Südosteuropa:Flüchtling Nummer eins

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Nikola Gruevski ist vier Mal in Nordmazedonien verurteilt worden. Er war dort bis 2016 zehn Jahre lang Regierungschef, als das Land noch Mazedonien hieß. (Foto: Boris Grdanoski/AP)

Nordmazedoniens Ex-Premier ist zum vierten Mal zu einer Haftstrafe verurteilt worden - in Abwesenheit. Denn er genießt Asyl bei einem langjährigen politischen Verbündeten: Ungarns Premier Viktor Orbán.

Von Tobias Zick, München

Es ist das nächste Urteil, das Nikola Gruevski nur mäßig beeindrucken dürfte. Das Strafgericht von Skopje, der Hauptstadt von Nordmazedonien, hat den ehemaligen Premier des Landes zu neun Jahren Haft verurteilt, wegen Amtsmissbrauchs: Demnach hat Gruevski während seiner Amtszeit ein Gebäude, das einer seiner politischen Gegner gerade errichten ließ, niederreißen lassen; unter dem Vorwand, es fehle dafür die Baugenehmigung. Der Anklage zufolge sollte der Mann mit dem Abbruch dafür bestraft werden, dass er sich von Gruevski abgewandt und mit seiner Partei die Regierungskoalition verlassen hatte. Neben Gruevski wurden auch sein damaliger Transportminister sowie ein Bürgermeister von Skopje zu Haftstrafen verurteilt.

Für Nikola Gruevski, der von 2006 bis 2016 die frühere jugoslawische Teilrepublik regierte, ist es bereits die vierte Verurteilung zu einer Haftstrafe. 2018 sprach ihn dasselbe Gericht in Skopje des Amtsmissbrauchs beim Kauf eines Mercedes schuldig; das Berufungsgericht bestätigte das Urteil - doch statt die zweijährige Haftstrafe anzutreten, verschwand Gruevski aus Nordmazedonien. Wenige Tage später meldete er sich mit einem Facebook-Eintrag zu Wort - aus Budapest: "Heute hat die Republik Ungarn, ein Mitglied der EU und der Nato, meinen zuvor eingereichten Antrag auf politisches Asyl positiv beschieden", schrieb Gruevski im November 2018. Der Grund für seinen Asylantrag: "politische Verfolgung" in seinem Heimatland.

Für die Opposition in Ungarn bestand von vornherein kein Zweifel daran, dass die politische Nähe Gruevskis zu Ungarns Premier Viktor Orbán überaus hilfreich war, um das Asylverfahren zu beschleunigen - während Orbáns Regierung sonst alles daransetzte, ihr Land als Bollwerk gegen Migration in die EU in Szene zu setzen. In genau diesem Punkt hatte er seinen Kollegen Gruevski auch früher in dessen Wahlkampf unterstützt: Mit dessen Bemühungen, die Balkanroute abzuriegeln, ähnlich wie es Ungarn tat, erweise sich Gruevski als "Politiker, dem die Interessen seines Volkes über alles gehen", lobte Orbán.

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Mit dem ungarischen Premier teilt er auch die Diffamierung von George Soros

Mit Gruevskis Flucht aus seinem Heimatland allerdings, das seinerzeit noch Mazedonien hieß, (ohne den Zusatz "Nord-"), habe man nichts zu tun, ließ die ungarische Regierung verlauten. Außenminister Péter Szijjártó erklärte, bei Gruevskis Asylverfahren handle es sich um eine rein juristische, nicht um eine politische Angelegenheit. Ein Sprecher von Orbáns Fidesz-Partei allerdings schlug kurz darauf andere Töne an: In Ungarn habe ein Politiker um Asyl ersucht, den "eine linke Regierung - die offensichtlich unter dem Einfluss von George Soros steht - in diesem Augenblick verfolgt und bedroht." Der aus Ungarn stammende US-Investor Soros, der mit seinen Börsengewinnen zivilgesellschaftliche Organisationen finanziert (und auch Fidesz in der Frühphase gefördert hatte), wird von Orbán seit Jahren als Staatsfeind behandelt und unter anderem mit der Schmähung überzogen, er wolle Europa mit Migranten "fluten". Ähnlich hatte Gruevski immer wieder über Soros gesprochen.

Nach und nach förderten internationale Medien Details über Gruevskis Flucht nach Budapest zutage. Demnach hatte er in der ungarischen Botschaft in der albanischen Hauptstadt Tirana seinen Asylantrag eingereicht - und reiste von dort mit Beihilfe und in Begleitung ungarischer Diplomaten über Montenegro und Serbien nach Ungarn, wo er bis heute lebt. Zwei weitere Urteile gegen sich verfolgte er später vom sicheren Exil aus. Wie das nordmazedonische Justizministerium auf SZ-Anfrage bestätigte, hat das Land von Ungarn die Auslieferung Gruevskis gefordert; dies habe das ungarische Justizministerium mit Verweis auf dessen Recht auf Asyl abgelehnt. Die Regierung in Budapest ließ eine Bitte der SZ um Stellungnahme unbeantwortet.

Der Ministerpräsident in Budapest und sein nordmazedonischer Ex-Kollege lagen bei der Flüchtlingspolitik auf einer Linie: Viktor Orbán. (Foto: BERNADETT SZABO/REUTERS)

In Ungarn ist der Fall Gruevski weiterhin ein Politikum; vor der ungarischen Parlamentswahl im April hatte der Oppositionskandidat Péter Márki-Zay angekündigt, im Falle eines Wahlsiegs werde er dafür sorgen, dass "kriminelle Migranten, die von Fidesz ins Land geholt wurden", ausgewiesen würden. Als Beispiel nannte er Nikola Gruevski; ihn werde man an Nordmazedonien ausliefern. Doch unabhängig davon, wie leicht man so ein politisches Vorhaben hätte rechtlich durchsetzen können: Márki-Zay verlor die Wahl, Orbán sitzt gestärkt im Amt - und sein Schützling aus Nordmazedonien darf sich wohl in seinem Exil umso sicherer fühlen.

Recherchen des ungarischen Wirtschaftsportals mfor.hu zufolge hat Gruevski im Juli vergangenen Jahres in einem Dorf 20 Kilometer von Budapest ein Unternehmen gegründet; eine Beratungsfirma namens I.C.I.C., die nebenbei auch Konzessionen für den Handel mit Porzellan, Putzmitteln und Getränken sowie für Vermögensverwaltung und PR hat. Laut mfor.hu hat die Firma bereits im ersten halben Jahr nach Gründung etwa 10 000 Euro Gewinn gemacht.

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Die USA haben Sanktionen gegen den einstigen Regierungschef verhängt

Im April hat die US-Regierung Sanktionen gegen Gruevski verhängt; in der Begründung heißt es, seine Flucht nach Ungarn habe den Bemühungen um Korruptionsbekämpfung in Nordmazedonien einen "schweren Rückschlag" versetzt. Gruevski selbst hat die Urteile gegen ihn immer wieder als politisch motiviert bezeichnet. Das Justizministerium in Skopje wollte zu dem Vorwurf keine Stellung nehmen. Zur Wahrheit gehört freilich auch: Der Rechtsstaat des EU-Beitrittskandidaten Nordmazedonien hat nach wie vor Defizite, das bestätigt etwa der jüngste Fortschrittsbericht der EU-Kommission. Der Organisation Freedom House zufolge bestehen in dem Land nach wie vor "Bedenken bezüglich der Effizienz und der Unabhängigkeit der Justiz."

Ganz Ähnliches schreibt Freedom House freilich auch über Gruevskis Gastland, das EU-Mitglied Ungarn, wo es eine Reihe von Beispielen politischer Einflussnahme auf die Justiz gibt. Das von Orbán regierte Land ist den Kriterien der Organisation zufolge seit 2019 nur noch "teilweise frei" - und steht damit auf demselben Niveau wie Nordmazedonien.

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