Süddeutsche Zeitung

Nordirak:IS-Extremisten dehnen Terrorherrschaft aus

Die Extremistengruppe Islamischer Staat erobert im Nordirak weitere Gebiete und löst eine Massenflucht aus. Jetzt haben die IS-Kämpfer die größte Talsperre des Landes in ihre Gewalt gebracht - und damit einen strategisch wichtigen Ort.

  • Radikalislamistische IS-Kämpfer rücken im Irak und die von Kurden bewohnten Gebiete vor. 200 000 Menschen sind auf der Flucht. Ein UN-Sprecher spricht von einer "humanitären Tragödie".
  • Terrorgruppe besetzt den größten Staudamm des Iraks - und könnte damit Städte fluten.
  • Kurden bitten die USA um Waffenunterstützung.
  • Extremisten drohen, Bagdad einzunehmen.
  • Lufthansa meidet weiter irakischen Luftraum über IS-Gebieten.

Hunderttausende auf der Flucht

Der Vormarsch der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) im Norden des Irak hat nach Angaben der Vereinten Nationen eine große Fluchtbewegung ausgelöst - etwa 200 000 Menschen sind auf der Flucht.

Hunderte Familien der religiösen Minderheit der Jesiden verließen am Wochenende ihre Häuser, nachdem die Extremisten ihre Heimatorte eingenommen hatten. In den betroffenen Gebieten nördlich und westlich der Großstadt Mossul brachen Panik und Chaos aus. "Die Bewaffneten bringen uns alle ohne Gnade um", sagte ein Bewohner der Nachrichtenagentur dpa. Die Terrorgruppe übernahm die Herrschaft in der Stadt Sindschar und in mehreren Dörfern sowie in der Stadt Samar. Die Terrorgruppe betrachtet die Jesiden als "Ungläubige".

Die Lage der Flüchtlinge ist katastrophal. In Sindschar entfalte sich eine "humanitäre Tragödie", sagte der UN-Sonderbeauftragte für den Irak, Nikolaj Mladenov. Die Flüchtlinge bräuchten dringend Nahrungsmittel, Wasser und Medikamente, so die UN.

5000 Menschen fliehen aus Syrien

In Syrien flohen nach heftigen Angriffen der Armee mit Artillerie und Raketen rund 5000 Menschen aus mehreren Dörfern in der Nähe der ostsyrischen Stadt Dair as-Saur. Die meisten von ihnen seien Frauen und Kinder, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. Dair as-Saur und die gleichnamige Provinz stehen ebenfalls weitgehend unter Kontrolle der IS-Terroristen.

IS-Kämpfer bringen Ölfelder und einen Staudamm in ihre Gewalt

Die Kämpfer der Rebellengruppe haben zwei weitere Ölfelder unter ihre Kontrolle gebracht, wie die irakische North Oil Company mitteilte. Die beiden Felder liegen in der Nähe einer wichtigen Ölpipeline zwischen dem Irak und der Türkei. Dort wohnen mehrheitlich Kurden. Das Gebiet gehört zwar nicht zur kurdischen Autonomieregion, stand aber zuletzt unter Kontrolle kurdischer Peschmerga-Kämpfer. Diese zogen sich nach heftigen Kämpfen mit den Extremisten aus der Region zurück.

Außerdem brachten die Extremisten die Mossul-Talsperre - den größten Staudamm des Iraks kampflos unter Kontrolle, wie Quellen der kurdischen Einheiten berichteten. Mit der Talsperre kontrollieren die Extremisten einen strategisch wichtigen Ort. Damit sind sie in der Lage, Millionenstädte wie Mosul unter Wasser zu setzen. Der 1986 fertiggestellte Stausee befindet sich seit Jahren in schlechtem baulichem Zustand. Experten der US-Armee bezeichneten den Damm 2006 als "gefährlichsten der Welt".

Kurden im Norden Iraks bitten USA um Waffenlieferung

Die Führung in der autonomen Kurdenregion im Norden Iraks hat die USA um Waffen gebeten, um sich gegen die IS-Kämpfer zur Wehr setzen zu können. Ein entsprechendes Ersuchen sei von einer kurdischen Delegation Anfang Juli in Washington vorgetragen worden, heißt es aus US-Regierungskreisen. Die USA hätten zugesagt zu prüfen, wie die Verteidigungsfähigkeit der Kurden verbessert werden könne.

Die Kurden erklärten, die US-Militärhilfe sei für einen Erfolg gegen die aus der Al-Qaida hervorgegangene IS-Gruppe von entscheidender Bedeutung. Die kurdischen Kämpfer benötigten Panzer, Ausrüstungen für Scharfschützen, gepanzerte Truppentransporter, Artillerie und Munition. Auf der Liste stünden zudem Schutzwesten, Helme sowie Tank- und Sanitätsfahrzeuge. Das werde nicht nur zum Schutz der Kurdengebietes gebraucht, sondern auch zur Verteidigung der irakischen Flüchtlinge, die sich in die Obhut der kurdischen Peschmerga-Miliz begeben hätten.

Islamisten drohen mit Einnahme Bagdads

Die früher als Isis bekannte Bewegung Islamischer Staat hatte im Juni den Norden Iraks unter ihre Kontrolle gebracht und dort ein Kalifat ausgerufen. Viele irakische Soldaten desertierten angesichts der Offensive der Extremisten oder liefen zu ihnen über. Derzeit steht der Islamische Staat ungefähr 100 Kilometer vor Bagdad und droht, auch die Hauptstadt einzunehmen. Zuvor hatten die Islamisten den Bürgerkrieg in Syrien ausgenutzt, um dort in einigen Gebieten ihre fundamentalistische Herrschaft zu errichten. Im Irak finden sie teilweise bei den Sunniten Unterstützung, die sich von der Mehrheit der Schiiten im Land unterdrückt fühlen. Die Schiiten dominieren die Regierung in Bagdad.

Die Lufthansa-Gruppe weitet Flugverbot aus

Die Lufthansa-Gruppe verlängerte ein selbst auferlegtes Flugverbot im Luftraum über den von den Aufständischen kontrollierten Gebieten. Die Regelung hatte zunächst nur für das Wochenende gegolten. Der Konzern erklärte bereits am Freitag, nach eigener Bewertung gegenwärtig keine Erkenntnisse für eine Gefährdung von Überflügen über den Irak zu haben. Aber: "Mit diesem Schritt trägt die Lufthansa Group der Verunsicherung von Kunden und auch der eigenen Besatzungen Rechnung." Zum sollen "nach erneuter Beratung mit den zuständigen Sicherheitsbehörden" Flüge ins nordirakische Erbil - unter Meidung der Krisengebiete - von Montag an aber wieder aufgenommen werden, teilte die Lufthansa Group mit.

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