Süddeutsche Zeitung

Gaspipeline Nord Stream 2:Die US-Sanktionen sind falsch, anmaßend und heuchlerisch

Die Strafmaßnahmen des Repräsentantenhauses richten sich gegen Firmen, die am Bau der Gasleitung von Russland nach Deutschland beteiligt sind. Das ist nichts anderes als die weltpolitisch verbrämte Umsetzung der America-First-Strategie.

Kommentar von Kurt Kister

Es ist eine paradoxe Situation. Einerseits kann es sinnvoll sein, dass die deutsche Regierung die Fertigstellung der durch die Ostsee führenden Gaspipeline Nord Stream 2 verzögert oder aussetzt. Gleichzeitig aber sind die jetzt vom US-Repräsentantenhaus beschlossenen Sanktionen gegen Firmen, die am Bau dieser Pipeline beteiligt sind, falsch, anmaßend und heuchlerisch.

Berlin hat vor Jahren gemeinsam mit Moskau das Pipeline-Projekt begonnen. Es stößt in Teilen der EU, aber vor allem in der Ukraine und in Polen auf Widerstand, weil gerade diese Länder hohe Durchleitungsgebühren durch "ihre" Gasleitungen verlieren werden. Andererseits sichert eine Direktleitung nach Deutschland die Gasversorgung aus Russland, auch wenn das nahezu feindliche Verhältnis zwischen Kiew und Moskau dazu führen würde, dass der eine oder der andere das Gas durch die Landleitungen abdreht. Eine zweite Gasleitung durch die Ostsee liegt nicht in ukrainischem, aber doch in deutschem Interesse. In russischem Interesse ist sie allemal.

Und genau das stört jene Amerikaner, die sich angeblich Sorgen darum machen, dass Deutschland zu sehr von russischem Gas abhängig wird. Diese Umschreibung bedeutet nichts anderes, als dass viele in Washington den Russen jenes Geld, das sie durch ihr Gas verdienen, nicht gönnen wollen, auch weil Amerika lieber sein eigenes Gas an Europa und die Deutschen verkaufen würde.

Die jetzt vom Repräsentantenhaus beschlossenen Sanktionen gegen Firmen, die beim Bau der Nord-Stream-Pipeline mitmachen, sind die weltpolitisch verbrämte Umsetzung der America-First-Strategie, die in diesem Fall auch von den meisten US-Demokraten geteilt wird. Simpel gesagt: Washington will Deutschland vorschreiben, von wem es auf welche Weise Energie kaufen soll. Und gleichzeitig möchte man verhindern, dass Russland davon profitiert.

Die EU muss Wege des Miteinanders mit Russland finden

Allerdings trifft es zu, dass Moskau nicht nur durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim sowie das Schüren von Kriegen an seiner Peripherie und anderswo verwerfliche, skrupellose Machtpolitik mit Gewalt betreibt. Doch kann dies nicht bedeuten, dass man die Beziehungen abbricht, keinen Handel mehr treibt und sich auch der Möglichkeiten begibt, Einfluss zu nehmen. Russland ist der größte Nachbar der EU, und obwohl es ein semiautoritärer Staat ist, muss man Wege des Miteinanders finden.

Wenn allerdings ein russischer Geheimdienst offenbar einen Killer nach Berlin schickt, um dort einen Menschen zu töten, den Russlands Präsident einen Banditen nennt, dann muss die deutsche Regierung darauf antworten. Putin hat jüngst über die Umstände dieses "Falls" dreist und öffentlich gelogen; dass auch der US-Präsident immer wieder lügt, ist leider wahr, macht es aber nicht besser.

Wegen des Berliner Mords sind, sollte Moskau nicht doch noch kooperieren, klare Antworten nötig - bis hin zu Sanktionen. So entsteht die absurde Lage, dass Berlin auch über ein Aussetzen der Zusammenarbeit bei der Ostsee-Pipeline nachdenken sollte, auch wenn dies aus ganz anderen Gründen nötig sein könnte als jene, die in Washington vorgebracht werden. Berlin ist wahrlich in keiner erstrebenswerten Position: Der frühere Freund im Westen verhält sich seit ein paar Jahren immer wieder mal so, wie es der Nachbar im Osten schon länger tut.

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SZ vom 13.12.2019/jael
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