Nordirland:Vom Radikalen zum Friedensnobelpreisträger

Lesezeit: 2 min

David Trimble als nordirischer First Minister 2000 in Belfast. 2006 wurde er ins House of Lords berufen. (Foto: Paul_Faith/picture-alliance / dpa)

David Trimble begann seine politische Karriere als unionistischer Hardliner, dann wurde er zum Architekten des sogenannten Karfreitagsabkommens, um die Gewaltspirale in Nordirland zu beenden. Mit 77 Jahren ist er nun gestorben.

Von Alexander Menden, München

Im Juli 1995 marschierte David Trimble, damals Unterhausabgeordneter der Ulster Unionist Party (UUP) für den Wahlkreis Upper Bann, Hand in Hand mit dem radikalen Protestantenführer Ian Paisley die Garvaghy Road im nordirischen Portadown hinab. Die Straße war vor allem von Katholiken bewohnt, die sogenannte "Drumcree Parade" des protestantischen Oranier-Ordens hier eine jährliche Provokation. Die Behörden hatten sie untersagt, um Ausschreitungen zu vermeiden. Dass Trimble es letztlich schaffte, den Marsch durch das Katholikengebiet durchzusetzen, zementierte seinen Ruf als unionistischer Hardliner, für den die Dominanz Großbritanniens in Nordirland eine politische Conditio sine qua non war.

Man muss sich diese Szene vergegenwärtigen, um zu erfassen, welch eine gewaltige und rasante politische Entwicklung David Trimble in den folgenden drei Jahren durchmachte: Vom Verteidiger des konfliktbeladenen Status quo zum Wegbereiter und Architekten des sogenannten Karfreitagsabkommens. Es beendete die Jahrzehnte währende Gewaltspirale im Nordirlandkonflikt und brachte Trimble, gemeinsam mit dem katholischen Politiker John Hume, 1998 den Friedensnobelpreis ein.

Gewählt als Vertreter eines unnachgiebigen Kurses

In der Biografie Trimbles hatte wenig auf diese Entwicklung hingewiesen: Im Jahre 1944 als Sohn eines Ministerialbeamten und einer Sekretärin in Belfast geboren und in Bangor im protestantischen Herzland Nordirlands aufgewachsen, studierte er Jura an der Queen's University, bevor er Anwalt und Dozent wurde. In den Siebzigerjahren engagierte er sich zunächst in der radikal-unionistischen Vanguard Party, wechselte dann aber zur UUP, deren Vorsitzender er im September 1995 wurde.

Er war als Vertreter eines unnachgiebigen Kurses gewählt worden, schlug aber schon bald eine für viele Beobachter überraschende, pragmatische Richtung ein. Als erster unionistischer Parteichef seit den 1920er-Jahren verhandelte er mit Sinn Féin, dem politischen Arm der IRA, und trieb diese Gespräche trotz des Widerstands eines Großteils seiner eigenen Parlamentsfraktion voran. David Trimble galt als aufbrausend, was manche Weggefährten darauf zurückführten, dass er im Grunde ein schüchterner Mensch war, der oft überreagierte, wenn er sich beleidigt fühlte.

Zollstatus für Nordirland
:Brexit-Streit: EU-Kommission geht gegen Großbritannien vor

Die Brüsseler Behörde wirft der britischen Regierung vor, gegen wesentliche Teile des sogenannten Nordirland-Protokolls zu verstoßen, und leitet ein Verfahren ein.

Doch bei den Verhandlungen mit der britischen und irischen Regierung sowie den nordirischen Katholiken erwies er sich als kluger Taktierer. Das aus diesen Verhandlungen resultierende Karfreitagsabkommen, das der britische Premierminister Tony Blair und der irische Taoiseach Bertie Ahern am 10. April 1998 in Belfast unterzeichneten, stellte die Selbstverwaltung Nordirlands auf der Grundlage einer Machtteilung wieder her. Es sprach Protestanten und Katholiken gleiche bürgerliche und politische Rechte sowie kulturelle Gleichwertigkeit zu, führte zu einer Polizeireform, zur Entwaffnung paramilitärischer Gruppen beider Seiten und der frühzeitigen Freilassung paramilitärischer Gefangener, gefolgt von einer Entmilitarisierung Nordirlands.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alle Meldungen zur aktuellen Situation in der Ukraine und weltweit - im SZ am Morgen und SZ am Abend. Unser Nachrichten-Newsletter bringt Sie zweimal täglich auf den neuesten Stand. Hier kostenlos anmelden.

Im Rahmen des Abkommens wurde Trimble zum ersten nordirischen First Minister ernannt. Obwohl seine fünfjährige Amtszeit von anhaltenden politischen Auseinandersetzungen geprägt war, die bei den nordirischen Wahlen 2003 zu dramatischen Zugewinnen für extremere Parteien auf beiden Seiten der konfessionellen Kluft führten, hielt das "Good Friday Agreement". Doch im Mai 2005 unterlag Trimble bei der Unterhauswahl einem Gegenkandidaten von Ian Paisleys radikalerer Democratic Unionist Party, welche die UUP als wichtigste politische Kraft im protestantischen Lager ablöste.

Im folgenden Jahr wurde Trimble auf Lebenszeit ins House of Lords berufen und zum Baron Trimble of Lisnagarvey ernannt. In jüngster Zeit sprach er sich, obwohl grundsätzlich ein Brexit-Befürworter, lautstark gegen das sogenannte Nordirland-Protokoll aus, das Teil des Brexit-Abkommens von 2019 war und Nordirland rechtlich im EU-Binnenmarkt beließ. Lord Trimble argumentierte, es bringe das Karfreitagsabkommen in Gefahr, das er stets als "größte Leistung meines Lebens" bezeichnete. Jetzt ist David Trimble, der reformierte Radikale und Friedensnobelpreisträger, nach kurzer, schwerer Krankheit mit 77 Jahren gestorben.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Wahlsiegerin Michelle O'Neill
:Sie träumt von einem vereinigten Irland

Nach ihrem Wahlsieg mit der Sinn-Féin-Partei kann Michelle O'Neill die nächste Regierungschefin in Nordirland werden. Doch ob es in Belfast eine neue Exekutive geben wird, ist völlig offen.

Von Alexander Mühlauer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: