Süddeutsche Zeitung

Nordrhein-Westfalen:Vorbild wider Willen

Eine CDU-FDP-Koalition in Düsseldorf, so kurz vor der Bundestagswahl: Das hat Strahlkraft für die Bundeshauptstadt. Doch beide Partner sind akribisch darauf bedacht, es ja nicht danach aussehen zu lassen.

Von Jan Bielicki

Es ist dann doch sehr schnell gegangen. Dreieinhalb Wochen nur habe man verhandelt, rechnet Armin Laschet vor. Und nur der Feiertag in dieser Woche verhinderte, dass Nordrhein-Westfalens CDU-Chef zusammen mit dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner den Koalitionsvertrag für die nächsten fünf Jahre auf den Tag genau einen Monat nach der Landtagswahl vorlegen konnten. Sieben Sitzungen der Spitzenverhandler beider Seiten reichten aus, sich auf das 121-seitige Vertragswerk zu einigen. Es gab keine nach außen getragenen Konflikte und keine dramatischen Nachtsitzungen, sondern alle paar Tage ein um die Wette lächelndes christdemokratisch-liberales Duo vor schicker Düsseldorfer Hochhauskulisse, das freudig Verhandlungsfortschritte verkündete. Es war, so preist Laschet am Freitag vor der Landespressekonferenz das Klima zwischen den künftigen Partnern, "ein vertrauensvolles, freundschaftliches, freundliches Miteinander".

Lindner nickt dazu, hat dann aber noch eine zweite Zeitrechnung. Es seien genau 100 Tage bis zur Bundestagswahl, sagt er, "das ist natürlich Zufall, aber trotzdem interessant" - und interessant daran ist gerade, dass er genau darauf hinweist. Schließlich kommt laut einer aktuellen Umfrage der ARD eine schwarz-gelbe Mehrheit, wie sie die Landtagswahl in NRW mit dem knappestmöglichen Vorsprung von einem Mandat hervorbrachte, auch im Bund in den Bereich des Möglichen. Könnte also das Zusammengehen von CDU und FDP im größten deutschen Bundesland Vorbote oder gar Vorbild sein für eine Wiederkehr von Schwarz-Gelb in Berlin? "Wir sind uns durchaus gemeinsam darüber im Klaren, dass wir hier Konturen einer neuen Zusammenarbeit von Freien und Christdemokraten zeigen", sagt Lindner - um anschließend gleich mehrmals zu betonen, seine FDP gehe "als eigenständige Partei" in diese Koalition. "Wir erklären uns sicher nicht zum Vorbild für andere", bremst Laschet bundespolitische Fantasien.

Tatsächlich zeigt keiner von beiden allzu großes Interesse daran, ihr Bündnis im Land mit bundespolitischem Anspruch aufzupumpen - jedenfalls nicht über den Fakt hinaus, dass das, was im 18-Millionen-Einwohner-Land an Rhein und Ruhr passiert, natürlich Bedeutung für ganz Deutschland hat. Noch am Wahlabend schien Lindner bei aller Freude über das 12,6-Prozent-Ergebnis seiner Partei geradezu erschrocken darüber zu sein, dass es plötzlich sogar für Schwarz-Gelb reichte. Die FDP sei nicht "der Wunschpartner von Herrn Laschet, und er ist nicht unser Wunschpartner", legte er damals maximale Distanz zwischen sich und seinen heutigen Verbündeten. Ein angreifbares CDU/SPD-Bündnis in Düsseldorf hätte seiner FDP wohl besser in die Strategie gepasst, sich mit scharfen Attacken gegen große Koalitionen wieder zurück in den Bundestag zu kämpfen. Aber Lindner merkte sehr schnell, dass er sich als Wahlsieger der Regierungsverantwortung nicht entziehen kann. Laschet konnte ganz gelassen abwarten, bis die FDP an den Verhandlungstisch kam - solange nur sichergestellt war, dass in Düsseldorf eben über Düsseldorf und NRW entschieden würde und nicht über Berlin und den Bund.

In ganz großen Lettern machen sie darum schon auf der Titelseite ihrer Vereinbarung deutlich, worum es darin gehen soll, nämlich um "Nordrhein-Westfalen", und der Name, den sie ihrem Bündnis gegeben haben, steht auch gleich darunter: "NRWKoalition". Man werde "keine verlängerte Werkbank für irgendeine Koalition sein", versichert Lindner, "auch nicht der Groko in Berlin". Symbol dieser Distanz ist ein Projekt, dass die neue NRW-Regierung im Bundesrat anstoßen will: ein neues Einwanderungsgesetz, das qualifizierten Migranten den Zuzug nach Deutschland erleichtern soll. Gegen ein solches Gesetz gibt es im Bund großen Widerstand von konservativen Teilen der Union. Für Lindner ist es gerade deshalb ein wichtiges Zeichen dafür, dass er sich von der CDU nicht vereinnahmen lässt. Aber auch Laschet, als liberaler Integrationspolitiker in der CDU profiliert, kann damit gut leben.

Im übrigen geht es im Koalitionsvertrag natürlich um die oft sehr landestypischen Probleme Nordrhein-Westfalens - und dabei um eine in vielen Einzelheiten gar nicht allzu abrupten Abkehr von der Politik der rot-grünen Vorgängerregierung, der oft scharfen Wahlkampftöne zum Trotz. So wollen CDU und FDP mehr Polizisten ausbilden, und zwar im Jahr genau die 2300 Polizeianwärter mehr, die auch SPD und Grüne versprachen. Auch mag Laschet nicht ausschließen, dass der Landeshaushalt dieses Jahres im Minus bleibt. Man hoffe, die von der scheidenden Regierung geplante Neuverschuldung von 1,6 Milliarden Euro nicht zu überschreiten, sagt Laschet. Die Schuldenbremse im Jahr 2020 wolle Schwarz-Gelb einhalten wie von der Verfassung vorgeschrieben. Aber das hatten Rot und Grün ebenfalls versprochen.

Tatsächlich stehen im Koalitionsvertrag einige Punkte, die zunächst einmal viel Geld kosten. Es soll nicht nur mehr Polizisten geben, sondern auch mehr Lehrer, um den Ausfall von Unterricht zu begrenzen. Schon in diesem Jahr sollen deutlich höhere Zuwendungen an die Träger von Kindertagesstätten fließen, genaue Höhe der Ausgaben noch ungenannt. Die Städte und Gemeinden sollen stärker am Steueraufkommen beteiligt werden, so sieht es der Koalitionsvertrag vor. Und auch für die Kultur soll es um 50 Prozent mehr Geld geben als bisher. Genaueres zur Finanzierung dieser Versprechen steht nicht im Vertrag, allerdings versichert Laschet, jede Position sei "mühevoll mit den Haushaltsexperten durchgerechnet" worden. Tatsächlich kann das Land angesichts der boomenden deutschen Wirtschaft weiter mit steigenden Steuereinnahmen rechnen, dazu profitiert Nordrhein-Westfalen künftig mit einer Milliardensumme von der Neuordnung des bundesweiten Länderfinanzausgleichs. Auch dieses Geld in der Landeskasse hat die Koalitionsverhandlungen erheblich erleichtert.

Andreas Pinkwart dürfte FDP-Minister werden, ein alter Bekannter für Laschet

Ganz einfach war die Einigung in jenen Bereichen, bei denen CDU und FDP ohnehin große Gemeinsamkeiten hatten. Darauf, Gymnasiasten im Regelfall künftig wieder in neun Jahren zum Abitur zu führen, konnten sich die Bildungspolitiker beider Parteien schnell verständigen. Ebenso darauf, das Tempo der Inklusion von behinderten Schülern in den Regelunterricht zu drosseln und Förderschulen zu erhalten. Auch die Wirtschaftspolitiker beider Seiten waren sich rasch einig: So soll es etwa schnellere Genehmigungsverfahren für Gründer und andere Unternehmer geben, vor allem grün geprägte Regelungen wie die sogenannte Hygiene-Ampel für Gaststätten und Lebensmittelhändler sollen hingegen wegfallen. Auf Kritik stößt freilich die Absicht, die vorgeschriebene Abstände von Windkrafträdern zu Wohnhäuser auf eineinhalb Kilometer festzulegen - viel Fläche für die Turbinen bleibt im dicht besiedelten Nordrhein-Westfalen dann nicht mehr. Und wo die Einigung nicht ganz so leicht war, akzeptierte die eine Partei, die Grenzen der anderen. So sollen Polizisten künftig auch in NRW Personen verdachtsunabhängig kontrollieren dürfen, aber anders als bei der Schleierfahndung in Bayern auf Wunsch der FDP nur dann, wenn es einen konkreten Anlass dafür gibt.

1500 Euro

So viel sollen Studierende aus dem Ausland künftig pro Semester in Nordrhein-Westfalen zahlen. Das sieht der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag vor und beruft sich dabei ausdrücklich auf das Modell in Baden-Württemberg, wo die grüne Wissenschaftsministerin gerade solche Studienbeiträge durchgesetzt hat. Studierende aus EU-Staaten und Entwicklungsländern sollen jedoch weiter gebührenfrei lernen können, ebenso anerkannte Flüchtlinge und Härtefälle.

Beschleunigt hat die Verhandlungen auch die Tatsache, dass die Beteiligten sich lange und gut kennen. Laschet und Lindner können miteinander, auch deshalb, weil der nach seinem Wahlsieg sehr gelassene CDU-Chef das Ego seines FDP-Partners zu nehmen weiß. Ohnehin will sich Lindner nach der Bundestagswahl Richtung Berlin verabschieden. Wer dann der starke Mann des FDP-Teils der neuen Regierung sein wird, zeichnet sich aber schon ab. Alles läuft darauf hinaus, dass Andreas Pinkwart ein Ministerium für Wirtschaft und Digitalisierung leiten wird. Mit Pinkwart, einem klassischen, umgänglichen, über die Parteigrenzen hinweg respektierten Liberalen, saß Laschet schon von 2005 bis 2010 an einem Kabinettstisch.

Dort sollen nun neun Minister von der CDU und drei von der FDP Platz nehmen. Neben der Wirtschaft übernehmen die Liberalen auch die Verantwortung für Schule, Familie und Integration - dabei soll der Integrationsminister, voraussichtlich der bisherige Fraktionsvize Johannes Stamp, auch bisher beim Innenminister angesiedelte Kompetenzen für Ausländerrecht erhalten. Die anderen Ministerien gehen an Christdemokraten.

Wie genau sich die Ressorts schütteln und wer die Minister sein werden, will Laschet erst am 30. Juni bekannt geben. Dann ist er Ministerpräsident - wenn bei der Wahl drei Tage zuvor im Landtag nichts schiefgeht. Dort wird er zwar keinen Gegenkandidaten haben. Aber Schwarz-Gelb hat eben nur eine Stimme Mehrheit.

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SZ vom 17.06.2017
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