Süddeutsche Zeitung

Raketentest Nordkorea:Kim Jong-un blufft

Nach dem erneuten Raketentest fürchten Beobachter eine Zuspitzung im Konflikt zwischen den USA und Nordkorea. Doch wie ernst die Bedrohung wirklich ist, zeigt sich an der innerkoreanischen Grenze - und da bleibt alles ruhig.

Kommentar von Christoph Neidhart, Tokio

Alles ruhig, alles wie immer, melden die Waffenstillstandsbeobachter von der innerkoreanischen Grenze, an der sich in sechs Jahrzehnten eine Routine eingespielt hat. Diese ist in den vergangenen Monaten nie unterbrochen worden, obwohl Nordkoreas Diktator Kim Jong-un Raketen gestartet hat und er und US-Präsident Donald Trump sich gegenseitig mit bombastischen Drohungen überboten haben. Auch am frühen Dienstagmorgen blieb es ruhig an der Grenze, als Nordkorea eine Hwasong-12 über die japanische Nordinsel Hokkaido hinweg in den Pazifik abfeuerte.

Japan dagegen löste einen nationalen Alarm aus und stoppte die Shinkansen-Züge. Kurz danach telefonierte Premier Shinzo Abe mit US-Präsident Trump: Jetzt sei nicht die Zeit, mit Nordkorea zu verhandeln, da waren sich die beiden einig.

Vor wenigen Tagen noch hatte Trump onkelhaft bemerkt, Diktator Kim Jong-un beginne, Respekt zu zeigen. US-Außenminister Rex Tillerson hatte den Norden für seine Zurückhaltung während der amerikanisch-südkoreanischen Manöver sogar etwas gelobt. Kim will jedoch nicht gelobt, sondern gefürchtet werden. Aus Sicht Pjöngjangs wäre Letzteres eher eine Vorbedingung für Verhandlungen.

Kim hat mit diesem Raketentest sein Gesicht gewahrt. Wie zu erwarten hat er von seiner Drohung Mitte des Monats abgesehen, Raketen in Richtung der US-Insel Guam ins Meer zu schießen. Aber er hat gleichwohl in den Pazifik geschossen, bloß 3500 Kilometer weiter nördlich. Er wollte Guam ohnehin nicht treffen, sondern - wie jedes Jahr - die gemeinsamen Manöver des Südens mit den USA stören.

Der Tourismus entlang der Demilitarisierten Zone geht unverändert weiter

Gewiss, Raketen und Atomwaffen verlagern die potentielle Kampfzone und entziehen sie somit dem Blick der Militärbeobachter an der innerkoreanischen Grenze. Und Pjöngjangs Provokationen sind nicht nur gefährlich, weil sie einen gewaltsamen Konflikt auslösen könnten, den niemand will. Raketenteile könnten auch ungewollt ein Flugzeug, ein Schiff oder sogar eine Siedlung treffen. Außerdem verbieten mehrere UN-Resolutionen Pjöngjang jegliche ballistischen Versuche.

Doch selbst diese Risiken vermögen die Truppen und ihre Kommandos beider Seiten der innerkoreanischen Grenze nicht zu beunruhigen. Der Tourismus entlang der Demilitarisierten Zone (DMZ) geht unverändert weiter, nicht nur im Süden, auch im Norden.

Die Lage an der Grenze bildet, selbst wenn Raketen die potentielle Kampfzone weit weg verschieben, weiterhin den Schlüssel zur Beurteilung des Konflikts. Nordkorea blufft, das versteht man auch in Washington.

Sollten die USA einen Präventivschlag erwägen oder nur entfernt mit einem effektiven Raketenangriff Pjöngjangs rechnen, den sie ohne Zweifel mit einem eigenen Angriff vergelten würden, dann müssten beide Seiten mit der konventionellen Fortsetzung der so begonnen Auseinandersetzung rechnen. Und diese würde an der innerkoreanischen Grenze ausbrechen. 40 Kilometer von Seoul, wo fast 200 000 Amerikaner leben. Die könnte Trump nicht im Stich lassen.

Ein konventioneller Krieg erfordert Monate der gut sichtbaren Vorbereitungen, darauf deutet nichts hin. Woraus folgt: Bisher ist das alles nur Säbelrasseln.

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