Nordkorea:Die Macht ruht im Mausoleum

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Nordkoreas Diktatur stützt sich auf den schamlos übersteigerten Personenkult um den toten Kim Il Sung. Davon profitiert sein Sohn und nun wohl auch sein Enkel, der zum künftigen Landesführer auserkorene Kim Jong Un.

Henrik Bork, Peking

Die Krönung des Enkels begann mit einer tausendfachen Verbeugung vor dem Leichnam des Großvaters. Nordkoreas Parteidelegierte mussten am Montag gemeinsam das Mausoleum Kim Il Sungs besuchen. Erst am Tag nach diesem Ritual sollte dann ihre wichtigste Parteikonferenz seit drei Jahrzehnten beginnen. Zuerst aber betraten sie alle das Allerheiligste, die Männer im besten Sonntagsanzug, die schwarzen Haare adrett gescheitelt, die Frauen in traditioneller Tracht.

Auf dem Parteitag in Pjöngjang werden die Weichen für die Zukunft der nordkoreanischen Diktatur gestellt: Kim Jong Un, Sohn des Präsidenten Kim Jong Il, wurde in den Generalsrang erhoben. Er ist noch nicht einmal 30 Jahre alt. (Foto: dpa)

Der 1994 verstorbene Altdiktator Kim liegt im obersten Stockwerk seines Mausoleums in Pjöngjang unter einer Glasplatte aufgebahrt. Die pompöse Inszenierung dieses Mausoleumsbesuchs war nicht nur bizarr, sie verdeutlicht auch das wichtigste Instrument, mit dem es der Kim-Clan geschafft hat, die erste kommunistische Erbdynastie der Weltgeschichte aufzubauen: einen schamlos übersteigerten Personenkult, der nicht einmal mit dem Tod seines Protagonisten enden durfte.

Elektrisch angetriebene Rollbänder wie in einem Flughafen ließen die Delegierten fast lautlos durch die langen Hallen gleiten, deren Wände mit Granit und feinstem Marmor verkleidet sind. Jeweils am Ende eines Ganges mussten sie vom Band treten, um die Ecke schreiten, um dann auf einem weiteren, schier endlosen Band tiefer und tiefer in das riesige Mausoleum vorzudringen. Das Monumentalbauwerk ist der ehemalige Präsidentenpalast. Um des Ex-Diktators Arbeits- zur letzten Ruhestätte umzubauen, wurden die Fenster des Präsidentenbüros im obersten Stockwerk einfach zugemauert.

Nach einer Fahrt durch mehrere Geschosse, vorbei an stummen Uniformierten, rollten die Besucher dann im Obergeschoss über mehrere rotierende Schuhbürsten. Anschließend mussten sie durch eine Schleuse mit mehr als zwei Dutzend Druckluft-Düsen treten, die ihnen auch noch das letzte Staubkorn von den Schultern blies. Gänzlich gesäubert durften sie endlich in einer großen Halle vor den Sarg Kims treten und sich tief verbeugen.

Schluchzen im Mausoleum

Der "ewige Präsident" Nordkoreas ruht dort angetan mit einem westlichen Anzug und roter Krawatte, bis zur Brust mit einer roten Flagge bedeckt. Normalerweise ist in diesem Raum stets ein unterdrücktes Schluchzen zu hören. Viele Nordkoreaner, die von Kindesbeinen an mit dem Personenkult aufgewachsen sind, reagieren äußerst emotional auf den Anblick der sterblichen Hülle des alten Generals.

Der Personenkult war neben dem strengen Regime des Militärs und den Arbeitslagern der wichtigste Kitt, der die ausgehungerte und isolierte Nation zusammenhielt. Eine der großen Fragen nach dem Tod Kim Il Sungs im Jahr 1994 hatte gelautet, ob dieser Kult so ohne weiteres auf den Sohn übertragen werden könne. Manche Beobachter hatten damals vorhergesagt, der zum Erben seines Vaters gekürte Kim Jong Il werde die Macht bald wieder verlieren, weil in Pjöngjang und anderswo nur riesige Statuen seines Vaters stehen. Doch die Nordkoreaner wurden einfach gezwungen, in jeder Schule, in jedem Wohnzimmer neben dem Porträt des Vaters auch noch ein Porträt des Sohnes aufzuhängen.

Und sechzehn Jahre nach dem Erbfall ist "Kim der Zweite" zwar gesundheitlich sichtbar angeschlagen, scheint aber immer noch unangefochten an der Macht zu sein. Am Dienstag zumindest, nachdem die Delegierten an einem weiteren Kim-Il-Sung-Denkmal im Zentrum Pjöngjangs vorbeidefiliert waren und in ihrem Sitzungssaal Platz genommen hatten, wählten sie Kim Jong Il erneut zum Generalsekretär der Arbeiterpartei, einstimmig selbstverständlich, unter "stürmischem Applaus", wie die Nachrichtenagentur KCNA schrieb.

Kurz zuvor hatte eine Nachrichtensprecherin des Staatsfernsehens zum ersten Mal den Namen des Mannes ausgesprochen, der nun mit Hilfe des Personenkultes um seinen Großvater allmählich zum nächsten Alleinherrscher über ein nuklear bewaffnetes Land aufgebaut werden sollte. Kim Jong Un, der jüngste Sohn Kim Jong Ils, sei zum Vier-Sterne-General befördert worden, sagte die Sprecherin. Es war die erste öffentliche Nennung seines Namens. Dass er der Sohn des "Geliebten Führers" ist, musste nicht eigens erwähnt werden. "Kim der Dritte" ist bekannt genug.

Wie die "Kreml-Astrologen"

Mit der Beförderung von Kim Junior zum General schienen sich die Spekulationen der vergangenen Wochen zu bestätigen, dass Kim Jong Il nun mit großer Eile an der Regelung seiner Nachfolge arbeitet. Nun warten die Nordkorea-Beobachter, die sehr den früheren "Kreml-Astrologen" ähneln, ob Kim Jong Un in dieser Woche auch ein wichtiges Parteiamt bekommt. "Es ist jetzt klar, dass Kim Jong Un der Kronprinz ist", sagte Jae Jean Suh, Präsident des Koreanischen Instituts für Nationale Vereinigung in Seoul. Andere Analysten mokierten sich über die große Eile, mit der die Familie diesmal agiere.

Die Einführung Kim Jong Ils war behutsamer vorangetrieben worden. "Es hatte damals fast ein Jahrzehnt inoffizieller Propaganda gegeben, bevor der Name Kim Jong Ils erstmals offen in den Medien genannt wurde", sagte Andrei Lankov von der Kookmin-Universität in Seoul, "doch diesmal hat derselbe Prozess für seinen Sohn keine zwei Jahre gedauert. Es scheint, als seien sich Kim Jong Il und seine Entourage nicht sicher, wie lange der ,Geliebte Führer' noch unter uns weilen wird." Vor zwei Jahren, darauf spielte Lankov an, hatte Kim Jong Il einen Schlaganfall.

Gemeinsam mit Kim Jong Un, der mit seinen 26 oder 27 Jahren noch sehr jung ist, sind am Dienstag fünf weitere treue Apparatschiks in den Generalsrang erhoben worden, unter ihnen Kim Kyong Hui, eine 64-jährige Schwester Kim Jong Ils. Neben einem bereits übermächtigen Schwager des jetzigen Diktators ist so ein weiteres Mitglied des Familienclans gestärkt worden, erkennbar in Vorbereitung auf den Tag, an dem Kim Jong Il selbst seine letzte Ruhestätte im Familienmausoleum finden wird.

© SZ vom 29.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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