Abtreibungsrecht:Jetzt protestiert Nordirland

Pro-choice Activist Group ROSA Distribute Illegal Abortion Pills From Touring Bus

Die gleichen Rechte wie andere Frauen in Europa fordern Demonstranten in Nordirland, dort sind Abtreibungen noch immer strafbar. Hier ein Bild aus Londonderry.

(Foto: Getty Images)
  • Schwangerschaftsabbrüche sind in Nordirland verboten, es sei denn, das Leben der Mutter oder ihre seelische Gesundheit sind in Gefahr.
  • Die Regelung unterscheidet sich vom Rest des Vereinigten Königreichs.
  • Nachdem Irland Ende Mai per Referendum entschieden hat, das Abtreibungsrecht zu liberalisieren, fordern dies nun auch die Nordiren.

Von Cathrin Kahlweit, London

Das Referendum über die Liberalisierung des Abtreibungsrechts in Irland hat am 25. Mai stattgefunden und wurde mit großer Mehrheit angenommen. Das neue Gesetz ist in Arbeit. Man könnte also meinen, für eine Weile würde nun Ruhe einkehren in der Abtreibungsfrage auf der irischen Insel. Aber das Gegenteil ist der Fall.

Denn jetzt sind die es die Frauen in Nordirland, das bekanntlich zu Großbritannien gehört, die auf die Barrikaden gehen. Auch sie wollen ein liberales Abtreibungsrecht, wie es in England, Wales und Schottland existiert - und demnächst im Süden der Insel eingeführt wird.

Schwangerschaftsabbrüche sind im Norden Irlands verboten, es sei denn, das Leben der Mutter oder ihre seelische Gesundheit sind in Gefahr. Wie im Süden der Insel fahren daher die meisten Frauen aus Nordirland für einen Abbruch nach England oder Schottland. An diesem Mittwoch könnte es dazu - verhandelt vor dem Obersten Gerichtshof des Vereinigten Königreichs - eine wegweisende Entscheidung geben. Denn, wie die Juristin Leah Hoctor vom Zentrum für reproduktive Rechte sagt: "Es ist mehr als verständlich, dass Frauen in Nordirland vor Gericht ziehen, weil sie finden, sie dürften gegenüber ihren Geschlechtsgenossinen aus anderen Teilen des Königreichs nicht diskriminiert werden."

Zahlreiche Abgeordnete rufen May als selbsterklärte Feministin zum Handeln auf

Hoctor glaubt aber auch, dass mit dem Referendum in der Republik Irland ein "Gebot für die Politik verbunden ist, endlich zu handeln." Das findet offenbar auch die LGBT-Gemeinde im Norden. Neben den Kundgebungen für ein Recht auf Abtreibung fanden am Wochenende in Belfast daher auch Demonstrationen für eine Zulassung der gleichgeschlechtlichen Ehe statt. Sie ist, anders als im Rest des Königreichs, in Nordirland ebenfalls bis heute nicht legal. Die britische Provinz ist in vieler Hinsicht restriktiver als der Rest des Landes: Homosexualität etwa wurde in Nordirland erst 15 Jahre später als im Rest Großbritanniens entkriminalisiert.

"Schritte ans Licht" heißt die jüngste Kampagne, mit der nordirische Aktivistinnen jetzt endlich gleiche Rechte wie Frauen im Rest des Königreichs fordern. Vor wenigen Tagen organisierten sie eine Aktion in Dublin, bei der von einem ferngesteuerten Roboter Abtreibungspillen verteilt wurden (hätte eine der Demonstrantinnen die Tabletten verteilt, hätte sie sich womöglich strafbar gemacht). Gleichzeitig wächst der Druck auf Premierministerin Theresa May, sich für eine Änderung des Abtreibungsrechts in Nordirland einzusetzen. Zahlreiche Parlamentsabgeordnete in Westminster hatten an May appelliert, sich als selbsterklärte Feministin dafür starkzumachen, dass das Recht endlich angeglichen wird.

Ein Sprecher der Downing Street teilte allerdings mit, May halte dies für eine Entscheidung, die das Parlament in Belfast selbst fällen müsse. Das aber hat seit mehr als anderthalb Jahren nicht mehr getagt; im Winter 2017 war die Regierung in Belfast zerbrochen. Nordirland wird seither quasi nicht mehr regiert, London hat sich aber bislang geweigert, per "direct rule", also per Weisungsrecht, einzugreifen.

Sowohl rechtlich als auch politisch ist die Lage in Nordirland überaus kompliziert. Obwohl Abtreibung per Gesetz vom Parlament 1967 und die gleichgeschlechtliche Ehe im Jahr 2014 legalisiert wurden, hat Nordirland das jeweils neue Recht nie übernommen. Das führt zu der absurden Situation, dass eine Frau aus Belfast, die eine Abtreibungspille nimmt, als britische Staatsbürgerin in ihrer Heimatprovinz vor Gericht gestellt werden kann, was immer wieder geschieht und zuletzt überwiegend mit Bewährungsstrafen geahndet wurde. Im Fall einer Mutter, die für ihre Tochter eine Abtreibungspille gekauft hatte und angeklagt wurde, ist der Prozess unterbrochen worden, weil die Mutter ihrerseits den Staat verklagte.

Das Urteil des Obersten Gerichts könnte folgenlos bleiben, wenn keine Regierung es umsetzt

Das Oberste Gericht in Belfast hatte bereits 2016 das weitgehende Abtreibungsverbot als unvereinbar mit den Menschenrechten gewertet, aber geurteilt, nur das Parlament könne das Gesetz ändern. Daraufhin zog die nordirische Menschenrechtskommission durch die Instanzen bis vor den Obersten Gerichtshof Großbritanniens - mit der Forderung, das Verbot von Abbrüchen zumindest bei schweren fötalen Missbildungen oder nach Vergewaltigungen aufzuheben. Das wegweisende Urteil wird nun am Mittwoch erwartet.

Ob sich danach schnell etwas für die Frauen Nordirlands ändert, ist allerdings eine andere Frage. Die Democratic Unionist Party (DUP), die derzeit die konservative Minderheitsregierung von Theresa May stützt, ist bis heute strikt gegen eine Änderung des Abtreibungsrechts und hat vor einer Intervention aus London gewarnt. Das gilt auch für die Homoehe. Das Urteil des Obersten Gerichtshofs könnte daher folgenlos bleiben, sagen Fachleute, solange in Belfast keine Regierung die politischen Geschäfte führt. Vorerst werden die Frauen im Norden der Insel also weiter für ihre Rechte demonstrieren - und nach England reisen müssen.

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