Nordirak:Kurdisches Feuer

Der Präsident der autonomen Kurden-Region kündigt ein Unabhängigkeits-Referendum an. Das könnte unkalkulierbare Folgen haben.

Von Moritz Baumstieger

Es ist ja nicht so, dass es im Nordirak gerade sonst keine Probleme gäbe: In Mossul hält die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) noch immer die Altstadt, und damit 200 000 Zivilisten als Geiseln. Eigentlich wollte Bagdad mit Beginn des Ramadan die komplette Befreiung der Millionenstadt verkünden, stattdessen machten Nachrichten mit enormer Sprengkraft die Runde. Bilder zeigten, wie eine Sondereinheit der Regierung in Mossul Zivilisten foltert. Die Ängste der sunnitischen Minderheit vor der schiitischen Mehrheit wurden noch größer; die Frage, wer Mossul einmal verwalten soll, wenn die Dschihadisten vertrieben sind, wurde noch ein bisschen schwerer zu beantworten.

Mitten in diese Gemengelage platzte am Mittwochabend die Ankündigung von Masud Barzani: Die Bewohner der kurdisch dominierten Gebiete sollen noch in diesem Jahr, am 25. September, über ihre Unabhängigkeit abstimmen. Der Präsident der Autonomen Region Kurdistan hatte wie viele andere Kurdenvertreter in der Vergangenheit schon oft laut über diese Möglichkeit nachgedacht. Immer blieb es jedoch bei einer vagen Drohung, die Forderungen im Poker mit Bagdad um Macht und Öleinnahmen mehr Nachdruck verleihen sollte.

Die sonst chronisch zerstrittenen kurdischen Parteien zeigen sich selten einig

Auch jetzt könnte das wieder das eigentliche Motiv Barzanis sein. Bisher gibt es keinerlei Vorbereitungen für die Abstimmung, die zudem nicht bindend sein soll. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass die Ankündigung aus Erbil Erwartungen weckt, die zu einer Eigendynamik führen. Die Kurden haben in den vergangenen Jahren im Kampf gegen den IS immense Opfer erbracht. Sie waren es, die seine Ausdehnung in den Jahren 2014 und 2015 begrenzten, die Offensive gegen die Dschihadisten in den Jahren 2016 und 2017 wäre ohne ihre Peschmerga-Kämpfer kaum möglich gewesen. Viele Kurden könnten diesen Einsatz nun kapitalisieren wollen - bei der Ankündigung des Referendums präsentierten sich ihre sonst chronisch zerstrittenen Parteien in selten gesehener Eintracht.

Dass die Regierung in Bagdad eine Abspaltung der Kurden einfach hinnehmen würde, ist unwahrscheinlich. Zusätzlich gefährlich macht die Situation aber, dass das Referendum nicht nur in den kurdischen Stammgebieten durchgeführt werden soll, sondern auch in jenen Landstrichen und Städten, die von den Peschmerga besetzt wurden, um sie vor dem IS zu sichern. Dazu gehört vor allen die multiethnische Stadt Kirkuk, auf die - auch wegen ihres Ölreichtums - sowohl Bagdad als auch Erbil Anspruch erheben.

Eine Unabhängigkeitserklärung Irakisch-Kurdistans könnte einen neuen Krieg heraufbeschwören - bevor die Schlacht gegen den IS überhaupt gewonnen ist. In so einen Konflikt könnte mit der Türkei schnell eine weitere Macht verwickelt sein: Recep Tayyip Erdoğan präsentiert sich jetzt zwar als Verbündeter Erbils. Doch die Vision, schon morgen ein unabhängiges Kurdistan an seiner Grenze zu finden, wird den türkischen Präsidenten eher erschrecken. Vielleicht ließe sich in der Logik Ankaras sogar etwas gewinnen: Zuletzt erhob Erdoğan mehrmals historisch verklausulierte Machtansprüche auf Mossul. Und an innenpolitischen Problemen, von denen sich durch solch einen neuen Krieg ablenken ließe, ist auch in der Türkei kein Mangel.

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