Süddeutsche Zeitung

Großbritannien:Regierung in Nordirland wankt

Die protestantische DUP verliert ihren Vorsitzenden, die Einheitsregierung steht infrage. Und dann kommt auch noch eine Botschaft aus Brüssel.

Von Björn Finke, Brüssel, und Stefan Kornelius

Die neue Regionalregierung von Nordirland steht nach nur wenigen Stunden im Amt vor dem Aus. Grund ist ein heftiger Führungs- und Richtungsstreit in der Democratic Unionist Party (DUP), der größten unionistischen und protestantischen Regionalpartei, die sich die Macht mit der katholisch-republikanischen Sinn Féin teilt und eine Art Regierung der regionalen Einheit formt.

Diese Einheit ist nun gefährdet, nachdem ein Richtungsstreit innerhalb der DUP den zweiten Vorsitzenden binnen weniger Monate verschlissen hat. DUP-Chef Edwin Poots erklärte in der Nacht von Donnerstag auf Freitag seinen Rücktritt. Ob sich der von ihm geförderte und ins Amt gehobene Regierungschef von Nordirland (First Minister), Paul Givan, nun halten kann, gilt als ungewiss.

Sollte die Regierung zerbrechen, wird es in Nordirland zur Neuwahl kommen, die allen Prognosen zufolge mit einem Absturz der DUP enden wird. Damit geriete das nordirische Machtgefüge und die sorgsam austarierte Balance zwischen Katholiken und Protestanten ins Wanken. Denkbar ist, dass dann auch das Thema Referendum über eine Vereinigung auf die Tagesordnung gehoben wird. Eine Loslösung Nordirlands aus dem Vereinigten Königreich (Großbritannien und Nordirland) und eine Vereinigung des nordirischen Landesteils mit der Republik ist auch angesichts der sich verschiebenden Demographie immer wahrscheinlicher.

Streit um die Zollgrenze zur EU und die Sprache

Der Konflikt innerhalb der DUP schwärt, seitdem Premierminister Boris Johnson mit Unterstützung der damaligen DUP-Chefin Arlene Foster zugestimmt hatte, die Zollgrenze zwischen EU und Vereinigtem Königreich in die Irische See zu legen, die Nordirland von der Hauptinsel trennt. Damit gehört Nordirland faktisch noch zum Binnenmarkt. Foster musste sich nach einem Aufstand in ihrer unionistischen Partei geschlagen geben.

Ihr Nachfolger Edwin Poots vom konservativen Flügel beruhigte die Situation zunächst, musste aber zur Wiederherstellung der Einheitsregierung mit Sinn Féin einem Gesetz zustimmen, das die Förderung der irisch-gälischen Sprache in Nordirland vorsieht. Weil für dieses Gesetz die Regierung in London ihren Rückhalt gegeben hatte, kochten die Gemüter bei der DUP vollends hoch.

Unterdessen droht sich der Streit um Zollformalitäten in Nordirland zwischen der britischen Regierung und der EU zu verschärfen. London beantragte am Donnerstag bei der EU-Kommission, die Übergangsfrist für den Transport von Wurst- und Fleischwaren aus dem Rest des Königreichs nach Nordirland zu verlängern - sie würde dann statt Ende Juni erst Ende September auslaufen. Die Kommission teilte mit, das Anliegen zu prüfen, betonte aber erneut, dass die britische Regierung alle vereinbarten Regelungen umsetzen müsse.

Der Disput dreht sich um das sogenannte Nordirland-Protokoll. Dieses ist Teil des 2019 geschlossenen Austrittsvertrags und soll verhindern, dass zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland Zöllner Lastwagen kontrollieren müssen. Daher schreibt das Protokoll vor, dass sich Nordirland trotz Brexit weiter an EU-Produktregeln und Zollvorschriften hält. Logische Folge ist allerdings, dass Warenlieferungen von England, Wales oder Schottland nach Nordirland kontrolliert werden müssen. Schließlich können die Lastwagen ihre Güter nach Verlassen der nordirischen Häfen ohne weitere Prüfungen in die Republik Irland bringen - und damit in den EU-Binnenmarkt.

Damit sich britische Firmen auf die neuen Zollformalitäten an Nordirlands Häfen einstellen können, gibt es Übergangsfristen. Die liefen zum Teil schon Ende März aus - und wurden von der britischen Regierung eigenmächtig verlängert. Die EU-Kommission leitete daraufhin ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Großbritannien ein, weil London damit gegen Bestimmungen des Nordirland-Protokolls verstoßen haben soll. Dennoch will London auch die Juni-Frist für Wurstwaren verlängern.

Die britische Regierung argumentiert, dass die Kommission das Protokoll zu dogmatisch auslege und die Bürokratie nordirische Importeure und Bürger unverhältnismäßig stark belaste. Die Brüsseler Behörde wiederum wirft London vor, Verpflichtungen aus dem Protokoll immer noch nicht richtig umgesetzt zu haben. Ein Treffen von Kommissionsvizepräsident Maroš Šefčovič und dem britischen Brexit-Minister David Frost vor anderthalb Wochen brachte keine Lösung. Šefčovič drohte hinterher, die EU verliere die Geduld.

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