, als „Mann der Türkei“ zu gelten. Ersin Tatar gefällt sich in der Rolle von Erdoğans Statthalter auf Zypern. Dass er vor fünf Jahren mit 52 Prozent gewann, verdankt er der Unterstützung aus Ankara. Sein Vorgänger war für die Wiedervereinigung der Insel eingetreten.
Sogar Erdoğans Gegner halten an Nordzypern fest
Aktuell liegt Tatar in den Umfragen hinter Tufan Erhürman, einem früheren Premierminister. Erhürman will neue Gespräche über die Zukunft der Insel führen, er ist der Kandidat jener, die noch glauben, dass sich am Status quo etwas ändern könne. Und derer, die sich weniger Einfluss der Türkei wünschen, auch weniger Import der dortigen autoritären Politik. Aber auch Erhürman könnte, sollte er gewinnen, kaum etwas gegen Erdoğans Willen entscheiden. Solange Zypern geteilt ist, steht der Norden unter türkischer Kontrolle.
Für Erdoğan ist die Präsenz auch aus strategischen Gründen wichtig. Die Insel liegt eine halbe Flugstunde vor Libanon, nach Israel ist es kaum weiter. Außerdem wurden im Meer rund um Zypern große Mengen an Erdgas gefunden. Die Türkei will verhindern, dass die Allianz aus Griechenland, Israel und der griechischen Republik Zypern sich das Erdgas allein sichert.
Haben sie also eine Wahl am Sonntag, die nordzyprischen Wähler? In der Theorie. Wichtiger ist für die Zukunft der Insel, wie es im Verhältnis der Türkei zu Europa weitergeht, und ob sich der türkische Präsident einen Vorteil davon verspricht, die Zypern-Frage zu öffnen. Dazu kommt, dass auch Erdoğans Gegner in der Türkei an Nordzypern festhalten.
Zwar schrieb der inhaftierte Präsidentschaftskandidat Ekrem İmamoğlu auf der Plattform X, die Türkei habe „die Pflicht, den Willen der Zyprer zu respektieren“. Allerdings betont seine Partei, die CHP, gern, dass sie regiert hat, als die Armee damals auf Zypern eingriff. Sie ist stolz darauf, dass man die türkische Minderheit vor den Griechen schützte. Auch ein Präsident İmamoğlu würde kaum akzeptieren, was die griechisch-zyprische Seite fordert: den Abzug der türkischen Truppen.
Viel wird sich so bald nicht ändern auf Zypern, egal, wer am Sonntag im Norden vorn liegt. Gewinnt kein Kandidat mehr als 50 Prozent, folgt eine Woche später eine Stichwahl.

