Die Länge der Mitteilung steht zu ihrer Tragweite in einem schlechten Verhältnis. Elf Zeilen genügen dem Kantonsgericht Zug, um die vorläufige Rettung der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 in die Welt zu senden. Und es sind elf Zeilen voller Rätsel.
Dabei hätte es an diesem Freitag vorbei sein können mit der Nord Stream 2 AG, der Betreiberfirma der Pipeline. Gleich zwei Fristen endeten: eine für die Sanierung des Unternehmens, eine für die Bedienung von rund 150 Kleingläubigern. In beiden Fällen war das Kantonsgericht Zug in der Schweiz, bei dem das Verfahren läuft, äußerst nachsichtig gewesen. Wann immer Fristen abliefen, wurden sie kurz vorher noch verlängert.
„Wir haben unser Geld bekommen.“
Aber offenbar gibt es in beiden Fällen nun eine Lösung. Die Kleingläubiger, darunter etwa Handwerker, aber auch Strom- und Wasserversorger in Mecklenburg-Vorpommern, wurden ausgezahlt. Hier ging es um rund 60 Millionen Euro. Auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung zum Beispiel bei einem der Kleingläubiger, dem Baltic Taucherei- und Bergungsbetrieb in Rostock, heißt es am Freitag: „Wir haben unser Geld bekommen.“
Und mit den Großgläubigern gibt es eine Einigung. Jedenfalls hat die zahlungsunfähige Firma der Mitteilung des Gerichts zufolge schon in der vergangenen Woche einen „Nachlassvertrag“ mit ihren Gläubigern geschlossen, der nun vom Gericht anerkannt wurde. In solchen Verträgen erlassen die Gläubiger einen Teil der Schulden, und zwar alle im gleichen Verhältnis. Wie genau dieser Vertrag aussieht, ist nicht bekannt. Zu den größten Gläubigern gehören ganz sicher jene Energiefirmen, die der Gazprom-Tochter einst Geld für den Bau der Pipeline gaben. Darunter ist auch die deutsche Uniper, die mittlerweile in Staatshand ist. Uniper wollte sich zu der Mitteilung des Gerichts am Freitag nicht äußern.
Ein Spielball der Geopolitik
Gegen die Bestätigung durch das Gericht kann noch Einspruch eingelegt werden. Fest steht aber, dass damit der Konkurs in letzter Minute noch einmal abgewendet ist. Andernfalls wäre die Pipeline wohl meistbietend versteigert worden; in den USA hatten sich bereits potenzielle Investoren bereitgefunden. Allerdings hätten nach einem Konkurs auch einige Genehmigungen für das Röhrenpaar neu eingeholt werden müssen. Das ist nun nicht der Fall, womit auch Russland im Spiel bleibt. Es gibt schon Spekulationen über einen möglichen russisch-amerikanischen Deal, um die Pipeline zu reaktivieren. Moskau hat daran großes Interesse. Wo genau das Weiße Haus unter Donald Trump in der Sache steht, ist unklar.
Nord Stream 2 ist seit jeher ein Spielball der Geopolitik. Innerhalb der EU war die Leitung von Anfang an umstritten, weil sie nicht nur EU-Länder wie Polen, sondern auch die Ukraine umging. Die USA schließlich belegten alle Firmen, die irgendwie am Bau beteiligt waren, mit Sanktionen. Nachdem sie, auch dank einer trickreichen Umgehung der Sanktionen, dennoch fertiggestellt war, überfiel Russland die Ukraine. Deutschland stoppte daraufhin die allerletzte offene Genehmigung. Im September 2022 schließlich wurde sie durch einen Sprengstoffanschlag schwer beschädigt, nur eine der beiden Röhren überstand ihn; die Nachbarleitung Nord Stream 1 ist seitdem unbrauchbar.
Viel Segen lastete jedenfalls bisher nicht auf der Pipeline, im Gegenteil: Die Röhren durch die Ostsee wurden zum Sinnbild der deutschen Abhängigkeit von Russland. Und schon wächst bei manchen die Angst, dass sich Geschichte hier wiederholt. „Diese Gerichtsentscheidung macht eine Nutzung leichter, auch wenn noch Hürden bleiben“, schwant etwa dem grünen Energiepolitiker Michael Kellner, der sich bis vor Kurzem als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium mit dem Thema befassen durfte. Insgesamt sei die Entscheidung des Kantonsgerichts „zwielichtig“. Im Bundestag werde man nun auf Aufklärung drängen: Schließlich müssen auch die Gläubiger zugestimmt haben, und mit Uniper steht einer von ihnen unter der Aufsicht des Bundesfinanzministeriums. Das wird nun vom SPD-Politiker Lars Klingbeil geführt, hier betont man mit Blick auf Uniper und den Forderungsverzicht, das kommentiere man nicht, es gehe hier um Fragen der operativen Geschäftsführung.
Und auch Greenpeace warnt vor einem Revival in der Ostsee. „Diese Pipeline würde Geld in Putins Kriegskasse spülen und Europa in eine neue Abhängigkeit von russischen Importen lenken“, sagt Karsten Smid, Energieexperte der Umweltorganisation. In der deutschen Wirtschaft dagegen verbinden viele die Pipelines mit Zeiten günstiger Gaspreise. Erst am vorigen Dienstag hatte allerdings die EU-Kommission vorgeschlagen, russische Gasimporte von 2027 an komplett zu verbieten.