Süddeutsche Zeitung

Nordkorea:Kims Kurswechsel mahnt zur Vorsicht

Nordkoreas Diktator verspricht ein Raketentest-Moratorium und wünscht Gespräche mit dem Süden. Was wird der Preis sein, den er fordert?

Kommentar von Stefan Kornelius

Nachrichten aus Nordkorea sind prinzipiell mit Vorsicht zu genießen, weil nichts, aber auch wirklich nichts daran überprüfbar ist. Wenn es Konstanten gibt in der Geschichte dieses Landes, dann ist es einerseits die Unberechenbarkeit und die Sprunghaftigkeit der Politik - und andererseits die eisenfeste Fokussierung auf ein einziges Ziel: den Selbsterhalt des Kryptoregimes und des Familienclans an dessen Spitze.

Mit all dieser Erfahrung aus der Vergangenheit stellt sich also eine simple Frage: Warum? Warum will Machthaber Kim Jong-un ausgerechnet jetzt diese Annäherung an den Süden? Warum verspricht er ein Raketentest- und ein Sprengmoratorium? Und kann es wirklich stimmen, dass Kim mit den USA über den Abbau der Atomwaffen verhandeln würde, wenn er im Gegenzug Sicherheitsgarantien für sein Land erhält?

All das sind große Fragen, existenzielle Fragen für eine der gefährlichsten Krisenregionen der Welt. Derart gefährlich ist die koreanische Nuklearrüstung, dass es fahrlässig wäre, wenn man jetzt nicht die Chance ergriffe und nach einer Antwort suchte - im Gespräch miteinander. Immerhin ist Kim den USA bedingungslos entgegengekommen, indem er einen Teststopp für die Zeit der Gespräche verspricht. Aber: Der Kurswechsel ist auch derart rasant und undurchsichtig, dass er vor allem Misstrauen weckt.

Kims Schwenk passt einfach nicht in das strategische Kalkül, das sein Land bisher verfolgte. Um das Regime zu erhalten, musste es unantastbar gemacht werden. Das bedeutete: Abschreckung mit allen Mitteln, auch Nuklearwaffen, und Abschottung gegen alle Einflüsse von außen. Diese Strategie ging auf. Nun aber leitet das Regime einen radikalen Kurswechsel ein, dessen Ziel sich auf den ersten Blick nicht erschließt.

Damit entsteht eine Ungewissheit: So wie Aufrüstung und Nukleartests mit Gefahren verbunden waren, so kann auch die plötzliche politische und militärische Deeskalation zu einer unkalkulierbaren Situation führen - sowohl für den Norden, für den jede Öffnung mit hohem Risiko verbunden ist, als auch für den Süden, der sich schnell in der Fantasie einer vereinten Nation verliert. Allein: Korea war noch nie ein moderner Nationalstaat, die Halbinsel war stets geteilt, zerstückelt, besetzt - Opfer externer Kräfte.

Der Diktator spielt wieder Jo-Jo, aber das Misstrauen sollte keine Gespräche behindern

Die eigentlichen Motive für die Annäherung werden also noch eine Weile im Dunkeln liegen. Ökonomischer Zwang, die Sanktionen, haben das Regime nicht wirklich erweicht. Es fand immer Schlupflöcher. Auch der politische Druck aus China erscheint nicht ausschlaggebend. Und die Gefahr eines amerikanischen Präventivschlags ist ungeachtet aller Haudrauf-Rhetorik von Donald Trump gering.

Die gängige Deutung der Ereignisse: Nordkorea könnte die Entspannungspolitik suchen, weil es sich seiner Sache sicher ist. Das Land ist nun eine Nuklearmacht und es beherrscht die Raketentechnologie weitgehend. Dieses Wissen wird ihm niemand nehmen. Ob es tatsächlich zu einem Abbau des Nukleararsenals kommt, ist mehr als ungewiss. Die Aussicht auf eine Denuklearisierung könnte aber als Köder für direkte Abrüstungsgespräche mit den USA dienen. Doch was wird der Preis sein? Die Forderung nach einem amerikanischen Abzug von der Halbinsel?

Nordkorea ist ein Rätselreich, das seit Jahrzehnten nur Unheil exportiert. Der Sinneswandel von Kim Jong-un fasziniert - und mahnt zur Vorsicht.

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Quelle:
SZ vom 07.03.2018
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