Am Donnerstagmorgen ließ Nordkorea dann wieder seine Raketen sprechen. 18 Missiles gleichzeitig feuerte das Regime von Machthaber Kim Jong-un Richtung Ostmeer. Das meldete am Freitag die nordkoreanische Arbeiterpartei-Zeitung Rodong Sinmun, nachdem der Generalstab der südkoreanischen Streitkräfte (JCS) tags zuvor berichtet hatte, von Pjöngjang aus seien mindestens zehn Flugkörper Richtung Ostmeer geflogen, dem Anschein nach Kurzstreckenraketen. Diese mächtige Raketen-Salve wirkte wie die Zugabe zu einer eher kuriosen nordkoreanischen Attacke, die südkoreanische Behörden am Mittwoch beschäftigt hatte. In der Nacht waren aus dem Norden nämlich rund 260 große Ballons mit gefüllten Müllsäcken über die demilitarisierte Grenzzone hinüber in den kapitalistischen Teil der koreanischen Halbinsel geschwebt. Nordkorea hatte die Aktion angekündigt und bekannte sich offen dazu. Kim Jong-uns Schwester und Propaganda-Beauftragte Kim Yo-jong bezeichnete die Müllballons in einer Erklärung als "aufrichtige Geschenke an die Kobolde der liberalen Demokratie, die nach der 'Garantie der Meinungsfreiheit schreien'".
Nordkoreas Parteidiktatur ringt um Aufmerksamkeit und Zeichen der Stärke im großen geopolitischen Theater Ostasiens. Verschiedene Mittel sind ihr recht, sogar Müll, wie man sieht. Und sie lenkt auch ungerührt von Rückschlägen ab, denn die Woche hatte eigentlich nicht gut begonnen für Kim Jong-un.
Am Montag trafen sich in Seoul zum ersten Mal seit mehr als vier Jahren die führenden Staatsleute Chinas, Japans und Südkoreas zu einem Dreier-Gipfel. Japan und Südkorea wollten auch Nordkoreas atomare Aufrüstung zum Thema machen. Unmittelbar vor dem Treffen lenkte Pjöngjang die Aufmerksamkeit auf sich, indem es ankündigte, einen neuen Geheimdienstsatelliten ins All zu schießen. Die Trägerrakete startete dann auch, aber explodierte wenig später. Südkoreas Regierung glaubte auch zu wissen, warum: weil Nordkorea nach internationalem Recht nicht die Teile bekommt, die man für eine solche Operation braucht. Die Sanktionen der internationalen Gemeinschaft seien "wirksam gegen Nordkoreas illegale Atom- und Raketenaktivitäten", sagte am Mittwoch ein Beamter aus dem Präsidialamt in Seoul.
Plastikflaschen, Schuhe und Fäkalien
Aber Nordkorea legte nach. Die großen weißen Ballons mit der schmutzigen Fracht senkten sich über Feldern und Straßen Südkoreas, vor allem in der Grenzregion, aber auch Hunderte Kilometer weiter südlich. Die Menschen in den betroffenen Gebieten wurden aufgerufen, die gelandeten Objekte nicht anzufassen. Spezialeinheiten des Militärs sammelten sie ein, um sicherzugehen, dass sie nicht giftig, biologisch bedenklich oder radioaktiv waren. Es gab keine Berichte von größeren Schäden. Es blieb bei der offiziellen Darstellung, dass die Müllsäcke vor allem Plastikflaschen, Batterien, Teile von Schuhen und Fäkalien enthielten. Der Präsidialamtssprecher tat die Ballons als "psychologische Kriegsführung" ab und sagte: "Wir werden mit Ruhe reagieren."
Die Geschichte der Ballon-Propaganda von Süd nach Nord und Nord nach Süd reicht zurück bis in den Korea-Krieg von 1950 bis 1953. Heute sind Ballons vor allem für private Menschenrechtsaktivisten in Südkorea das Verkehrsmittel der Wahl, um die Menschen auf der anderen Seite der Grenze mit regimekritischen Flugblättern und Produkten aus der kapitalistischen Konsumwelt zu versorgen. Für Nordkoreas Propagandamaschine sind solche Sendungen eine ernste Gefahr. Schon zwischen 2016 und 2018 revanchierte sich die Regierung in Pjöngjang mit Müllballons. Jetzt also wieder.
Südkoreas Ex-Präsident Moon Jae-in hatte während seiner Amtszeit Ballonaktionen gegen Nordkorea per Gesetz verbieten lassen, damit sich Kim Jong-un nicht mehr ärgert. Aber das Verfassungsgericht hat das Gesetz kassiert, weil es die Meinungsfreiheit verletze. Der prominente Kim-Jong-un-Kritiker Park Sang-hak kann also weitermachen mit seinen Ballon-Aktionen. Kürzlich erklärte er, er habe 300 000 Flugblätter sowie 2000 USB-Sticks mit K-Pop und anderer südkoreanischer Musik auf den Weg gebracht. Pjöngjang kündigte Vergeltung mit "Bergen von Altpapier und Dreck" an. In der Nacht zum Mittwoch passte dann der Wind für das Vorhaben.
Der Raketentest vom Donnerstag war gewöhnlicher. Es war der zweite in diesem Monat, nachdem Nordkorea am 18. Mai eine atomwaffenfähige ballistische Rakete mit angeblich autonomem Navigationssystem abgefeuert hatte. Raketentests gehören zu Nordkoreas Sprache der Abschreckung. Südkorea, die USA und Japan beobachten sie genauer denn je. Seit Dezember teilen die drei Länder Echtzeitdaten von solchen Ereignissen.
So dürfte es weitergehen auf der koreanischen Halbinsel: mit Raketentests und mit Müllballons aus Nordkorea. Aktivist Park Sang-hak plant schon die Vergeltung für die Vergeltung. "In den vergangenen Tagen war der Wind günstig für Kim Jong-un", sagte er dem Fachportal NK News, "aber der Wind wird sich wieder drehen." Kim Jong-uns mächtige Schwester Kim Yo-jong wiederum sprach davon, dass auch diese Vergeltung wieder vergolten werde, und alle weiteren auch: "Wir werden pro Fall Dutzende Male mehr Müll verstreuen, als bei uns verstreut wird." Wirklich sauber war der Koreakonflikt noch nie. Jetzt wird er dreckig.