Süddeutsche Zeitung

Nordkorea:Der Hunger kommt wieder

Lesezeit: 2 min

Die Sanktionen setzen dem Land zu, der Süden will nun helfen.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Südkorea bereitet Hungerhilfe für Nordkorea vor. Pjöngjangs jüngste Raketenabschüsse änderten daran nichts, sagte ein Sprecher von Präsident Moon Jae-in am Freitag. Nordkoreas Versorgung sei so schlecht wie seit zehn Jahren nicht mehr, berichtet das World Food Program der UN. Fast die Hälfte der 25 Millionen Nordkoreaner sei unterernährt, "sie brauchen humanitäre Hilfe." Jedes sechste Kind leide unter bleibenden Schäden. Die Dürre und Hitzewelle des vergangenen Sommers, gefolgt von einem Taifun, Erdrutschen und Überschwemmungen, hätten die letzte Ernte verdorben. Und wegen der UN-Sanktionen könne Nordkorea kaum Nahrungsmittel einführen.

Die Parteizeitung Rodong Sinmun hat den Notstand implizit bestätigt, indem sie kürzlich dazu aufrief, "alle Kräfte auf die Landwirtschaft zu bündeln" und die "Loyalität mit der Partei mit Reis zu zeigen". Ein Viertel der Nordkoreaner hängt noch vom - längst nicht mehr funktionierenden - Versorgungssystem des Staates ab, unter ihnen auch die einfachen Soldaten. Sie leiden am meisten unter dem Mangel. Das harsche Klima Nordkoreas stand dem Streben seines Regimes nach landwirtschaftlicher Subsistenz seit jeher im Wege. Das ist mit dem Kahlschlag vieler Wälder in den letzten Jahrzehnten noch schwieriger geworden. Die Böden erodieren, das provoziert Überschwemmungen. Zudem sind die Unwetter mit dem Klimawandel heftiger geworden. Die nördliche Hälfte der koreanischen Halbinsel eignet sich nicht gut für Landwirtschaft.

Inzwischen fühlt auch die Elite in Pjöngjang, die sich auf den freien Märkten mit Lebensmittel versorgt, die Sanktionen. Reis kann sie kaufen - der Preis ist stabil geblieben. Aber die Importe über die chinesische Grenze sind eingebrochen. Peking bremst auch den kleinen Grenzverkehr. Händler berichten, sie würden trotz gültigem Visum nach Nordkorea zurückgeschickt. Die Zahl der Grenzübertritte ist massiv zurückgegangen. Damit wird auch der Schmuggel schwierig. China setzt die UN-Sanktionen weiterhin durch. Zumindest offiziell erhielt der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-un auch vom russischen Präsidenten Wladimir Putin keine Zusage, er werde die Sanktionen einseitig lockern.

Kims Regime habe im Februar fest damit gerechnet, in Hanoi US-Präsident Donald Trump eine Lockerung der Sanktionen abhandeln zu können, berichtete Moon Chung-in, Professor an der Yonsei-Universität und Nordkorea-Berater von Präsident Moon, jüngst im Gespräch mit dem Nachrichtenportal NKNews. Auch er kann nicht erklären, warum der Gipfel scheiterte. Trump behauptete auf seiner Pressekonferenz, er hätte die Sanktionen aufgehoben, wenn Nordkorea sein ganzes Atomprogramm aufgegeben hätte. Nordkorea hält dem entgegen, genau dazu sei es bereit gewesen.

Kim hat seinen Ton seit dem Scheitern des Gipfels verschärft. Im Volkskongress beklagte er sich auch über Südkorea, es setze sich zu wenig von Washington ab. Berater Moon stimmt ihm implizit zu. Südkorea könnte kreativer auf den Norden zugehen, ohne die Sanktionen zu verletzen, so der Professor. Mit der Zulassung von Reisen zum Kumgang im Norden zum Beispiel, dem heiligen Berg der Koreaner. Oder mit der Wiederinbetriebnahme des gemeinsamen Industrieparks der beiden Koreas in Kaesong. Wenn die dort tätigen Unternehmen aus Südkorea ihre Arbeiter direkt bezahlen könnten, statt über den nordkoreanischen Staat, dann würden die Sanktionen nicht verletzt, glaubt er. Mit der nun zugesagten Nahrungsmittelhilfe geht Seoul Pjöngjang immerhin etwas entgegen. Washington soll diese Hilfe gebilligt haben.

Professor Moon, der Kim bei beiden Süd-Nord-Gipfeln getroffen hatte, hält den nordkoreanischen Machthaber für selbstbewusst und rational. Er sei charismatisch, sehr gut informiert und wolle Nordkorea wirklich reformieren. Sein Ziel sei es, Nordkorea zu einem normalen Land zu machen. Für diesen Kurswechsel - und die Denuklearisierung als Vorbedingung für eine enge Zusammenarbeit der beiden Koreas - braucht ein Diktator Rückhalt seiner Bevölkerung. Den kann er sich nur sichern, wenn sich die wirtschaftliche Lage spürbar verbessert.

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Quelle:
SZ vom 18.05.2019
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