Nordkorea:„Leute, die man ohne Probleme opfern kann“

Lesezeit: 4 Min.

Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un beim Besuch eines Militärstützpunktes. Das Land hat eine der größten Armeen der Welt, mit etwa 1,3 Millionen Soldaten. (Foto: AP/KCNA via KNS)

Nordkoreas Volksarmee erleidet bei ihrem Einsatz in Russlands Krieg gegen die Ukraine hohe Verluste. Machthaber Kim Jong-un ficht das nicht an. Im Gegenteil: Die Staatsmedien feiern 2024 als „Jahr großartiger Veränderung“.

Von Thomas Hahn, Seoul

Für Nordkoreas Medien ist das Geschehen in Südkorea gerade ein schönes Thema. Die staatliche Nachrichtenagentur KCNA veröffentlichte zuletzt einen ausführlichen Bericht über die Staatskrise im demokratisch regierten Bruderstaat, die Präsident Yoon Suk-yeol am 3. Dezember mit seiner kurzlebigen Kriegsrechtserklärung gegen die heimische Opposition ausgelöst hat. Die Suspendierungen Yoons und seines Stellvertreters Han Duck-soo durch das Parlament, der Haftbefehl gegen Präsident Yoon, die Anti-Yoon-Demonstrationen – all das wird fast genussvoll beschrieben. „Entgegen der stetigen Rhetorik ist das demokratische System praktisch zusammengebrochen“, berichtete KCNA. Die Botschaft aus dem Reich der unterdrückten Selbstbestimmung: Freiheit bringt Chaos. Kim Jong-uns Parteidiktatur funktioniert besser als die Demokratie im Süden.

Nordkoreas Propagandamedien wählen ihre Nachrichten immer so, dass das Regime gut aussieht. Anderes lassen sie einfach weg. Über den größten Auslandseinsatz der Volksarmee in Nordkoreas Geschichte zum Beispiel sagen die Staatsmedien nichts. Kein Wort über die rund 11 000 Soldaten, die das Regime nach Russland geschickt hat, nachdem Kim Jong-un im Sommer 2024 mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin eine strategische Partnerschaft inklusive gegenseitiger Verteidigungsverpflichtung unterzeichnet hatte. Erst recht kein Wort darüber, dass viele dieser Soldaten bei Kämpfen im Oblast Kursk gefallen sind.

Nordkoreas Sender schweigen über den Einsatz

Wie viele genau, ist unsicher. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij sagte am Sonntag, die russische Armee habe „heute und gestern ein Bataillon Infanterie, bestehend aus nordkoreanischen Soldaten und russischen Fallschirmjägern, verloren“; ein Bataillon besteht aus 500 bis 1500 Soldaten. Selenskij hat früher schon von 3000 gefallenen Nordkoreanern gesprochen. Vielen Fachleuten erscheinen seine Zahlen deutlich zu hoch. Aber dass relativ viele Nordkoreaner in Putins Krieg sterben, ist unter neutralen Beobachtern nicht umstritten.

Nordkorea soll vor allem Mitglieder seiner Sturmtruppen geschickt haben, also Soldaten, die darauf trainiert sind, in feindliche Linien einzudringen und dort Chaos zu stiften. Allerdings passen die Fähigkeiten dieser Soldaten nicht gut in einen Krieg, in dem Drohnen und Streumunition zum Einsatz kommen. Der Militäranalyst Joost Oliemans sagt im Fachportal NK News: „Ihre eigentliche Aufgabe besteht darin, in den Anfangsphasen eines Konflikts gegen einen Feind, der möglicherweise überrascht wird, Durchbrüche zu erzwingen und auszunutzen – ihre Aufgabe ist es nicht, gegen gut vorbereitete Befestigungen in einem nahezu perfekt überwachten Schlachtfeld vorzurücken.“

China und Nordkorea
:„Eng wie Lippen und Zähne“

Peking ist wichtigster Partner des Regimes in Pjöngjang. Das überlässt nun Russland 10 000 Soldaten und tut auch sonst nicht immer, was dem großen Nachbarn gefällt. Warum die Chinesen das nordkoreanische Treiben dennoch hinnehmen.

Von Lea Sahay

Nordkoreas Medien sagen darüber nichts. „Nordkorea redet weder im Inland noch im Ausland über die Soldaten in Russland“, sagt Wonhee Jung, Expertin für nordkoreanische Propaganda vom Kangwon-Institut für Vereinigungsstudien in Chuncheon. International will Nordkorea wohl aus Selbstschutz nicht zugeben, dass es an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg teilnimmt. Und zu Hause haben die Staatsmedien ohnehin nicht den Anspruch, umfassend zu informieren. „Ihr Hauptfokus liegt darauf, den Leuten zu erklären, was sie tun sollen und was die Ideologie des Staates ist“, sagt Wonhee Jung. Schweigt das Regime also auch deshalb über die Soldaten für Russland, weil es Ärger im eigenen Land fürchtet?

Der Deal mit Putin behebt für Pjöngjang ein Problem

Es gibt die Theorie, dass Kim Jong-un mit dem ungewöhnlich großen Auslandseinsatz die Familien gefallener Söhne aufbringen könnte und so zum ersten Mal seit der Staatsgründung 1948 einen ernst zu nehmenden Aufstand riskiert. Aber die Theorie ist wohl zu optimistisch. Zu den Sturmtruppen kommen selten Söhne hochrangiger Funktionäre, deren Zufriedenheit Kim Jong-un ernst nehmen muss, wenn das Gerüst seines Systems halten soll. „Diejenigen, die nach Russland geschickt wurden, sind die ohne Macht und ohne Verbindungen, Leute, die man ohne Probleme opfern kann“, hat ein übergelaufener Ex-Soldat dem britischen Sender BBC erzählt. Außerdem sind die Soldaten so erzogen, dass sie Aufträge für ihr Land nicht hinterfragen.

Zehn Jahre und mehr dauere in Nordkorea die Wehrpflicht, erklärt Wonhee Jung. Soldaten leisten in dieser Zeit nicht nur Militärdienste, sondern übernehmen auch andere Jobs, helfen zum Beispiel am Bau, in Fabriken oder in Behörden. Und natürlich werden sie eingeschworen auf den Kampf fürs Vaterland. „Der Militärdienst wird glorifiziert“, sagt Wonhee Jung, „die, die nach Russland gegangen sind, könnten sich vielleicht sogar freiwillig gemeldet haben.“ Das Risiko zu sterben, nehmen diese jungen Männer in Kauf. „Sie sind stolz darauf.“

Nordkorea hat eine der größten Armeen der Welt mit geschätzt 1,3 Millionen aktiven Soldaten. Da kann Kim Jong-un auf 11 000 Männer durchaus verzichten. Deren Schicksal interessiert ihn eher nicht. Ihn interessiert, was ihm der Deal mit Putin im Gegenzug für die Soldaten bringt. Nordkoreas Regime bekommt von Russland moderne Militärtechnologie, die es dringend braucht. „Nordkoreas Waffenfabriken stammen aus der Zeit nach dem Korea-Krieg“, sagt Wonhee Jung, „Nordkorea hat weder Geld noch Technologie, um sie zu modernisieren. Und kein anderes Land unterstützt sie militärisch.“ Der Deal mit Putin behebt das Problem. Außerdem kann die Volksarmee in Russland Front-Erfahrungen sammeln, die ihr bei anderen Einsätzen helfen könnten. „Das ist wie Training“, sagt Wonhee Jung.

Aus Kim Jong-uns Sicht läuft es also gerade nicht schlecht. Am Montag führte das Regime seinen ersten Waffentest des Jahres aus: Die Staatsmedien berichteten, man habe erfolgreich eine verbesserte Version seiner Hyperschall-Mittelstreckenrakete mit Feststoffantrieb ins Meer gefeuert. Kim Jong-un sagte, die Testergebnisse seien „von weltweiter Bedeutung und können nicht ignoriert werden“. Zum Jahreswechsel sparte er sich große Ankündigungen, vermutlich weil er mit seiner Politik zufrieden ist nach der dramatischen Wende vom vergangenen Jahr: Das Ziel Vereinigung wurde offiziell aufgegeben und Südkorea zum verfeindeten Nachbarn erklärt. Beim Arbeiterparteitag warb Kim zwar für die „härteste“ Anti-US-Politik, aber was das genau bedeutet, blieb offen. Möglicherweise will Kim Jong-un auch erst mal abwarten, was die Rückkehr von Donald Trump als US-Präsident bringt.

Und das Neujahrskonzert in Pjöngjang war ein Schauspiel nordkoreanischer Herrlichkeit nach einem „Jahr großartiger Veränderung“, wie KCNA schrieb. Kim Jong-un war da, er winkte huldvoll. KCNA berichtete wie immer, dass er begeisterten Applaus bekommen habe. Die Bilder vom Ereignis waren bunt, ein starker Kontrast zur grimmigen Wahrheit der nordkoreanischen Soldaten in Russland.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusNordkorea
:„Wir sind Feinde“

Machthaber Kim Jong-un hat Nordkoreas Staatsideologie umgeschrieben. Südkorea erklärt er zum verfeindeten Nachbarn. Die Vereinigung gibt er auf. Plant der Diktator einen Krieg? Oder vielleicht sogar das Gegenteil?

Von Thomas Hahn

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: