Nordirak:Kerzenlicht im Kriegsgebiet

Christian Towns Newly Liberated From ISIL Celebrate Christmas

Da, wo zwei Jahre lang Dunkel herrschte, verbreiteten nun wieder Kerzen ihr Licht, wo erzwungene Stille war, erklangen nun wieder die Gesänge der Gemeinde: eine Christmette in der Nähe der Stadt Mossul.

(Foto: Chris McGrath/Getty)

In Bartella feiern assyrische Christen die erste Heilige Messe, seitdem die Terrormiliz IS sie von dort vertrieben hat. Doch Trauer und Angst sind allgegenwärtig. Im nahen Mossul stockt die Offensive gegen den IS.

Von Moritz Baumstieger

Diese Weihnachtsmesse sollte nicht nur ein Fest, sondern vor allem auch ein Zeichen sein: Hunderte assyrische Christen hatten sich am Wochenende aufgemacht, um im nordirakischen Bartella den Gottesdienst zu feiern. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hatte die christlich geprägte Kleinstadt im August 2014 erobert, seine Kirchen verwüstet und die Bewohner, die nicht geflohen waren, vor die Wahl gestellt: Entweder sollten sie eine spezielle Steuer für Nicht-Muslime zahlen oder zum Islam konvertieren. Sonst bliebe ihnen nur der Tod.

Diese Zeiten sind nun für immer vorbei - das war nun neben der Kunde von der Ankunft des Heilands die zweite frohe Botschaft des Weihnachtsabends in Bartella. Das Kreuz, das die Dschihadisten von der Kuppel der Kirche St. Shimoni gerissen hatten, ist durch ein neues ersetzt worden. Der schwer verwüstete und gebrandschatzte Kirchenraum wurde notdürftig instand gesetzt, die von den Islamisten geköpften Heiligenfiguren teils repariert, teils durch neue ersetzt. Da, wo zwei Jahre lang Dunkel herrschte, verbreiteten nun wieder Kerzen ihr Licht, wo erzwungene Stille war, erklangen nun wieder die Gesänge der Gemeinde. Selbst an diesem Freudentag erfüllten ihn aber gemischte Gefühle, sagte Bischof Mussa Shemani vor dem Gottesdienst: "Wir sind traurig, sehen zu müssen, was unsere eigenen Landsleute mit unseren heiligsten Stätten gemacht haben", so Shemani zur Agentur Reuters. "Aber gleichzeitig sind wir froh, hier die erste Messe nach zwei Jahren zu feiern."

Die Kirche St. Shimoni glich einer Festung, und Bartella einer Geisterstadt

Doch nicht nur die Messe in Bartella taugte zum Zeichen, sondern auch ihre Begleitumstände: Um zum Gottesdienst zu gelangen, mussten sich die Gläubigen von schwer bewaffneten Soldaten in Sturmhauben durchsuchen lassen. Nach der Messe feierten sie das Christfest nicht etwa in ihren Häusern vor Ort, sondern fuhren in Bussen über matschige Straßen zurück in die Flüchtlingslager im kurdischen Autonomiegebiet, in denen sie immer noch leben müssen. Die Kirche St. Shimoni glich an diesem Weihnachten einer Festung, Bartella immer noch einer Geisterstadt. Die Befreiung des 22 Kilometer östlich von Mossul gelegenen Ortes war im Oktober der erste große Erfolg der irakischen Armee bei ihrer Offensive auf die IS-Hochburg und wurde entsprechend gefeiert. Heute zeigt sich auch am Beispiel Bartella, wie wenig es der Anti-IS-Koalition im Irak in der Folge gelang, an diese groß inszenierten Anfangserfolge anzuknüpfen.

Zu Beginn der Offensive auf Mossul hatte der irakische Premierminister Haider al-Abadi noch die Losung ausgegeben, dass der IS bis Ende des Jahres aus der Millionenstadt vertrieben sein werde. Am Dienstag korrigierte sich Abadi und sprach davon, dass man drei weitere Monate brauchen werde, um den IS zu besiegen. Auch diesen Zeitplan halten Beobachter für zu ambitioniert: Zwar ist es der irakischen Armee und ihren Verbündeten gelungen, über 40 Prozent der Provinz Ninive vom IS zurückzuerobern und etwa 25 Prozent des Stadtgebietes von Mossul auf der Ostseite des Flusses Tigris - doch seit einigen Wochen stockt die Offensive. Die Gründe sind nach offiziellen Angaben vielfältig: Zum einen wollte man Zivilisten die Gelegenheit zur Flucht geben, zum anderen sei von Anfang an geplant gewesen, immer wieder Pausen einzulegen, um den Nachschub zu organisieren, frische Kräfte an die Front zu transportieren und beschädigtes Material zu reparieren. Doch immer wieder ist zu hören, dass der Widerstand des IS größer ist als erwartet - und auch die Zahl der Opfer des Anti-IS-Bündnisses: Nach UN-Angaben sollen mehr als 2000 Männer aus den Reihen der irakischen Armee und der mit der Regierung in Bagdad verbündeten kurdischen Peschmerga und schiitschen Volksmobilisierungseinheiten allein im November gefallen sein. Die von den USA ausgebildete Spezialeinheit "Golden Division", die bei der Offensive an vorderster Front kämpft, soll 300 ihrer 3000 Elitesoldaten verloren haben. Verluste gibt es jedoch auch immer wieder in eigentlich schon gesicherten Gebieten, wenn der IS mit Autobomben und Selbstmordattentätern zuschlägt. Allein am Dienstag rissen die Dschihadisten so mindestens 17 irakische Soldaten in den Tod. Kurz vor Weihnachten starben im Stadtteil Gogdschali, weit im von der Regierung kontrollierten Gebiet, 23 Menschen bei einem Bombenanschlag auf einen Markt.

Der IS hindere Zivilisten am Verlassen von Mossul, vermuten Beobachter

Nach Angaben eines Befehlshabers des US-Militärs bereitet die Koalition jedoch eine neue Offensive vor. Derzeit würden Streitkräfte und Ausrüstung positioniert, um in das Zentrum von Ost-Mossul vorzustoßen, sagte Oberleutnant James Stuart der Agentur Reuters in einem Interview. "Es wird in den nächsten Tagen losgehen", sagte Stuart, der ein Bataillon von US-Spezialkräften an der südöstlichen Front kommandiert, die die irakischen Soldaten unterstützen sollen. Ein anderer US-Kommandeur, General Stephen Townsend, zeigte sich in einem Interview in Bezug auf einen schnellen militärischen Sieg über den IS wenig optimistisch: Bis die Terrormiliz aus ihren Hochburgen Raqqa in Syrien und Mossul im Irak vertrieben sei, werden noch zwei Jahre vergehen, so Townsend zu einem US-Online-Magazin.

Für die Zivilbevölkerung würde das weiteres Leid bedeuten. Viele Bewohner des Großraums Mossul glaubten bisher an einen schnellen Erfolg und blieben deshalb in ihren Häusern. Die Zahl der Menschen, die laut UN aus Mossul und den Vororten flohen, liegt derzeit bei über 108 000, 11 000 von ihnen kehrten jedoch bereits in ihre Wohnungen zurück. Experten der UN und anderer Hilfsorganisationen hatten weit höhere Flüchtlingszahlen befürchtet; von bis zu einer Million war die Rede gewesen. Die vergleichsweise geringe Zahl an Geflüchteten bisher liegt laut Beobachtern auch daran, dass der IS Zivilsten am Verlassen der Stadt hindert. Am Montag soll nach Angaben der Dschihadisten zudem ein US-Luftschlag die letzte intakte Brücke über den Tigris zerstört haben.

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