Die Niederländer schauen gerade intensiv nach Deutschland. Die Thüringer Turbulenzen, der Triumph der AfD, die Krise der CDU: Man fragt besorgt, was das wohl für die Stabilität des Landes und Europas bedeuten könnte. Aber auch der umgekehrte Blick lohnt sich. Die Lage in Nordbrabant, einer großen Provinz im Süden der Niederlande, liefert ein Spiegelbild der deutschen Verhältnisse. Eine Konstellation fast wie in Thüringen: Weil Christdemokraten (CDA) und Rechtsliberale (VVD) nicht genug Stimmen haben zum Regieren, erwägen sie ernsthaft, eine Koalition mit dem ziemlich weit rechts stehenden Forum für Demokratie (FvD) einzugehen, das man getrost mit der AfD vergleichen kann.
Das Forum ist keine fünf Jahre alt, doch extrem erfolgreich; bei den Provinzwahlen vor einem Jahr gelang ihm mit 16 Prozent der Stimmen der Durchbruch, es hat inzwischen mehr Mitglieder als alle anderen Parteien und könnte bei der landesweiten Wahl 2021 auf Platz zwei oder drei landen.
Thierry Baudet, Gründer und Vordenker des Forums, gilt als Shootingstar der niederländischen Politik, an dessen Extravaganz und Provokationen sich die Medien abarbeiten. Als erklärter Nationalist hasst er die EU und wettert gegen Migranten, wünscht, dass Europa "überwiegend weiß" bleibt, pflegt Umgang mit Identitären und liefert immer wieder Anlässe, ihm zumindest heimlichen Rassismus vorzuwerfen. Der jüngste war ein Twitter-Unfall: Zwei "liebe Freundinnen" von ihm seien von vier "Marokkanern" im Zug belästigt worden, schrieb er empört. Die "kindlich naiven" Niederländer sollten für seine Partei stimmen, um das Land zu retten. Wie sich herausstellte, waren die "Marokkaner" schlicht Zugkontrolleure, und Baudets "Freundinnen" hatten ihre Tickets nicht zeigen wollen. Baudet musste sich entschuldigen, er habe voreilig und übertrieben reagiert.
Vor diesem Hintergrund führte die Nachricht, dass in Brabant Koalitionsverhandlungen mit dem FvD aufgenommen wurden, zu Stirnrunzeln in den Parteizentralen. Weniger bei den pragmatischen Rechtsliberalen: Sie haben auf lokaler Ebene hin und wieder mit Rechtspopulisten kooperiert. Und landesweit war es ihr pragmatischer Ministerpräsident Mark Rutte, der 2010 seine Minderheitsregierung von einer "Duldung" durch den Islamfeind Geert Wilders abhängig machte. Wilders stieg nach zwei Jahren aus. Das Experiment gilt heute als "Sündenfall", der sich nicht wiederholen solle.
Die CDA-Führung schweigt zu dem Ansinnen, doch es regt sich Widerstand in der Partei
Die Christdemokraten wären damals fast zerbrochen an der Frage, ob man mit jemandem wie Wilders zusammenarbeiten darf. Deshalb regt sich in ihren Reihen nun Widerstand gegen eine Koalition mit dem Forum. Man dürfe nicht "normalisieren", was Baudet sage und twittere, warnte der frühere Brabanter CDA-Vorsitzende Wil van der Kruijs. Dieser benutze eine "rassistische Sprache". Der ehemalige CDA-Abgeordnete Ad Koppejan, der sich 2010 schon gegen Wilders gestemmt hatte, nennt es "ziemlich schmerzhaft", dass man aus dem missglückten Flirt mit rechts so wenig gelernt habe. Die Christdemokraten stünden für eine Reihe von Werten, nicht zuletzt Respekt füreinander. "Wie kann man dann mit einer Partei (wie dem FvD) zusammenarbeiten, die Marokkaner ausgrenzt, die Immigranten ausgrenzt, die ganze Teile der Gesellschaft ausgrenzt?"
Aber es gibt auch andere Stimmen. Das sei Sache der Brabanter, sagte ein hoher CDA-Funktionär der Zeitung Volkskrant. Nicht alle Wähler des Forums seien Rassisten oder Baudet-Fans, man dürfe Protestparteien nicht von vornherein ausschließen. Durch eine Einbindung des Forums lasse sich womöglich zeigen, wie wenig es zu bieten habe. Und irgendwie müsse die Provinz ja regiert werden. Andere meinen, man dürfe Baudets Twitterei nicht so ernst nehmen.
Der CDA hat auch ein inhaltliches Motiv, das Forum ins Boot zu holen. Nordbrabant hat die höchste Schweinedichte Europas, was zu stark überhöhten Stickstoffeinträgen auf den Böden führt. Die Zahl der Tiere müsste dringend gesenkt werden, was viele Bauern nicht mitmachen wollen. Die Christdemokraten, die sich als Vertreter der Landwirte verstehen, hatten aus Protest gegen geplante scharfe Umweltmaßnahmen im vergangenen Jahr eine Mitte-links-Koalition in Brabant verlassen. Das Forum wäre umweltpolitisch ein angenehmerer Partner für sie: Das Stickstoffproblem, das die Niederlande seit Monaten umtreibt und die Regierung zur Einführung von Tempo 100 auf Autobahnen zwang, ist nach Ansicht Baudets gar kein Problem, sondern eine Erfindung der Linksliberalen.
Während die CDA-Führung schweigt und den Brabantern freien Lauf lässt, bringt sich Baudet in Stellung: Das Forum sei eine "ernsthafte Regierungspartei", es wolle zeigen, dass es bereit sei, Verantwortung zu tragen.