Süddeutsche Zeitung

Nordrhein-Westfalen:Neuwahl als Chance

Die SPD verweigert sich in Düsseldorf, weil sie mit der schleichenden Auszehrung der CDU rechnet. Doch will man tatsächlich etwas verändern, braucht es einen radikalen Neuanfang.

Bernd Dörries

Der Rhein wird auch weiter wissen, in welche Richtung er zu fließen hat, selbst wenn das manche nun bezweifeln im Düsseldorfer Landtag. Dort gibt es jetzt ein Notkabinett ohne Mehrheit, und wahrscheinlich wird es Neuwahlen geben.

Man könne nicht so lange wählen, bis es einem passt, werfen nun die ersten der SPD-Landeschefin Hannelore Kraft vor. Sie gefährde durch ihr Verhalten die Demokratie. Das ist letztlich formaler Unsinn, denn die Demokratie wird nicht gefährdet, selbst wenn noch einmal gewählt werden muss in Nordrhein-Westfalen. Man wird bis dahin sehen, dass ein Bundesland ganz gut auch ohne Regierung bestehen kann, weil das föderale System die Landespolitik zur gehobenen Verwaltung degradiert. Nordrhein-Westfalen funktioniert auch als Staat der Beamten, die sich an Vorschriften halten, nicht an die Wünsche der Bürger.

Will man tatsächlich etwas verändern, dann braucht es keine große Koalition sondern einen radikalen Neuanfang. Hannelore Kraft hat ihn vorgezeichnet, zumindest behauptet, ihn zu wagen. Sie will vor allem ganz andere Schulen, in denen die Kinder mindestens bis zur sechsten Klasse gemeinsam lernen, sie will einen starken Staat, der viele kommunale Aufgaben selbst erledigt, sie will ein Gesetz gegen Dumpinglöhne. Es hat schon fast etwas Idealistisches, mit welchem Verve die SPD die Schulpolitik verändern will. Das mag sinnvoll sein. Es wird es aber einen Aufruhr geben, weil die Eltern zwar wollen, dass alles besser wird, sie aber genauso getrieben sind von der Angst um die eigenen Kinder. Kraft könnte sich also mit ihrer Schulpolitik selbst am meisten schaden.

Alle diese Veränderungen will die CDU nicht, auch wenn sie sich jetzt jeden Tag ein wenig mehr verleugnet und einen weiteren Teil ihres Programmes preisgibt. Man muss befürchten, dass Jürgen Rüttgers dieser Tage unter der geschlossenen Bürotür von Hannelore Kraft hindurchkriechen wird, um noch an der Macht zu bleiben.

Man hat die Situation in Nordrhein-Westfalen immer mit der in Hessen verglichen, die für die SPD traumatisch war. Dort hat Andrea Ypsilanti erst eine Koalition mit den Linken ausgeschlossen und sie dann doch versucht. Ypsilanti ist nun eine Etappe in der Geschichte der SPD geworden, eine Chiffre, wie das Godesberger Programm, nur eine traumatische.

Hannelore Kraft hat sich das ganz genau angeschaut, und man kann sagen, dass ihr größtes Wahlziel war, nicht so zu enden wie die Kollegin in Hessen. Die Zustände sind ohnehin nur bedingt vergleichbar. Ypsilanti hat letztlich gelogen, Kraft hingegen hat ein Links-Bündnis nicht ganz ausgeschlossen, wollte es aber nie, obwohl es ihr die Stimmen brächte, um Ministerpräsidentin zu werden. Selbst wenn Parteichef Siegmar Gabriel eine Minderheitsregierung mit Tolerierung der Linken für eine gute Idee hält - Kraft wird sich damit nicht anfreunden. Sie kann es sich leisten, den Wünschen der Parteiführung zu widerstehen und sagt es den Genossen in Berlin auch ganz deutlich. Sie ist keine Kraftilanti.

Jürgen Rüttgers und die CDU benehmen sich dagegen wie Roland Koch in Hessen. Sie wollen das Problem aussitzen. Rüttgers aber verfügt nicht über die Härte seines Kollegen, die es bräuchte, um Abnutzungsschlachten zu überstehen. Und ihm fehlt das stützende Umfeld. Die Entwicklung in der CDU ist deshalb absehbar: Die Partei ist nicht stark genug, um Rüttgers zu sagen, dass er abgewählt wurde. Sie ist aber ebenso wenig stark genug, um seinen Abgang zu verkraften. So muss sie es mit Rüttgers aushalten, der sich selbst Programm genug ist. Die CDU hat die historische Chance vergeben, etwas zu verändern im tiefrot verkrusteten Nordrhein-Westfalen. Nun bleibt ihr lediglich ein Ergebnis: Die SPD kann wieder behaupten, dass an Rhein und Ruhr das Herz der Sozialdemokratie schlägt.

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Quelle:
SZ vom 14.06.2010
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