Nordkorea:Kim hat sich seine Träume erfüllt

Nordkoreas Bluff mit den Atom- und Raketentests hat funktioniert. Machthaber Kim Jong-un katapultiert sich auf Augenhöhe mit dem US-Präsidenten.

Kommentar von Christoph Neidhart

Nordkorea hat mit seinem Atomprogramm mehr erreicht, als man sich in Pjöngjang je erträumen konnte. Die Raketen, von denen die meisten Experten überzeugt sind, dass sie noch längst nicht gefechtstauglich waren - und vielleicht nie sein würden -, haben den jungen Machthaber Kim Jong-un auf Augenhöhe mit dem US-Präsidenten katapultiert. Mit dem Gipfel in Singapur hat er den bisher größten Schritt getan, Nordkoreas Isolation zu überwinden.

In den vier Abschlusserklärungen, die Kim und Trump unterzeichneten, vereinbaren beide Seiten, auf einen Frieden auf der Koreanischen Halbinsel hinzuarbeiten. Dazu gehört auch die "komplette Denuklearisierung" der Halbinsel. Washington gibt Kims Regime dafür eine Sicherheitsgarantie. Im Wortlaut ist der Text der Erklärungen noch nicht veröffentlicht - eine hat Trump allerdings gut lesbar in die Kameras gehalten. Auf jeden Fall aber hat Nordkoreas Bluff mit den Atom- und Raketentests funktioniert.

Nordkorea kann nie die Absicht gehabt haben, seine Atomwaffen einzusetzen. Jetzt scheint das Regime bereit, sie aufzugeben. Kim wusste, dass ein tatsächlicher Einsatz von Atomwaffen Selbstmord gewesen wäre. Manche Experten glauben, Nordkorea hätte selbst einen Vergeltungsschlag mit konventionellen Waffen vermieden, falls Trump Nordkorea eine "blutige Nase" verpasst, wie er den "chirurgischen Schlag" nannte, den er Nordkorea angedroht hatte. Die größte Gefahr der Massenvernichtungswaffen liegt einerseits in der Weiterverbreitung. Das Land hat Atomtechnik und Raketen zum Beispiel an Syrien verkauft. Und andererseits im Risiko eines Unfalls, der weite Teile Nordkoreas, allenfalls auch Südkorea und den Nordosten Chinas radioaktiv verseuchen könnte.

Pjöngjang hielt Atomwaffen bisher für die billigste Lebensversicherung des Regimes. Je lauter die Auseinandersetzung zwischen Washington und Pjöngjang wurde, desto mehr drohte es mit Atombomben. Inzwischen scheint Kim verstanden zu haben, dass das Atomprogramm ihn eher gefährdet - zumal Trump es mit der "blutigen Nase" ernst zu meinen schien. Zur Abschreckung der Amerikaner genügen Kim konventionelle Waffen, so die 10 000 Artillerie-Kanonen, die unmittelbar nördlich der innerkoreanischen Grenze auf Seoul gerichtet sind. Diese Abschreckung soll nun in einem langen Prozess der Vertrauens- und Friedensbildung überflüssig gemacht werden. Trump sagte, er wolle auch China und Südkorea an dem Friedensvertrag beteiligen.

Trump berichtete zudem, erst nach der Unterzeichnung der Erklärungen habe Kim ihm zugesagt, er werde jene Anlage sofort demontieren lassen, mit der Nordkorea Raketenantriebe teste. Detail-Verhandlungen auf Arbeitsgruppen-Ebene zwischen Nordkorea und den USA sollen bereits in der kommenden Woche beginnen. Er selber werde Kim wieder treffen, zu gegebener Zeit auch in Pjöngjang, dann werde er Kim auch ins Weiße Haus einladen.

Überraschend einigten sich Kim und Trump auch über eine Rückführung der sterblichen Überreste amerikanischer Soldaten, die im Koreakrieg gefallen sind. Auch zur Verbesserung der Menschenrechte sei der Prozess, den er und Kim nun angeschoben hätten, der beste Weg.

Die Vorwürfe mancher Experten, Trump hätte nicht hart genug auf eine sofortige Denuklearisierung gepocht, gehen am Ziel vorbei. Trump hat Kim nicht zur Kapitulation gezwungen - damit hätte er den Gipfel zum Platzen gebracht -, sondern Nordkorea den Ausweg aus seiner Sackgasse geebnet, den der südkoreanische Präsident Moon Jae-in vorgespurt hat.

So ist auch Trumps Ankündigung zu lesen, die USA und Südkorea werden künftig keine Großmanöver mehr veranstalten. Das würde Nordkorea provozieren, außerdem seien diese "'Kriegsspiele', wie ich sie nenne", so Trump, viel zu teuer. Ein Kommentator im südkoreanischen Fernsehen meinte dazu, es scheine, Südkoreas Präsident Moon habe die Schlusserklärungen entworfen. Und nicht - wie behauptet - Trumps Sicherheitsberater John Bolton.

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