Am Ende ist die Osterbombe ausgeblieben. Nordkoreas Diktator Kim Jong-un ließ am Geburtstag seines Großvaters keinen nuklearen Sprengsatz zünden. Dann scheiterte auch noch sein Raketentest. Der Welt blieb erst einmal das Bangen vor einer Kurzschlussreaktion von US-Präsident Donald Trump und einer Eskalation erspart. Kurzes Aufatmen also. Aber die Lage bleibt gefährlich. Das mag man auch an der Nervosität Chinas sehen, dessen Außenminister am Freitag gesagt hatte, der Konflikt könnte "jederzeit" ausbrechen. Die New York Times spricht von einer "Kubakrise in Zeitlupe": Da gärt ein brisanter Mix aus nationalen Empfindlichkeiten, großen Egos und tödlichen Waffen.
Die Bombe hat das Regime in Pjöngjang wohl schon länger; dass sie jetzt schon kompakt genug ist, um damit eine Rakete zu bestücken, daran zweifeln Experten noch. Vor allem aber scheint das Regime allmählich seinem Ziel einer Interkontinentalrakete näherzukommen, die in der Lage sein würde, Sprengköpfe bis in die USA zu transportieren.
Und dann sind da die beiden Kontrahenten. Auf der einen Seite der junge Kim Jong-un: Er muss sich noch im eigenen Apparat beweisen. Auf der anderen Seite Donald Trump: Seine Mannschaft verkündet fast täglich, die Zeiten der "strategischen Geduld" seien vorüber. Nun kann man die Politik von Trumps Vorgängern aus vielerlei Gründen kritisieren, wenn aber die Ära der strategischen Geduld abgelöst wird von einer Ära der waghalsigen Sprunghaftigkeit und unberechenbaren Drohgebärden, dann macht das die Welt zu einem viel gefährlicheren Ort.
Trump kann nicht nur mit der Geduld nicht viel anfangen, mit Strategie hat er bislang ebenso wenig am Hut. Es ist kaum zu glauben, aber bis heute sind nicht nur der US-Botschafterposten in Südkorea vakant, sondern auch führende Positionen in der Rüstungskontrolle und der Asienabteilung des US-Außenministeriums. Sachverstand ersetzt Trump durch machohafte 140-Zeichen-Tweets.
Deshalb ist der eigentlich Unberechenbare im Moment der US-Präsident. Die Führer in Pjöngjang nämlich mögen zwar an der Eskalationsschraube drehen, aber sie tun das bislang auf ziemlich berechenbare Weise. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Großvater, Vater und Enkel Kim waren zu keinem Zeitpunkt verrückt. Ihr Handeln folgt im Gegenteil einer inneren Logik, die man durchaus als rational bezeichnen kann: Das alles überragende Ziel ist das Überleben ihres Regimes, eingeklemmt zwischen zwei Großmächten: den offen feindseligen USA und dem misstrauischen Nachbarn China.
Kim Jong-un mag ein skrupelloser Tyrann sein, ein Selbstmörder ist er nicht. Die Bombe ist seine Lebensversicherung. Ein nuklearer Erstschlag ist von diesem Regime deshalb auch nicht zu befürchten, denn darauf folgte seine Auslöschung. Sehr wohl zu befürchten ist allerdings, dass auf Provokationen Gegenprovokationen folgen und schließlich ein konventioneller Krieg ausbricht, der allein auf der koreanischen Halbinsel Millionen Todesopfer fordern könnte.
Wenn die USA das nicht riskieren wollen, dann können sie nur auf Diplomatie setzen. Dazu braucht es erst einmal Alliierte, allen voran China, die einzige Macht, die noch einen Rest an Einfluss hat in Pjöngjang. Die Regierung in Peking könnte dem Regime die Überlebensgarantien geben, die es brauchte. Aufgeben wird Kim die Bombe nicht mehr, aber vielleicht kann man ihn dazu bringen, sein Atomprogramm erst einmal einzufrieren. Das verlangt aber am Ende Berechenbarkeit. Eine USA, der man als Verhandlungspartner täglich eine neue Volte zutraut, macht jeden Dialog unmöglich. Auch der potenzielle Mittler China würde den Teufel tun, mit einem solchen Partner eine wirkliche Kooperation einzugehen.