Nordrhein-Westfalen:Ein Faktencheck zur NRW-Wahl

Wahlplakate NRW

Den Wahlkampf führen die Parteien in NRW nicht nur mit Plakaten - sondern häufig auch mit Zahlen. Nur beweisen die nicht immer das, was die Wahlkämpfer belegen möchten.

(Foto: dpa)
  • Die Kandidaten in NRW bekämpfen sich häufig mit Statistiken.
  • Damit kommen sie zu ganz unterschiedlichen Aussagen darüber, wie es dem Land in Sachen Bildung, Infrastruktur und Sicherheit geht.
  • Eine gründliche Analyse zeigt: Die Bilanz ist gemischt, und manche Statistik beweist nicht das, was die Wahlkämpfer mit ihr belegen möchten.

Von Jan Bielicki, Düsseldorf

Wahltag ist immer Zahltag, aber in Nordrhein-Westfalens Wahlkampf scheinen Zahlen eine ganz besonders wichtige Rolle zu spielen. Fast im Tagestakt präsentiert die Landesregierung zum Wahlkampfschluss Werte, die sie günstig aussehen lassen.

Einbrüche im ersten Jahresquartal? Um dreißig Prozent gesunken im Vergleich zum gleichen Vorjahreszeitraum, lässt Innenminister Ralf Jäger (SPD) melden. Die CDU zeigt in ihrem Wahlspot dagegen eine knallrot leuchtende Laterne. NRW sei "Schlusslicht bei Bildung, Infrastruktur und Sicherheit", sagt Oppositionsführer Armin Laschet aus dem Off.

Die Staus werden immer länger - aber das ist anderswo auch so

Wo also steht das Land nach sieben Jahren Rot-Grün? Die Bilanz ist gemischt, und manche im Wettstreit um die Macht im Land gebrauchte Statistik beweist bei genauerem Hinsehen nicht wirklich, was Wahlkämpfer damit belegen möchten. NRW ist Stauland Nummer eins, so lautet etwa ein besonders populärer Vorwurf.

In der Tat addierten sich laut ADAC die gemeldeten Staus des Jahres 2016 zu einer Strecke, die zehnmal um die Erde reicht. Seit Beginn der rot-grünen Regierungszeit hat sich die Länge der Schlangen auf den Autobahnen in NRW verdreifacht. Für Pendler gar nicht schön - aber die Entwicklung ist anderswo laut ADAC auch nicht besser, im Gegenteil: In ganz Deutschland stehen Autofahrer sogar gut viermal so lange im Stau wie noch sieben Jahre zuvor.

Dazu kommt die einmalige Struktur des Bundeslandes. In NRW leben so viele Menschen auf so engem Raum zusammen wie in keinem anderen Flächenland. Mehr als ein Fünftel der Einwohner Deutschlands ist hier zu Hause, zehn der zwanzig größten deutschen Städte liegen an Rhein, Ruhr, Wupper und zwei westfälischen Flüsschen namens Aa. Hier fährt ein Fünftel aller deutschen Autos auf einer Fläche halb so groß wie Bayern. NRW war deshalb schon immer Stauland Nummer eins, egal wer in Düsseldorf regierte.

Umgekehrt relativiert die Bevölkerungsdichte das Eigenlob der Landesregierung, beim Breitband-Ausbau für das Internet unter allen Flächenländern ganz vorne zu liegen. In Städten erreicht eben jeder Kilometer verbuddelter Glasfaserkabel deutlich mehr Haushalte als auf dem Land.

Ein Drittel aller Einbrüche passierten 2016 in NRW - neu ist das aber nicht

Die Verstädterung Nordrhein-Westfalens bestimmt auch andere Zahlen. In der Anonymität der Städte ist die Kriminalität höher als auf dem Dorf. Dennoch: Verglichen mit Berlin, Hamburg, Bremen, Hannover oder Leipzig geht es laut Bundeskriminalamt im Ruhrgebiet - immerhin dem größten städtischen Ballungsraum der Republik - eher weniger kriminell zu.

Mit einer Ausnahme: Ein Drittel aller angezeigten Einbrüche in Deutschland passierten 2016 in NRW - so war das aber auch schon, als noch CDU und FDP regierten. Doch seit 2010 sind trotz des deutlichen Rückgangs im vergangenen Jahr die Einbruchszahlen insgesamt weiter gestiegen, allerdings nicht ganz so stark wie im übrigen Bundesgebiet. Rot-Grün stellt heute jährlich fast doppelt so viele Polizisten neu ein, wie es die Vorgängerregierung zuletzt getan hat.

NRW gibt wenig pro Student aus - bildet aber auch mehr aus

Besonders heftig schlagen sich die Wahlkämpfer die Zahlen zur Bildungspolitik um die Ohren. Die Opposition stützt ihre scharfe Kritik auf Ranglisten, auf denen NRW 2014 nach Ausgaben pro Schüler auf dem vorletzten, pro Student sogar an letzter Stelle aller Bundesländer verharrte. Die Landesregierung verweist darauf, dass sie die Ausgaben für Schulen und Hochschulen in den vergangenen sieben Jahren stärker gesteigert habe als die meisten anderen Länder. Beides ist richtig.

Misst man aber nur ein wenig anders, liegt NRW in Sachen Bildungsausgaben nicht weit hinter, sondern ein bisschen vor dem oft als Vorbild gehandelten Bayern. So gibt Rot-Grün in NRW für die Bildung jedes Einwohners unter 30 Jahren sogar ein paar Euro mehr aus als die CSU-Regierung in München. Das hat vor allem einen Grund: NRW bildet mehr junge Leute aus als andere Länder, an seine Schulen gehen nicht nur in absoluten Zahlen deutlich mehr Schüler als im Süden Deutschlands. An den nordrhein-westfälischen Hochschulen sind gar doppelt so viele Studenten eingeschrieben wie in Bayern. 28 Prozent aller Studierenden Deutschlands lernen hier, das sind weit mehr als es dem Bevölkerungsanteil des Landes entspricht.

Im Rest Deutschlands wächst die Wirtschaft schneller

Größte Schwachstelle der Landesregierung aber ist die Wirtschaft. Zwar ist sie im vergangenen Jahr um 1,8 Prozent und damit annähernd im Takt mit der deutschen Volkswirtschaft gewachsen. Auch gibt es 720 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze mehr als noch 2010, und die Arbeitslosenquote ist auf den niedrigsten Stand seit 1993 gesunken. Doch war das Wachstum in der übrigen Bundesrepublik deutlich höher, der Rückgang der Arbeitlosenzahlen deutlich steiler.

Mögen manche Regionen wie das östliche und südliche Westfalen brummen wie sonst nur der Süden der Republik, sind Teile des Ruhrgebiets wirtschaftliche Problemzone geblieben. Und obwohl das Land den meisten der zuvor hoch verschuldeten Kommunen wieder zu finanzieller Handlungsfähigkeit verholfen hat, liegen die Schulden der öffentlichen Haushalte weiter klar über dem Bundesschnitt. 2016 schloss der Landeshaushalt zwar dank sprudelnder Steuereinnahmen erstmals seit 1972 mit einem kleinen Plus ab, für 2017 hat Finanzminister Norbert Walter-Borjans aber 1,6 Milliarden Euro Neuverschuldung eingeplant.

Und trotz des Slogans von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, "Kein Kind zurücklassen", waren Ende 2016 mehr Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren auf Hartz IV angewiesen als noch vor sieben Jahren - der Grund dafür ist allerdings auch in den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zu entdecken: Der Zuwachs geht ausschließlich auf nicht-deutsche Kinder zurück. Die neuen Armen sind die Kinder der Flüchtlinge und der EU-Zuzügler aus Südosteuropa, die so in die Statistiken Eingang finden - und in den Wahlkampf.

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