Ostsee-Pipeline:Berlins Geisterfahrt bei Nord Stream 2

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US-Präsident Trump und Kanzlerin Merkel beim Nato-treffen nahe London (Foto: AFP)

Ist mal wieder der erpresserische Trump schuld? Von wegen. Die Sanktionen gegen Deutschland wurden von Republikanern und Demokraten verabschiedet. Die Bundesregierung vergrault in den USA selbst ausgewiesene Freunde.

Kommentar von Hubert Wetzel, Washington

Der Duden definiert ein Wunder, etwas verkürzt gesagt, als ein außergewöhnliches, den Naturgesetzen widersprechendes und deshalb übernatürlichen Kräften zugeschriebenes Ereignis. Nach diesem Maßstab hat die Bundesregierung ein Wunder vollbracht. Sie hat Republikaner und Demokraten im US-Kongress dazu gebracht, gemeinsam ein Gesetz zu billigen, das Firmen bestraft, die an der Gaspipeline Nord Stream 2 bauen. Da der Naturzustand in Washington darin besteht, dass Republikaner und Demokraten einander bis aufs Blut bekämpfen, hatte diese Einigung durchaus übernatürliche Qualität. Ein Zyniker würde sagen: Berlin kann sehr stolz sein.

Stattdessen aber klagt die Bundesregierung, allen voran die SPD. Die Sanktionen seien eine neue Untat von Donald Trump, heißt es empört, eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Deutschlands: Wo und wie wir unser Gas kaufen, geht Amerika gar nichts an! Besonders Mutige rufen schon nach Gegensanktionen: Was Trump kann, können wir auch!

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:Die Pipeline muss kommen

Die USA wollen verhindern, dass noch mehr russisches Gas durch die Ostsee nach Deutschland fließt. Die Bundesregierung muss zwar offen sein für einen Dialog, darf sich aber nicht erpressen lassen.

Kommentar von Cerstin Gammelin, Berlin

Diese Argumentation ist ebenso falsch wie gefährlich. Falsch ist sie, weil Trump mit dem jetzt verabschiedeten Sanktionsgesetz wenig zu tun hatte. Es stimmt, dass der Präsident die Ostsee-Pipeline nicht mag. Aber die Strafen gegen die Baufirmen wurden im Senat ausgetüftelt. Und sie wurden im Kongress von beiden Parteien auf breiter Basis unterstützt. Statt über Trump zu jammern, sollte man in Berlin aus dieser ungewöhnlichen Lage den Schluss ziehen, dass in Washington auch viele vernünftige Menschen, die Deutschland eigentlich sehr wohlwollend gegenüberstehen, gegen die Pipeline sind. Alles neidische Ignoranten? Vielleicht ja nicht.

Gefährlich ist die deutsche Argumentation, weil die Empörung über den angeblichen Erpresser Trump verschleiert, wie sehr Deutschland selbst dem transatlantischen Verhältnis schadet. Man kennt das aus der Debatte um das Zwei-Prozent-Ziel der Nato bei den Militärausgaben, das zu erreichen sich Berlin trotz einer klaren Selbstverpflichtung hartnäckig weigert; und von dem die SPD auch so tut, als habe der böse Trump es erfunden.

Moskau filetiert die Ukraine

Die Sicht in den USA, die nicht nur Trump-Leute teilen, sondern eine beunruhigend große Anzahl Außen- und Sicherheitspolitiker, ist in beiden Fällen gleich: In dem Moment, in dem Russland wieder zur Bedrohung für Europa wird und Amerikas Demokratie attackiert, duckt sich Deutschland weg. Moskau filetiert die Ukraine, aber Berlin denkt nicht daran, die vereinbarte Summe für seine und Europas Sicherheit auszugeben. Stattdessen baut Deutschland eine Pipeline, die Russlands wirtschaftliche Macht als Energieversorger und Moskaus strategischen Einfluss im Westen weiter stärkt.

Die Bundesregierung mag dieses Verhalten logisch finden. Aber es ist eine Logik, für die in Amerika selbst ausgewiesene Deutschlandfreunde kaum noch Verständnis haben. Schon Präsident Barack Obama hat auf diese Widersprüche hingewiesen, wenn auch höflich. Berlin fand es bequemer, ihn zu ignorieren.

Es gibt deutsche Politiker, die stolz darauf sind, aus Prinzip immer in eine andere Richtung zu steuern als Trump. Oft ist das sinnvoll. Manchmal fragt man sich allerdings, wer da jetzt tatsächlich der Geisterfahrer ist. Dass das in Zeiten des Donald Trump überhaupt eine Frage sein kann, ist noch so ein Berliner Wunder.

© SZ vom 24.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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