Die Drohnenkrise zwischen den beiden Koreas ging am Montag weiter. In einer kleinen Serie aus Statements wiederholte Nordkoreas autoritäre Regierung, dass es mit einem Angriff reagieren würde, falls noch einmal Drohnen aus dem demokratisch regierten Südkorea über die Grenzzone fliegen. Die Krise hatte am Freitagabend begonnen, als Pjöngjang behauptete, eine südkoreanische Drohne habe am 3., 9. und 10. Oktober regimekritische Flugblätter über Nordkorea abgeworfen. Kim Yo-jong, die Schwester und Propagandabeauftragte von Machthaber Kim Jong-un, drohte Seoul am Wochenende über die staatliche Nachrichtenagentur KCNA mit einer „schrecklichen Katastrophe“. Das Verteidigungsministerium stimmte ein. Und ab Sonntagabend war nach nordkoreanischen Angaben die Grenzartillerie „in Bereitschaft, das Feuer zu eröffnen“. Möglicherweise brachte Nordkoreas Militär sogar Atomraketen in Position.
Es war nicht zu erwarten, dass beide Seiten eine weitere Eskalation riskierten. Allerdings trug die konservative Regierung in Südkorea am Wochenende wenig zur Entspannung bei. Ein klares Dementi zu dem Drohnenvorwurf war von Seoul nicht zu hören. Der Generalstab der südkoreanischen Armee erklärte, dass er „die Echtheit der Behauptungen Nordkoreas“ nicht prüfen könne und schob gleichzeitig „die volle Verantwortung für die jüngste Serie von Zwischenfällen“ Pjöngjang zu. Grund: Die vielen Ballons mit angehängten Müllsäcken, die Nordkorea seit Monaten nach Südkorea schweben lässt. Am Sonntag antwortete Südkoreas Verteidigungsministerium auf Kim Yo-jongs Warnung seinerseits mit einer Warnung: Nordkorea werde „das Ende seines Regimes“ erleben, wenn Südkoreaner bei einem Angriff zu Schaden kämen. Und Sicherheitsberater Shin Won-sik sagte: „Sofern es nicht Suizid begehen will, wird Nordkorea keinen Krieg beginnen, glaube ich.“
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Geopolitik:Kampf um den Pazifik
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Die südkoreanische Regierung tritt bisweilen ähnlich drohend auf wie der Norden
Es ist eine schlechte Eigenschaft der Regierung von Präsident Yoon Suk-yeol im reichen Südkorea, dass sie bisweilen ähnlich drohend auftritt wie Parteidiktator Kim und seine Leute im verarmten Nordkorea. Und sollte der Drohnenvorwurf tatsächlich stimmen, wäre das ein Hinweis darauf, dass Seoul das schlechte Verhältnis mit Pjöngjang auf gefährliche Weise überstrapaziert. Denn feindliche Drohnen über Pjöngjang wären ein Ernstfall, über den sich das Regime sicher nicht nur künstlich aufregt.
Mit Ballons lassen private Aktivisten wie der bekannte Überläufer Park Sang-hak seit Jahren regimekritische Flugblätter und westliche Produkte in den Norden schweben, um damit die Menschen an der Propaganda der Parteidiktatur vorbei zu informieren. Nordkoreas Regierung fand das schon immer schlimm genug. Aber sie konnte die Ballons wohl doch verkraften. Der Wind weht nur an wenigen Tagen des Jahres so, dass er Ballons von Südkorea aus in den Norden tragen kann, sie erreichen eher selten ihr Ziel. In Nordkorea ist es umgekehrt, dort weht der Wind meistens günstig für Ballonaktionen. Deshalb konnte Pjöngjang seit Mai ein paar Tausend Ballons mit Müllladungen über die Grenzzone zum verhassten Bruderstaat schicken.
Aber Drohnen sind eine andere Nummer. Das hat Kim Yo-jong auch in ihrer jüngsten Wutrede klargemacht: Drohnen seien nun mal weltweit als tödliche Präzisionswaffen bekannt. Außerdem sind Drohnen nicht vom Wind abhängig. Mit ihnen könnte man die Staatspropaganda viel effektiver unterwandern als mit billigen Ballons. Und Propaganda ist das Fundament, auf dem Kim Jong-uns Herrschaft aufgebaut ist. Darin ist alles verboten, was den Eindruck vermittelt, es gebe ein schöneres Leben außerhalb Nordkoreas, also nicht nur Kritik an Kim Jong-un, sondern auch scheinbar unpolitische Filme, Fernsehserien oder Musik aus der freiheitlichen Welt.
Wie ernst das Regime die Propaganda nimmt, sieht man daran, wie hart es straft, wenn jemand gegen die Verbote verstößt. Unterhaltung aus den USA oder Südkorea kommt auf verschiedenen Wegen nach Nordkorea. Aktivisten verwenden besagte Ballons oder Flaschenpostsendungen, die an der Küste angespült werden. „Aber dann gibt es ja auch den normalen Frachtverkehr an der Landesgrenze zu China, über die viel geschmuggelt wird. Und jetzt auch wieder viel Personenverkehr“, erklärt der deutsche Politikwissenschaftler und Nordkorea-Experte Martin Weiser auf SZ-Anfrage via E-Mail aus Seoul. Speicherkarten und USB-Sticks mit einnehmendem Material sind selbst für Nordkoreas wachsame Behörden schwer zu entdecken. „Ab und zu wird erzählt, dass nordkoreanischen Händlern diese Sticks ungefragt zugesteckt werden oder ungefragt in den Paketen einer Bestellung liegen“, schreibt Weiser. Außerdem gebe es sicher auch größer angelegten Schmuggel über spezialisierte Netzwerke.
Wer westliche Filme sieht oder Lieder hört, der muss öffentlich büßen. Mindestens
Auch ohne Drohnen kommen also mehr Hollywood-Romanzen und südkoreanische K-Pop-Songs ins Land, als Kim Jong-un lieb ist. Und sie werden wohl zudem mehr gemocht, als ihm lieb ist. Kims Regime ist in den vergangenen Jahren deshalb härter denn je gegen Entertainment aus dem Ausland vorgegangen. Abschreckung ist dabei ein wichtiges Werkzeug. Wer Videos oder Schriftwerke mit verbotenen Inhalten importiert oder verteilt, riskiert lebenslange Haft oder sogar die Todesstrafe.
Selbst wer sich die Unterhaltung aus der Konsumwelt nur ansieht oder anhört, sollte sich nicht erwischen lassen. Erst im September veröffentlichte der südkoreanische Sender KBS Ausschnitte eines Lehrvideos aus Nordkorea, das die Landsleute offensichtlich vor den Folgen unerlaubten Medienkonsums warnen soll. Es zeigt Mädchen und junge Frauen in Büßerhaltung vor Gericht. Ihre Namen, ihre Schulen, ihre Arbeitsplätze, sogar die Arbeitsplätze ihrer Eltern werden genannt. In einem anderen Ausschnitt gesteht ein junger Soldat vor einem Publikum aus anderen Soldaten: Er habe mit seinem Handy 15 amerikanische Filme, 17 südkoreanische Trickfilme und 127 Videos angesehen sowie „etwa 160 Marionetten-Lieder angehört“; so heißen Lieder aus Südkorea, das Nordkoreas Regime gerne als „Marionetten-Staat“ der USA bezeichnet. Die Mutter des Soldaten klagt, dass sie „keinen Sohn, sondern einen Verräter“ zur Welt gebracht habe. Und aus dem Off sagt ein Erzähler: „Dieser bösartige Tumor“ müsse bekämpft werden, „als ginge es um Leben und Tod“.
Drohnen könnten die verführerischen Inhalte aus der freiheitlichen Welt gezielt im Land verteilen. Das kann das Regime nicht zulassen. Auch deshalb haben die jüngsten Drohungen der nordkoreanischen Führung eine andere Qualität als die üblichen Tiraden aus Pjöngjang gegen die USA und Südkorea.