Einen Monat vor der Europawahl ist die EU bereits zentrales Thema bei einer Abstimmung im Südosten des Kontinents: In Nordmazedonien, das seit 2005 im Status des Beitrittskandidaten verharrt, wählen die Bürgerinnen und Bürger an diesem Mittwoch sowohl ihr Parlament als auch ihr Staatsoberhaupt. Den Prognosen zufolge könnte die Wahl in eine Abkehr des Landes von seinem zeitweise sehr ambitioniert proeuropäischen Kurs münden.
Über die Präsidentschaft hatten die Menschen in Nordmazedonien bereits am 24. April in erster Runde abgestimmt, und das Ergebnis kündete von einem deutlichen Stimmungsumschwung im Land: Die von der nationalkonservativen Oppositionspartei VMRO-DPMNE (Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation - Demokratische Partei für Mazedonische Nationale Einheit) unterstützte Kandidatin Gordana Siljanowska-Dawkowa holte gut 40 Prozent der Stimmen - doppelt so viele wie der sozialdemokratische Amtsinhaber Stewo Pendarowski.
Die Präsidentschaftskandidatin spricht von "Demütigungen"
Wenn sich der Trend bei der Stichwahl an diesem Mittwoch nicht völlig überraschend umkehrt, dann bekommt das ex-jugoslawische Land eine Präsidentin, die einige der Reformen der vergangenen Jahre zumindest deutlich infrage stellt: Die sozialdemokratische Regierung habe dem eigenen Land "Demütigungen" zugefügt, sagte Gordana Siljanowska-Dawkowa im Wahlkampf, alles um den Preis einer Annäherung an EU und Nato, die sie selbst zwar nicht grundsätzlich ablehnt, allerdings fordert sie andere Bedingungen dafür.
So verwehrt sie sich etwa dagegen, dass ihr Land allzu große Zugeständnisse an den Nachbarn Bulgarien macht: Dessen Regierung verlangt als Bedingung dafür, dass es einen EU-Beitritt Nordmazedoniens nicht blockiert, unter anderem verfassungsmäßig verankerte Rechte für die kleine bulgarische Minderheit in dem Land. Eine andere Botschaft steckte bereits in Siljanowska-Dawkowas Wahlslogan: "Stolz für Mazedonien".
So hieß das Land, bevor die sozialdemokratische Regierung sich 2018 darauf einließ, den Namen in Nordmazedonien zu ändern - als Zugeständnis an den südlichen Nachbarn Griechenland, der andernfalls die Annäherung des Landes an EU und Nato blockiert hätte, weil er sich die historische Hoheit über die Region Mazedonien und deren mächtigsten Sohn aller Zeiten, Alexander den Großen, nicht streitig machen lassen will. Die Umbenennung hatte die Sozialdemokraten bereits Sympathien gekostet, und die diversen Rückschläge, die das Land seither auf dem erhofften Weg in Richtung EU-Mitgliedschaft hinnehmen musste, schienen den Gegnern recht zu geben.
Ein weiteres Hauptthema: die Korruption
Ob die VMRO-DPMNE, wenn sie wie prognostiziert auch die Parlamentswahl deutlich gewinnt und die künftige Regierung stellt, tatsächlich die Umbenennung rückgängig machen würde, ist fraglich, doch im Nachbarland verfolgt man die Entwicklungen bereits aufmerksam: Das Prespa-Abkommen, mit dem die beiden Staaten 2018 den Namensstreit beigelegt haben, sei "eine Grundbedingung für das Voranschreiten von Nordmazedoniens EU-Beitrittsprozesses", sagte Griechenlands Außenminister Giorgos Gerapetritis Ende April im Parlament in Athen.
Ein weiteres Hauptthema im Wahlkampf war die Korruption im Land, die trotz aller Bekämpfungsversprechen weiter grassiert, wie etwa ein Bericht der EU-Kommission zuletzt erneut bestätigt hat. Hristijan Mitskoski, Vorsitzender der VMRO-DPMNE und möglicher künftiger Premierminister, wirft der sozialdemokratischen Regierung vor, sie sei für eine "Pandemie" der Korruption verantwortlich.
Allerdings hat seine eigene Partei bei dem Thema selbst eine alles anderes als weiße Weste vorzuweisen: Der letzte Premier, den sie stellte, Nikola Gruevski, wurde 2018 wegen Amtsmissbrauchs zu neun Jahren Haft verurteilt. In einer spektakulären Aktion, bei der mutmaßlich ungarische Beamte mithalfen, flüchtete Gruevski daraufhin nach Budapest, wo er unter der Ägide seines Freundes Viktor Orbán seither offiziell politisches Asyl genießt.
Möglicherweise also braucht es gar nicht den Widerstand der Nachbarn Bulgarien und Griechenland, um Nordmazedonien auf seinem Weg zum EU-Beitritt weiter auszubremsen.