Nordkorea scheitert mit Raketentest:Der unfehlbare Kim patzt und sät Zweifel

Scheitern ist nicht vorgesehen, Nordkorea ist immer Sieger. Umso schlimmer ist für Kim Jong Un der Absturz des Satelliten "Heller Stern", der trotz massiver Proteste ins Weltall befördert werden sollte. Das Dogma der Unfehlbarkeit ist dahin, die Macht des jungen Diktators könnte darunter leiden. Beobachter warnen vor einer Trotzreaktion.

Michael König

Die Arbeiterzeitung ist nicht ganz auf dem Laufenden: "Erfahrene Wissenschaftler, Experten und Journalisten aus aller Welt sind eingeladen, den Start des Satelliten Kwangmyongsong-3 zu verfolgen", berichtet Rodong Sinmun (Stand: 13.4.2012), das Zentralorgan der Kommunistischen Partei Nordkoreas. Durch den Start werde man die erfolgreiche Weltraumforschung des Landes weiter vorantreiben.

Welch ein Irrtum: Tatsächlich explodierte die Unha-3-Rakete mitsamt der teuren Fracht wenige Minuten nach dem Start in etwa 151 Kilometern Höhe, wie das südkoreanische Verteidigungsministerium beobachtete. Der "Heller Stern" getaufte Satellit verglühte, Trümmerteile stürzten ins Gelbe Meer - und mit ihnen sinnbildlich auch Kim Jong Uns Traum vom großen Coup.

Ungeachtet internationaler Proteste hatte der nordkoreanische Diktator den Satellitenstart forciert - als Symbol der Stärke, pünktlich zum 100. Geburtstag seines Großvaters, des 1994 gestorbenen "Ewigen Führers" Kim Il Sung. Zwei Tage vor dem Start war Kim Jong Un zum Parteisekretär der KP gewählt worden. Kwangmyonsong-3 sollte einen weiteren Beweis erbringen, dass Kim Jong Un knapp vier Monate nach dem Tod seines Vaters und Vorgängers Kim Jong Il der unumstrittene Herrscher Nordkoreas ist.

Diktator mit Autoritätsproblem

Westliche Experten sehen nicht zuletzt in dem Alter des Diktators - er ist, je nach Quelle, 28 oder 29 Jahre alt - ein Autoritätsproblem. Die "ererbte Grundausstattung mit Legitimität" sei bei Kim Jong Un "eher bescheiden", urteilt Rüdiger Frank, Nordkorea-Experte der Universität Wien. "Er muss sich die für eine stabile Herrschaft nötige Menge erwerben." Vor diesem Hintergrund ist der Satelliten-Fehlschlag ein Desaster. Genauer: die Propaganda-Festspiele des Regimes in Pjöngjang, die mit dem Raketenstart einhergingen.

Da war ja nicht nur die großspurige Einladung an Wissenschaftler in aller Welt, gemeinsam an der Weltraumforschung zu arbeiten. In der Woche vor dem Satellitenstart organisierte das Regime zusätzlich eine Art Foto-Safari für ausländische Journalisten und lud 50 Reporter ein, dem Raketenstart beizuwohnen - zur Sicherheit in einem Raum in Pjöngjang, nicht direkt an der Abschussrampe in Sohae.

Musik statt schlechter Nachrichten

Unter den Besuchern war auch Ed Flanagan, China-Korrespondent des Senders NBC, der das absurde Geschehen in Pjöngjang via Twitter schilderte: "Keine Liveberichterstattung, keine Nachrichten von der Regierung bezüglich des Starts. Alle Informationen kommen von externen Quellen", schrieb Flanagan. Später, als sich die Nachricht vom missglückten Start verbreitete, fügte er hinzu: "Nordkoreanische Aufpasser sagten uns, wir sollten uns für den Aufbruch zu einem Musikfestival bereit machen. Dann gingen sie schnell weg."

Musik statt schlechter Nachrichten - das würde zum gewohnten Verhalten Nordkoreas passen. Umso erstaunlicher, dass sich die staatliche Nachrichtenagentur KCNA veranlasst sah, einen dünnen Fünfzeiler zu veröffentlichen, der auch auf der englischen Website auftauchte: Der Satellit habe "den Eintritt in den Orbit verfehlt". "Wissenschaftler, Techniker und Experten suchen nun nach der Ursache des Fehlers."

Zwar sind Fehlstarts in der Raumfahrt nichts Ungewöhnliches, wie Andreas Schütz vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln betont: "Raumfahrt ist noch immer eine Technologie am Rande des technisch Möglichen. Es gibt eine gewisse Sicherheitsmarge, aber es kann trotzdem etwas schief gehen." Aber dass Nordkorea den Fehler offen eingesteht und ihn als solchen bezeichnet, ist dennoch eine Sensation.

Angst vor einer atomaren Antwort

Scheitern ist in der nordkoreanischen Ideologie nicht vorgesehen, der Führer gilt als unfehlbar. Das Eingeständnis des Fehlstarts zieht dieses Dogma plötzlich in Zweifel. Der Spott des Westens - bei Twitter kursierte kurz darauf ein verändertes Plakat des Films "Failure to launch" mit Sarah Jessica Parker, in dem es um einen Nesthocker geht, der das Elternhaus nicht verlassen will - ist dabei das geringere Problem. Die Binnensicht ist das viel größere: "Nordkoreaner werden den Fehler absurd finden, weil es in der Geschichte des Landes noch nie einen Fehler gab", wird ein Exil-Nordkoreaner in amerikanischen Medien zitiert.

Ryoo Kihl-Jae, Wissenschaftler an der Universität von Seoul, sieht darin im Gespräch mit der Washington Post einen "empfindlichen Moment" für die Herrschaft Kim Jong Uns. Zwar werde das Regime deswegen "keine Proteste erleben, aber es kann ein gewisser Zweifel aufkommen".

Zweifel sind der Feind einer Diktatur, die darauf basiert, dass die Menschen zugunsten des Militärs Hunger und Armut ertragen. Das Satellitenprogramm wurde ihnen von der Propaganda jahrelang als Weg zu einer besseren Zukunft verkauft. Was wird aus dieser Zukunft, wenn der Satellit in Trümmern im Gelben Meer versinkt?

"Um zu zeigen, dass sie es können"

Das Regime wird versuchen müssen, diesen Gedanken im Keim zu ersticken. "Sie werden die Schwierigkeiten der Raumfahrt betonen und die großen Anstrengungen, die weiterhin nötig sind", glaubt ein südkoreanischer Nordkorea-Analyst. Ein anderer wird mit der Einschätzung zitiert, Nordkorea werde das Eingeständnis des Fehlers als Symbol für mehr Transparenz benutzen.

Ein langfristigerer Ansatz könnte sein, den Fehlschlag mit einem neuen Symbol zu übertönen. Etwa mit einem Test nuklearer Sprengwaffen. Genau davor warnen Experten der US-Regierung hinter vorgehaltener Hand. "Sie werden es machen, einfach um zu zeigen, dass sie es können".

Der von Kim Jong Un anfangs eingeschlagene Entspannungskurs gegenüber dem Westen wäre dann wohl passé. Noch im Februar hatte Kim Jong Un im Westen Hoffnungen erweckt. Nordkorea einigte sich damals mit den USA auf ein Moratorium für Atom- und Raketentests, im Gegenzug sollte das Land dringend benötigte Nahrungsmittellieferungen bekommen.

"Danke für das Feuerwerk"

Den Amerikanern ist die Lust auf Entspannung wegen des Raketenstarts gründlich vergangen - zumal Präsident Barack Obama im Wahlkampf Härte beweisen muss, um die Vorurteile der Republikaner nicht zu bestätigen. Und auch Südkorea, dessen konservative Regierung den kommunistischen Norden in sehr gedämpftem Ausmaß unterstützt, dürfte angesichts der Provokationen vergrätzt sein.

Im Volk wächst - wieder einmal - die Wut auf den Norden, wie Einträge in Internetforen nahelegen: "Pjöngjang sollte sich selbst versorgen. Geld haben sie offensichtlich", ist dort zu lesen. Oder auch, mit reichlich Sarkasmus: "Danke, wir haben das Feuerwerk sehr genossen."

Mitarbeit: Bastian Brinkmann, Markus Schulte von Drach

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