Süddeutsche Zeitung

Ernteausfälle:Nordkorea droht die nächste Hungersnot

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Von Christoph Neidhart, Tokio

Nordkorea hat Iran um humanitäre Hilfe gebeten, berichteten Medien in Teheran diese Woche. Das isolierte Land sei von der "schlimmsten Dürre seit 100 Jahren" heimgesucht, so die staatliche Nachrichtenagentur KCNA in Pjöngjang. Ein Drittel der Reisfelder ist ausgetrocknet. Im Winter fiel zu wenig Schnee, jetzt bleibt der Monsun aus. Die Hungersnot vor 20 Jahren forderte 240 000 bis 350 000 Menschenleben, zwei bis drei Prozent der Nordkoreaner. Nun wächst Angst vor einer ähnlichen Katastrophe.

Nordkorea kann sich auch in guten Jahren nicht selbst versorgen, die Sommer sind zu kurz, das Klima zu rau. Zudem erleidet das Land häufig Überschwemmungen. Klimaveränderung und Abholzung vieler Wälder haben die Lage verschlimmert. Die Nordkoreaner müssen jeden Sommer befürchten, Teile der Ernte zu verlieren. Doch die aktuelle Dürre übertrifft jene Ausfälle vielfach. Eine Lokalzeitung in Yanbian, dem autonomen Koreaner-Bezirk Chinas an der Grenze, berichtet, auch die Versorgung mit Trinkwasser sei gestört, weil damit private Gemüsegärten bewässert würden. Nach Schätzung des Welternährungsprogramms (WFP) wird in den wichtigsten Reisregionen nur die halbe Ernte erwartet.

Im Norden der koreanischen Halbinsel lässt sich Reis nur mit viel Dünger kultivieren

Pjöngjang ist auf Importe angewiesen. Selbst bei normalen Ernten fehlen 100 000 bis 200 000 Tonnen Getreide jährlich. Laut UN ist ein Drittel aller Kinder in Nordkorea unterernährt. Dem Norden fehlen Devisen, um Getreide zu kaufen. Das WFP will helfen, doch es hat zu wenig Geld, deshalb hat es sein Programm Ende Juni vorerst beendet. Andere Hilfsorganisationen zögern, weil Nordkorea ihnen nicht erlaubt, die Verteilung ihrer Lebensmittel zu kontrollieren. Und Südkorea stoppte seine Hilfe nach Zwischenfällen auf See, wegen des Atomprogramms und der aggressiven Rhetorik.

Idealerweise wäre Nordkorea ein Industriestandort, der seine Lebensmittel größtenteils importiert. Doch schon Kim Il Sung, der Großvater Kim Jong Uns, setzte auf Selbstversorgung. Er nannte das "Juche"-Ideologie und meinte, seine isolierte Diktatur sei so unabhängiger. Im Norden der koreanischen Halbinsel aber lässt Reis sich nur mit viel Dünger kultivieren. Den erhielt Pjöngjang aus Südkorea - bis Seoul die Lieferungen vor vier Jahren einstellte.

Der junge Kim hat die Wirtschaft zaghaft liberalisiert

Die Lage lässt sich aber nicht mit der vor 20 Jahren vergleichen. 1995 brach nach einer Dürre die staatliche Versorgung zusammen. Damals war jede Privatwirtschaft verboten, auch den Bauern, es gab keinen Ausweg. Der junge Kim hat die Wirtschaft zaghaft liberalisiert, vor allem die Landwirtschaft. Die Bauern, bisher Landarbeiter in Kollektiven, dürfen nun kleine Teams bilden, selbst entscheiden, was sie pflanzen. 2014 konnten sie 30 Prozent der Ernte behalten oder selbst vertreiben. Dieses Jahr sollen es 60 Prozent sein. Das hat die Erträge verbessert, trotz einer mäßigen Dürre fuhr Nordkorea 2014 eine sehr gute Ernte ein.

Doch zeigt eine Studie aus Seoul, das Potenzial, Ernten zu steigern, sei mit der Halbprivatisierung 2014 ausgeschöpft. Den Bauern fehlen Saatgut, Dünger, Geräte, Maschinen, Treibstoff - und nun auch noch Wasser. Das Regime, bisher zuständig für die Versorgung der Kollektive, stiehlt sich aus der Verantwortung, indem es den Bauern die Entscheidungen überträgt. Zudem lässt sich bei Engpässen nicht mehr auf die Parallelwirtschaft ausweichen, weil die in die offizielle Landwirtschaft integriert ist. Die Menschen müssen für immer mehr Lebensmittel Marktpreise zahlen.

Der Reformschub ist gestoppt

Der Russe Andrei Lankov, Professor an der Kookmin-Uni in Seoul und einer der besten Kenner Nordkoreas, berichtet überdies, der Reformschub, der auch die Industrie aus der zentralen Planung lösen sollte, sei gestoppt worden. Entweder wegen Richtungskämpfen im Regime, oder Kim habe die Meinung geändert. Auch private Märkte, die für den Vertrieb von Agrarprodukten wichtig sind, werden wieder eingeschränkt: Männer unter 60 Jahren dürfen dort nicht mehr arbeiten. Weil auch Nordkoreas Rohstoffexporte nach China schrumpfen, wichtigste Devisenquelle, und die Preise für Eisen und Kohle eingebrochen sind, ist das Regime auf Hilfe angewiesen. Die Musan-Mine, größte Erzgrube, hat 10 000 Bergleute entlassen, anderen den Lohn gekürzt.

Skeptische Experten wie der Soziologe Randall Ireson, der zehn Jahre ein kirchliches Landwirtschaftsprogramm in Nordkorea leitete, fragen aber, ob Pjöngjang die Dürre nicht übertreibe, um den "Markt für humanitäre Hilfe zu bespielen". Er verweist auf Wetterdaten, nach denen es im Norden geregnet hat, nur nicht genug.

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SZ vom 04.07.2015
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