Süddeutsche Zeitung

Nord Stream 2:Ein Rennen gegen die Zeit und die USA

Kurz vor der Fertigstellung der deutsch-russischen Gaspipeline Nord Stream 2wächst der Druck: Immer mehr Unternehmen ziehen sich zurück, weil sie US-Sanktionen fürchten - nun auch ein wichtiger Vertragspartner aus Hamburg.

Von Daniel Brössler und Reiko Pinkert, Berlin

Sie haben es kommen sehen. "Die Parteien sind sich im Klaren darüber, dass US-Sanktionen drohen, während sie mit den Arbeiten beschäftigt sind", heißt es in Artikel 11 des Vertrages, den ein russisches Unternehmen namens Mortransservice mit Sitz in Kaliningrad und die Robert Krebs GmbH, ein in Hamburg ansässiger deutscher Mittelständler, im vergangenen Oktober geschlossen haben. Es geht um Korrosionsschutz, Schiffsinstandsetzung - und Weltpolitik. Der Auftrag ist Teil eines Rennens gegen die Zeit und gegen die Vereinigten Staaten von Amerika.

Seit einigen Jahren versuchen die USA mit wachsendem Druck, die Fertigstellung der deutsch-russischen Gas-Pipeline Nord Stream 2 zu verhindern, in der sie eine Gefahr für die Ukraine und die europäische Energiesicherheit sehen. Fertig gebaut werden soll die Leitung trotzdem, bisher auch mit Hilfe der Krebs GmbH und eines 26,2-Millionen-Euro-Auftrages. Doch der Druck zeigt Wirkung und er lässt auch nach dem Regierungswechsel in Washington nicht nach. Nach Informationen von NDR und Süddeutscher Zeitung steigt nach etlichen anderen westlichen Unternehmen nun auch Krebs aus dem Projekt aus - und damit kein unwichtiger Vertragspartner.

Nach Angaben von Nord Stream 2 müssen nur noch sechs Prozent der 1230 Kilometer langen Leitung durch die Ostsee verlegt werden. Doch die erweisen sich als die schwierigsten - und das, obwohl die schon lange angedrohten Sanktionen bisher nur gegen das russische Verlegeschiff Fortuna und dessen Betreiber KVT-RUS verhängt wurden. Ein neuer Bericht des US-Außenministeriums an den US-Kongress zeigt, wie der Druck wirkt. 18 westliche Unternehmen haben sich demnach schon aus dem Projekt zurückgezogen oder es angekündigt, unter ihnen der Industriedienstleister Bilfinger aus Mannheim und der zur Münchener Rück gehörende Versicherer Munich Re Syndicate Limited. Für die Firmen war es eine Abwägung: Weiter mitmachen bei Nord Stream 2 oder erheblichen Ärger mit den USA und vor allem ihr Geschäft dort riskieren.

Im Vertrag werden US-Sanktionen als höhere Gewalt ausgeschlossen

Die Firma Krebs, 1949 als Familienunternehmen gegründet, expandiert zwar nach eigenen Angaben, eröffnete 2019 etwa einen Standort in England, aber um ein US-Geschäft muss sich der Industriedienstleister nicht sorgen - was die Firma aus russischer Sicht als Partner interessant gemacht haben dürfte. Im Vertrag werden US-Sanktionen als höhere Gewalt ausdrücklich ausgeschlossen. Während immer mehr Unternehmen absprangen, sah es so aus, als würde Krebs Nord Stream 2 die Stange halten. Auf Kontaktversuche seitens der US-Regierung reagierte Krebs nicht.

Wie SZ und NDR vorliegende Rechnungen, Vertragsunterlagen und Arbeitszettel zeigen, war das Unternehmen bis zuletzt vielfältig im Einsatz für das Röhrenprojekt. Im Kern geht es darum, zwei betagte russische Schiffe auf Vordermann zu bringen, die Fortuna und die Akademik Cherski. Sie sollen die Lücke füllen, die der Abzug der Spezialschiffe eines Schweizer Unternehmens 2019 gerissen hat. Außerdem fungierte Krebs als Vermittler für zahlreiche andere Firmen aus Deutschland und anderswoher.

Auf Anfragen zum Nord-Stream-Auftrag aus dem Projekt reagierte Krebs bisher nicht; der Ausstieg wurde NDR und SZ aber von mehreren Insidern bestätigt. Den Sinneswandel bewirkt haben könnte ein Phänomen, das sich auch anderswo zeigt, wenn die USA Sanktionen einsetzen oder auch nur mit ihnen drohen: Wenn es ums Geld geht, führen fast alle Wege früher oder später nach Amerika. Im konkreten Fall: Für die Bezahlung seiner Rechnungen hat die Firma Krebs ein Konto bei der Commerzbank angegeben, die sich Ärger in den USA nicht leisten kann. Auf Nachfrage äußert sich die Bank nicht, aber als ziemlich unwahrscheinlich darf gelten, dass sie weiterhin Zahlungen ermöglicht, die zur von US-Sanktionen betroffenen Fortuna und ihren Betreibern führen.

Auch Biden hält Nord Stream 2 für einen schlechten Deal

Das gilt umso mehr, als die US-Regierung klar macht, dass der Kampf gegen Nord Stream 2 unter Präsident Joe Biden nicht weniger entschlossen ausgetragen werden soll als unter Donald Trump. "Präsident Biden ist nach wie vor der Meinung, dass Nord Stream 2 ein schlechter Deal ist", stellte die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, am Montag klar. Die Pipeline spalte Europa, setze die Ukraine und Mitteleuropa russischer Manipulation aus und sie widerspreche den von Europa selbst gesetzten Ziel der Energiesicherheit. Die Konsultationen mit den Partnern würden "robust" weitergeführt, heißt es im Bericht des US-Außenministeriums an den Kongress. Was die Bundesregierung angehe, aber ohne Erfolg: "Die Bundesregierung bleibt dem Nord-Stream-2-Projekt vollkommen verpflichtet und beharrt darauf, dass es ein notwendiges und kommerzielles Vorhaben ist."

Deutschland lehne die US-Sanktionen als Angriff auf die eigene und die Souveränität der EU ab, wird außerdem konstatiert. Wirksam sind sie aber eben trotzdem, wie die Erfolgsliste des Berichts zeigt. So habe die Axa-Gruppe am 29. Januar 2021 informiert, dass sie Nord Stream 2 den Versicherungsschutz entzogen habe. Auch der Industrie-Dienstleister Bilfinger habe Dokumente eingereicht, die seinen Ausstieg aus dem Projekt belegen. Aufgelistet wird auch der Zertifizierer DNV. Hier dürfte es für Nord Stream 2 besonders schwierig werden, für Ersatz zu sorgen.

Ersatz für Krebs allerdings ist womöglich schon in Sicht. Ein früherer Geschäftsführer des Unternehmens hat bereits eine neue Firma gegründet und will im Hafen von Rostock ein Gelände pachten.

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