Nordrhein-Westfalen:Zurück in die Kneipen

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Fulminanter Redner: der neue SPD-Landesvorsitzende in Nordrhein-Westfalen, Michael Groschek. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Michael Groschek, der neue Chef der NRW-SPD fordert einen Wandel seiner Partei. In "Zukunftswerkstätten" bastelt sie an einer neuen und auch alten Identität.

Von Jan Bielicki, Düsseldorf

Manchem Basis-Sozialdemokraten geht es gerade allzu schnell. Erst vier Wochen zurück liegt die Wahlnacht, in der Nordrhein-Westfalens SPD ihr schlechtestes Ergebnis in der Landesgeschichte einfuhr, ihre Ministerpräsidentin verlor und damit die Parteichefin noch dazu. Seit Samstag haben die NRW-Sozialdemokraten einen neuen Vorsitzenden: Ein Parteitag in Duisburg hat Michael, parteiintern: "Mike", Groschek zum Nachfolger der zurückgetretenen Hannelore Kraft gewählt.

Auf Kraft folgt Groschek: Gefunden wurde die neue Führung im innersten Zirkel

353 der 412 Delegierten stimmen für Groschek. "Mehr wär' auch gelogen gewesen", sagt der bisherige Verkehrsminister selbst. Es ist ein respektables Resultat angesichts des Unmuts in der Partei. Den bekommt die neue Generalsekretärin Svenja Schulze, bislang Wissenschaftsministerin, heftiger zu spüren, sie erhält nur 283 Stimmen. Vertrauensbeweise sehen anders aus. Vor allem unter Jungsozialisten kursiert eine sarkastische Rechnung: 130 Jahre alt sind der neue Parteichef und der nicht ganz so neue, von den Landtagsabgeordneten im Amt bestätigte Fraktionschef Norbert Römer zusammen. Was manchen Delegierten besonders stört: Gefunden wurde die neue Führung im alten Stil, im ganz kleinen Gremienzirkel.

Dass sich der Ärger darüber in Duisburg nicht Bahn bricht, liegt wohl an der nahenden Bundestagswahl, aber auch an der fulminanten Rede des neuen Vorsitzenden. Der 60-Jährige begeistert die Delegierten, fast zu sehr für seinen Geschmack. Als die Genossen zum Beifall aufstehen, bricht er die Ovationen ab, bevor der Eindruck entstehen kann, die Partei hätte ihre Niederlage schon wieder vergessen. Für die hat sich Groschek zuvor bei der Parteibasis entschuldigt: "Wir haben die Karre vor die Wand gefahren, weil wir uns zu sicher waren", sagt er. Aber vor der Basis Buße zu tun, ist nur ein Teil der Aufgabe, die er sich vorgenommen hat: Er will seine Partei wiederaufbauen, die er so beschreibt: "Wir sind die stolze, gerupfte, angeschlagene, aber nicht niedergeschlagene SPD."

Groschek will nun doch nicht die Bundestagswahl im Herbst abwarten, bevor die Partei den Machtverlust aufarbeitet. "So schnell wie möglich" soll in "Zukunftswerkstätten" an der neuen SPD gebastelt werden. Deren Probleme verortet Groschek gerade in jenen Gegenden, in denen die Partei bis vor Kurzem ihre Hochburgen vermutete. Dort, im Ruhrgebiet, seien nun "die Gipfelkreuze der AfD-Zustimmung", sagt er und die Schuld daran sieht er nicht bei den Wählern der Rechtspopulisten, sondern im Auftreten der Sozialdemokraten selber: "Wir sind als Teil von Die-da-oben begriffen worden." Die Demokratie sei auf dem Rückzug, die Wahlbeteiligung gerade dort niedrig, wo die Ärmeren wohnten. Dort will er die SPD haben, in Kneipen wie der "Kupferkanne" in Duisburg-Rheinhausen: "Ob das drei oder vier Pils kostet", die "werden wir zurückerobern".

Der Partei verspricht Groschek "einen Neuanfang, der sich gewaschen hat". Die NRW-SPD brauche eine "Generalinventur", heißt es in einem vom Parteitag gebilligten Thesenpapier. Sie solle "Ort kontroverser Debatten" und "Talentschuppen" sein, ein "Bündnis der Bessermacher" schmieden und ihre Kampagnenkompetenz stärken. Vor allem aber brauche es in Zeiten von Digitalisierung, zunehmender sozialer Spaltung und Abstiegsängsten eine "eigenständige sozialdemokratische Antwort" - eine Aufgabe, die in ein paar Wahlkampfwochen wohl kaum zu erledigen ist. Bundesparteichef Martin Schulz aber gibt sich optimistisch, was bleibt dem Kanzlerkandidaten auch übrig. Die Partei sei in der Lage, die Niederlage "wegzustecken", sagt er und hört in Duisburg "eine einzige Botschaft: Wir kämpfen für den 24. September und für den Wahlsieg".

Nur eine war nicht da. Hannelore Kraft lässt nur herzlich grüßen. Ihre Facebook- und Twitter-Konten hat die bisherige Ministerpräsidentin bereits in den Tagen zuvor gelöscht.

© SZ vom 12.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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