Nordkorea:Angst vor dem nuklearen Schwarzmarkt

Nordkorea: Nordkoreaner verfolgen in der Hauptstadt Pjöngjang den Start einer Hwasong-Rakete.

Nordkoreaner verfolgen in der Hauptstadt Pjöngjang den Start einer Hwasong-Rakete.

(Foto: Kim Won-Jin/afp)
  • Die USA befürchten, dass Nordkorea seine Atom- und Raketentechnologie nicht nur einsetzen, sondern sie auch verkaufen könnte.
  • In der Vergangenheit war es vor allem Pakistan, das in brisante Geschäfte mit Nordkorea und anderen Ländern verwickelt war.
  • Nun stellt sich die Frage, ob Nordkorea die Rolle des Geschäftsführers für einen neuen Schwarzmarkt übernommen hat.

Von Georg Mascolo, Berlin

Mehr als 20 Jahre hat Olli Heinonen für die Internationale Atomenergiebehörde IAEA in Wien gearbeitet, der Wissenschaftler war der Mann für die schweren Fälle. Aber nichts erschreckte den stoischen Finnen mehr als die Entdeckung eines geheimen Schwarzmarkts, auf dem Atom-Technologie in alle Welt verkauft wurde.

Pakistan war der Lieferant, zu den Kunden gehörten Nordkorea, Iran und Libyen. Dort hatten Heinonens Experten einmal Plastiktüten aus der Herrenschneiderei "Good Looks Tailor" in Pakistans Hauptstadt Islamabad in der Hand. In ihnen fand sich hochgeheimes Material für den Bau nuklearer Gefechtsköpfe, tödlich genug, um eine Großstadt zu zerstören. Aufgedeckt und zerschlagen wurde das Netzwerk, in dem der pakistanische Atomwissenschaftler Abdul Qadeer Khan die führende Rolle spielte, im Jahr 2003.

Doch in diesen Tagen stellt sich die Frage, ob ein neuer Schwarzmarkt entsteht - oder gar schon existiert. Und ob Nordkorea, bereits damals tief verstrickt in Khans Schiebereien, die Rolle des Geschäftsführers übernommen hat.

Die Befürchtung wird seit Monaten vor allem aus den USA befeuert. Hochrangige Regierungsvertreter weisen darauf hin, dass das klamme Regime bereits in der Vergangenheit "chemische Waffen und einen ganzen Reaktor" (US-Sicherheitsberater Herbert McMaster) verkauft habe. "Die Nordkoreaner haben eine lange Geschichte, ihr Wissen und ihre Technologie in aller Welt zu verbreiten," sekundiert CIA-Chef Mike Pompeo.

Russische Triebwerke in nordkoreanischen Raketen?

US-Präsident Donald Trump hat den Ton noch einmal verschärft und die Weltkrisen Iran und Nordkorea miteinander verbunden. "Viele glauben, dass Iran und Nordkorea Geschäfte miteinander machen," sagte Trump, als er gerade erst das Atomabkommen mit Iran infrage stellte. Auf Twitter lässt er schon einmal die Fragezeichen weg.

Dabei haben seine Geheimdienste bis heute keine eindeutigen Beweise gefunden. Trump will sie nun anweisen, noch einmal zu suchen. Die Botschaft ist klar: Nicht nur, weil Nordkorea tödliche Technologien einsetzen könnte, muss das Land gestoppt werden. Sondern auch, weil sie diese sonst verkauft.

Ein zweiter Verdacht sorgt ebenfalls für Unruhe. Das angesehene Londoner Internationale Institut für Strategische Studien legte unlängst nahe, dass Nordkorea wiederum nur mit ausländischer Hilfe jene Raketen entwickele, die bald womöglich selbst die USA erreichen könnten. Nach den jüngsten erfolgreichen Raketentests der Hwasong-14 umarmte Diktator Kim Jong-un die Wissenschaftler, in der Hauptstadt Pjöngjang wurden Blumen gestreut. Tatsächlich aber gibt es Hinweise, dass es gar nicht nordkoreanischer Erfindungsgeist war, sondern ein Triebwerk sowjetischer Bauart, mit dem die Steigerung der Reichweite gelang.

Wie gefährlich also ist Nordkorea, an wen verkauft das Regime und von wem wiederum bekommt es Hilfe? So drängend die Fragen, so lückenhaft sind bisher die Antworten. Fest steht immerhin: Das Regime, das schon durch Falschgeldgeschäfte, Drogen- und Alkoholschmuggel auffiel, hat in der Vergangenheit durchaus Geschäfte mit Massenvernichtungswaffen und Raketen gemacht - als Käufer und Verkäufer.

An die für die Anreicherung von Uran notwendigen Zentrifugen kam die Kim-Clique Ende der Neunzigerjahre nur durch ein Tauschgeschäft mit Pakistan: Das Land erhielt hierfür Nodong-Raketen, die damals moderner waren als die pakistanischen Eigenproduktionen. Schließlich wurde eine ganze Raketenfabrik geliefert.

Nordkorea und Pakistan brachten sich gegenseitig bei, raffinierte Bomben zu bauen

Khan selbst veröffentliche später ein Papier ("Geheim - nur per Hand zu übergeben") des Sekretärs der Kommunistischen Partei Nordkoreas an ihn. Darin wird beschrieben, wie hochrangige pakistanische Militärs darüber hinaus von Nordkorea für den Technologie-Transfer mit 3,5 Millionen Dollar, Diamanten und Rubinen bestochen wurden.

Die Echtheit des Briefes wurde nie endgültig bewiesen. Als unstrittig gilt, dass in Khans Laboratorien nordkoreanische Atomwissenschaftler ein- und ausgingen. Zwei Dritte-Welt-Staaten brachten sich gegenseitig bei, raffinierte Bomben zu bauen. Nordkorea brachte dabei die Technologie zur Herstellung von hochpräzisen Krypton-Zündern mit, eine Voraussetzung für eine nukleare Explosion.

Auch Deutschland hat seine Erfahrungen: Hier fiel in den späten Neunzigerjahren ein nordkoreanischer Diplomat namens Yun Ho-jin auf, der versuchte, in großem Umfang Teile für das Zentrifugen-Programm anzukaufen. Besonders dreist war, dass er offiziell als stellvertretender Botschafter seines Landes bei der IAEA firmierte.

"Kein Kern, kein Krieg"

Als endgültigen Beweis dafür, dass man Nordkorea alles zutrauen muss, gilt aber ein Vorfall im April 2007. Im Büro des damaligen CIA-Chefs Michael Hayden erschien ein Vertreter der israelischen Geheimdienste und legte Dutzende Fotos eines rätselhaften Gebäudes im Osten der syrischen Wüste vor. Bereits einen Tag später wurde Präsident George W. Bush informiert: Es handele sich um einen Nachbau des nordkoreanischen Reaktors in Yongbyon; die Nordkoreaner hätten ihn auch gebaut.

Der Einsatz von US-Kampfjets oder Spezialeinheiten wurde geprüft, aber Bush lehnte ab. Noch fehlte das spaltbare Material in dem Reaktor, "kein Kern, kein Krieg," hieß es im Weißen Haus. Schließlich zerstörten israelische Jets das Kraftwerk.

Nach dem Vorfall suchten amerikanische Satelliten, ob möglicherweise an einem anderen Ort eine Kopie von Yongbyon entstanden ist. Bis heute gibt es darauf keine Hinweise. Ebenso wenig wie für den damals gestreuten Verdacht, dass vielleicht auch die Iraner eng mit den Nordkoreanern im Atombereich kooperierten, in den Reaktorbau in Syrien verwickelt waren und ihn finanzierten. Sogar die Behauptung, dass iranische Abgesandte bei nordkoreanischen Atombombentests dabei waren, kam auf. Nichts davon aber ließ sich beweisen.

In der Raketentechnologie gilt Nordkorea heute als erstaunlich erfolgreich. Manches spricht dafür, dass sie dabei früh auf Hilfe aus dem Ausland setzen konnten. Im Oktober 1992 stoppten Moskauer Behörden am Flughafen Scheremetjewo 60 russische Raketenwissenschaftler, die mit ihren Familien gerade an Bord eines Flugzeugs nach Pjöngjang gehen wollten.

Später versuchte es das Regime mit Spionage: 2012 verhaftete der ukrainische Geheimdienst zwei Nordkoreaner, die versucht hatten, einen Angestellten des Raketenproduzenten Yuzhnoye (Juschnoje) zu bestechen. Die Ermittlungsakten zeigen die Fotos zweier Männer mit hartem Blick, beide waren mit nordkoreanischen Dienstpässen ausgestattete Spione, ihr Arbeitgeber: das Außenministerium in Pjöngjang. Bis heute sitzen sie in Haft.

Scheiterten die Nordkoreaner 2012 - und waren am Ende doch noch erfolgreich? Fliegt die nordkoreanische Hwasong-Rakete tatsächlich mit einem Triebwerk vom Typ RD-250, das die Sowjetunion einst entwickelte, um Washington und New York erreichen zu können? Das sei "absolut unmöglich", versicherte die ukrainische Regierung. Die Produktion sei bereits 1991 eingestellt worden, außerdem habe man nur Teile hergestellt und diese nach Russland geliefert.

Belegt ist: Nordkorea verkauft Raketen

Belegt ist immerhin, dass Nordkorea seine Raketen auch verkauft. Syrien war stets einer der treuen Kunden. Manchmal wurden die Schiffe mit der tödlichen Fracht abgefangen und durchsucht. Selbst Myanmar geriet in Verdacht, Raketen geordert zu haben. Schon 2009 nannte ein Bericht des US-Außenministeriums auch Iran als einen langjährigen Abnehmer ("key missile customer"). Aber später stellte sich heraus, dass eine im Bericht verwendete Information über eine aktuelle und angeblich besonders heikle Lieferung von hochmodernen Projektilen aus einer Boulevard-Zeitung stammte.

Iran sagt, man habe nur während des Iran-Irak-Krieges, in größter Not, Raketen in Nordkorea gekauft. Mittlerweile habe man eine eigene Raketen-Technologie entwickelt, Behauptungen über eine heutige Zusammenarbeit - wie Trump in einem weiteren Tweet nahelegte - seien eine "klare Lüge", erklärte gerade das Außenministerium in Teheran.

In diesen Tagen wurden die Sanktionen gegen Nordkorea noch einmal verschärft, ebenso die Überwachung. Ein- und Ausfuhren sollen strikt kontrolliert werden. Auch China hat seine Bereitschaft zur Mithilfe signalisiert. Schließlich geriet das Land selbst immer wieder in Verdacht, Nordkorea zu helfen - ob nun wissentlich oder weil es getäuscht wurde.

Raketen statt Baumstämme auf chinesischen Lkws

Laut einem Bericht der Vereinten Nationen spricht viel dafür, dass die nordkoreanischen Raketen auf Transportern herumfahren, die aus China stammen. Peking erklärte dazu, man habe diese Pjöngjangs Forstministerium geliefert: für den Transport von Baumstämmen.

Um jeden Im- und Export zu erschweren, erließ US-Präsident Trump im September eine weitere Anordnung: Kein Schiff oder Flugzeug, das in den zurückliegenden 180 Tagen in Nordkorea war, darf in die USA. Auch der ehemalige IAEA-Experte Olli Heinonen unterstützt scharfe Kontrollen und akribische Untersuchungen der nordkoreanischen Geschäfte.

Sorgsam zusammengetragene Fakten statt voreiliger Behauptungen auf Twitter. Der Finne weiß aus eigener Erfahrung: Geht es um Massenvernichtungswaffen, können Lügen und Halbwahrheiten den Unterschied zwischen Krieg und Frieden ausmachen.

"Das Risiko der Entdeckung ist auch für Nordkorea sehr hoch und ich bezweifle, dass es heute noch sehr viele Kunden für Atomtechnologie gibt," sagt der Finne. Immerhin, dass die Nordkoreaner auf jedem Weg und überall versuchen, an Geld zu kommen, weiß er aus eigener Anschauung. Als einer der letzten Experten besuchte Heinonen 2007 das Gelände des Reaktors in Yongbyon. Produziert wurden dort nicht nur Plutonium für die Bombe, sondern auch Suppenlöffel. Für den heimischen Markt.

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