Süddeutsche Zeitung

Nationalsozialismus:Der ewige Streit um Hitler-Attentäter Stauffenberg

Er war kein Demokrat, aber welche Motive trieben ihn an? Der Anschlag des schwäbischen Aristokraten bleibt auch 75 Jahre danach umstritten.

Kolumne von Norbert Frei

Dass sie dem Willen der Mehrheit ihrer Landsleute zuwiderhandeln würden, wussten die Verschwörer des 20. Juli 1944 lange vor der Tat. Am Tag nach ihrem Scheitern erklangen zwar keine kirchlichen Dankeslieder mehr wie nach dem 8. November 1939, als es dem Schreinergesellen Georg Elser fast gelungen wäre, Hitler im Münchner Bürgerbräukeller zu töten. Aber noch einmal löste die Nachricht von einem Anschlag auf den "Führer" Empörung aus. Viele glaubten Hitler, als er im Rundfunk vom Komplott einer "ganz kleine(n) Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich verbrecherischer, dummer Offiziere" sprach. Erst als sich die Erregung etwas gelegt hatte, registrierten "Gegnerforscher" der SS andere Stimmen: Die Chance einer Abkürzung des Krieges, eines Endes mit Schrecken, sei vertan.

Man muss zurückgehen bis zu dieser Anfangsambivalenz, wenn man verstehen will, warum es den Deutschen auch nach dem "Zusammenbruch" über Jahrzehnte hinweg kaum gelang, einen klaren Blick zu gewinnen auf Claus Schenk Graf von Stauffenberg, seinen mutigen Entschluss und die militärische Opposition gegen Hitler - und warum wir uns bis heute damit schwertun.

Viele Westdeutsche verurteilten noch Jahre nach dem Krieg den Anschlag auf den "Führer"

In den ersten Jahren der jungen Bundesrepublik kniffen selbst die politischen Spitzen, wenn es darum ging, den Männern des 20. Juli und ihrer Tat Anerkennung zu verschaffen. 1951, zum siebten Jahrestag des gescheiterten Putschs, versuchte Otto Lenz, der wegen seiner Kontakte zum Goerdeler-Kreis im Januar 1945 vom Volksgerichtshof zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt worden war und inzwischen als Staatssekretär im Bundeskanzleramt saß, Konrad Adenauer zu einer Erklärung zu bewegen. Vergeblich: Der Kanzler kannte wohl die jüngste Umfrage der Allensbacher, wonach noch immer 30 Prozent aller Bundesbürger (und fast doppelt so viele unter den ehemaligen Berufssoldaten) den Anschlag auf das Leben ihres vormaligen "Führers" missbilligten. Auch Bundespräsident Theodor Heuss hielt es für klüger, die Volksseele nicht zu reizen angesichts einer (Neonational-)Sozialistischen Reichspartei, die mit Hetzparolen gegen die "Eidbrecher" Wahlerfolge feierte; erst einen Sommer später beklagte er öffentlich die "Versudelung" des Andenkens der Widerständler.

Noch die Veranstaltung zum zehnten Jahrestag des 20. Juli kam einem politischen Kraftakt gleich. Der junge Historiker Fritz Stern, der die Szene im Hof des Bendlerblocks beobachtete, schrieb daraufhin einem amerikanischen Freund: "Selbst Heuss fühlte sich gezwungen, zu rechtfertigen, was eigentlich hätte gefeiert werden müssen."

Alsbald nach dieser offiziellen Würdigung machte sich in der westdeutschen Publizistik eine hagiografische Überhöhung des "anderen Deutschland" breit, die nicht zuletzt von der Schuld an den NS-Verbrechen entlasten sollte. Das rief seit etwa Mitte der Sechzigerjahre eine neue Generation von Zeithistorikern und Politologen auf den Plan, die das elitäre Gesellschaftsbild der Verschwörer und ihr meist autoritäres Staatsverständnis in den Blick nahmen. Forscher wie Hans Mommsen und Hermann Graml dementierten damit eine Deutung, die im Interesse des noch immer wachsenden Kreises derer lag, die dem Widerstand einst angehört haben wollten: die Behauptung nämlich, von den politischen Zielen und Motiven Stauffenbergs und seiner Freunde führe eine direkte Linie zur Wiederbegründung der Demokratie in Deutschland nach 1945.

Auch mit solchen Apologien hing es zusammen, wenn im folgenden "roten Jahrzehnt" der alten Bundesrepublik von der konservativen Opposition gegen Hitler kaum noch jemand etwas wissen wollte; stattdessen begannen sich "Barfußhistoriker" und eine neue Alltagsgeschichte für das - mehr oder weniger - widerständige Verhalten der "kleinen Leute" zu interessieren und für den im Zeichen des Kalten Krieges tatsächlich lange ignorierten Widerstand der Kommunisten.

Das alles zeigt: Von einem festgefügten Bild der "Deutschen Opposition gegen Hitler", das Hans Rothfels gleich nach Kriegsende, noch im amerikanischen Exil, zu etablieren suchte, konnte eigentlich zu keinem Zeitpunkt seit 1945 die Rede sein. So ist die Rechte bis heute uneins, ob man den Widerstand als "Verrat am Vaterland" geißeln oder vereinnahmen soll, wie es neuerdings die "Vogelschiss"-Partei versucht, nach dem absurden Motto: "Sophie Scholl würde AfD wählen."

Etwas Künstliches hat freilich auch die Empörung, mit der manche aus der Enkelgeneration des 20. Juli auf die jüngste Stauffenberg-Biographie reagieren. Ihrem Autor Thomas Karlauf kommt das Verdienst zu, Stauffenbergs tiefe Prägung durch die lebenslange Zugehörigkeit zum George-Kreis herauszuarbeiten, die seinen Entschluss zur Tat ganz zweifellos befördert hat. Dass der schwäbische Aristokrat kein Demokrat war und bis weit in den Krieg hinein ein begeisterter Anhänger der Idee eines machtvollen "Dritten Reiches", liegt seit Langem zutage, wird nun aber wie ein Skandalon behandelt.

Sophie von Bechtolsheim, eine Enkelin Stauffenbergs und selbst Historikerin, glaubt gar, sich gegen Analogien verwahren zu sollen, die niemand aufgestellt hat. Weil Karlauf, gewiss schroffer als andere, die überkommene Rede vom "Aufstand des Gewissens" kritisiert und Stauffenbergs Bereitschaft zur heroischen Tat hervorkehrt, sieht die Enkelin ihren Opa in die Nähe von IS-Kämpfern gerückt. Entsprechend seltsam der Titel ihres für nächste Woche angekündigten Buches: "Mein Großvater war kein Attentäter".

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SZ vom 21.06.2019/kia
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