Der Nordische Ministerrat, der lose Zusammenschluss der fünf nordeuropäischen Länder, wird in Skandinavien auch „kleine EU“ oder „EU des Nordens“ genannt. Zweimal jährlich treffen sich die Regierungschefinnen und -chefs, jeweils in Begleitung diverser Ministerinnen und Minister, um sich miteinander abzustimmen und ihrer hehren „Vision, bis zum Jahr 2030 die nachhaltigste und integrierteste Region der Welt zu werden“, wie es auf der Homepage des Rates heißt, ein kleines Stück näherzukommen.
Im Vorfeld seiner 76. Sitzung in Reykjavík in dieser Woche schrieben den fünf Regierungen 48 internationale Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler einen offenen Brief, in dem sie mahnten, die nordischen Länder müssten schon aus reinem Eigeninteresse endlich konsequente Klimapolitik betreiben. Schließlich drohe der Zusammenbruch der sogenannten Amoc, der gewaltigen atlantischen Strömung, die ähnlich einem riesigen Förderband Wärme aus den Tropen zu Europas Küsten transportiert und es so überhaupt erst ermöglicht, dass in Finnland, Schweden und Norwegen Landwirtschaft betrieben werden kann.
„Verheerende und irreversible Auswirkungen“
Durch die arktische Erwärmung fließen mittlerweile im Sommer täglich acht Milliarden Tonnen Schmelzwasser von den grönländischen Gletschern ins Meer – genug, um die Amoc bereits heute signifikant abzuschwächen. Man weiß, dass diese europäische Warmwasserheizung in den vergangenen hunderttausend Jahren mehrmals zum Erliegen kam, was jeweils schnelle und außerordentlich drastische Temperaturveränderungen zur Folge hatte. Weshalb die Wissenschaftler in ihrem Brief schrieben, ein Versiegen der Amoc hätte „verheerende und irreversible Auswirkungen, insbesondere für die nordischen Länder“. Der schwedische Klimawissenschaftler Johan Rockström, der das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung leitet, schrieb in Dagens Nyheter aus Anlass der Veröffentlichung des Briefs, es sei doch „bemerkenswert, dass die politischen Führer in Skandinavien diese Gefahr nicht ernst nehmen“, schließlich sei die Amoc Grundvoraussetzung dafür, „dass wir in den nordischen Ländern moderne Wohlfahrtsstaaten haben können“.
Der Nordische Rat hatte dann aber anderes zu tun, als auf diesen dramatischen Weckruf der Wissenschaft zu reagieren: Das Thema des Treffens lautete „Frieden und Sicherheit in der Arktisregion“, es ging um die gemeinsame militärische Zusammenarbeit, was momentan vor allem heißt: Wie kann der Ukraine geholfen werden? Deren Präsident Wolodimir Selenskij war als Gast geladen und forderte die Regierungschefs von Island, Dänemark, Finnland, Schweden und Norwegen dazu auf, sein Land zu einem Nato-Beitritt einzuladen. Die fünf Premierminister betonten, dass sie Selenskijs sogenannten Siegesplan unterstützen und „die Zukunft der Ukraine in der Nato ist“.
Diese Zukunft ist freilich so lang wie vage. Für die Gegenwart wurde weitere militärische Hilfe versprochen. Die nordische Region gibt pro Kopf am meisten für die Ukraine. Gemessen am Bruttosozialprodukt der Länder haben die sogenannten NB8 – die fünf nordischen Länder und die baltischen Länder Estland, Lettland und Litauen – der Ukraine weltweit die größte Unterstützung gewährt. Die dänische Premierministerin warb dafür, mehr Investitionen in die ukrainische Verteidigungsindustrie zu stecken. Es müsse in Drohnen, Raketen und Artillerie investiert werden, die in der Ukraine von ukrainischen Unternehmen hergestellt werden und nicht in anderen Ländern. Dadurch erhalte die Ukraine schneller Waffen. Frederiksens schwedischer Kollege Ulf Kristersson versprach denn auch, den Großteil des neuen schwedischen Hilfspakets – 490 von insgesamt 720 Millionen schwedischen Kronen – in die Produktion ukrainischer Kampfroboter zu stecken.
Im Rahmen der nordischen Zusammenarbeit gibt es zwei Foren: Der Nordische Rat wurde 1952 gegründet, ihm gehören 87 Abgeordnete aus Norwegen, Dänemark, Schweden, Finnland, Island sowie den autonomen Gebiete Färöer, Grönland und Åland an. Die 87 Abgeordneten versuchen, die gemeinsame Zusammenarbeit vom Kulturaustausch und gemeinsamen Bildungsprojekten über Verbraucherrechte bis hin zu wirtschaftlichen Kooperationen zu stärken. 1971 wurde dann der Nordische Ministerrat gegründet, in dem die Regierungen der fünf Staaten sich zweimal jährlich miteinander abstimmen. Mette Frederiksen plädierte in Reykjavík dafür, Grönland und die Faröer-Inseln, die zu Dänemark gehören, zukünftig zu vollwertigen Mitgliedern des Ministerrates zu machen.