Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. So sagt es ein Bibelvers. Das prachtvoll altertümliche Wort passt zu ihm, es passt zum Leben des gelernten Werkzeugmachers und studierten Philosophen, es passt zum Wirken des Herz-Jesu-Marxisten und Langzeit-Ministers, es passt zu diesem kleinen Mann, der auch ein großer Kämpfer für die Menschenrechte ist.
Dieser Norbert Blüm ist nicht ein Sozialpolitiker, er ist der Sozialpolitiker - auch heute noch, zwölf Jahre nach seinem Abschied als Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. Seine Partei, die undankbare CDU, hat ihn 2003, beim Leipziger Parteitag, in ihrem neoliberalen Rausch von der Bühne gepfiffen. Wäre Blüm nicht Blüm, sondern ein Köhler oder ein Ole von Beust, er wäre damals ab- und aus der Partei ausgetreten, er hätte sich in eine stille Ecke verzogen oder ins Ferienhäuschen nach Finnland.
Jetzt erst recht
Aber so einer war Blüm nie. Er ist ein Jetzt-erst-recht-Politiker - einer mit einer Mission, mit einer Botschaft, die man nicht einfach ausschaltet, wenn man nicht mehr Minister ist. Jetzt erst recht: Als seine Partei ihn nicht mehr hören wollte, da ist Blüm in die Talkshows gegangen, in die Hörsäle und auf die Theaterbühne, er hat Dutzende zornige Aufsätze und Bücher geschrieben, zum "Lob der Gewerkschaft" und für den "Vorrang der Arbeit vor dem Kapital". Blüm machte Kabarett, zog mit einem "Heimatabend" und dem Schauspieler Peter Sodann durch die Republik, von der Fachkritik verachtet, vom Publikum verehrt - und geliebt von den Studenten, denen er an den Universitäten in Bonn und Aachen die Christliche Soziallehre nahebrachte.
Blüm ist einer, der farbig reden und abendfüllend witzig sein kann, sich im Eifer des Gefechts auch mal verkalauert; aber stets spürt man: Da ist einer überzeugt von dem, was er sagt. Und er ist kenntnisreich: Kaum einer kann das Sozialversicherungssystem so gut erklären wie er, kaum einer mit solchem Eifer dafür werben, dass die kleinen Leute es gut haben sollen. Er tat dies so lange, bis auch Angela Merkel verstand, was einst Helmut Kohl gewusst hat: Dass man ohne "soziales Gewissen" keine Wahlen gewinnen kann.
Streitlustig wie eh und je
Wenn die CDU heute wieder eine sozialere Partei ist als vor sieben Jahren, dann ist das auch der Unverdrossenheit von Leuten wie Heiner Geißler und Norbert Blüm zu verdanken. Blüm, der einst CDU-Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen war, kann sich heute schier närrisch darüber freuen, dass seine CDU in Karl-Josef Laumann wieder einen Sozialpolitiker von Schrot, Korn und Einfluss hat. Und Blüm kann sich mächtig darüber erregen, wenn sein Satz "Die Rente ist sicher" verlacht wird.
Hat er nicht alles getan, um die Rente sicher zu machen? Hat er nicht den Demographiefaktor eingeführt, den aber die rot-grüne Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder sofort wieder abgeschafft, aber dann vier Jahre später als "Nachhaltigkeitsfaktor" kleinlaut wieder eingeführt hat?
Ohne Blüm gäbe es keine Pflegeversicherung in Deutschland. Ohne Blüm wäre der Sozialstaat schwächer. An diesem Mittwoch feiert "Nobbi" Blüm, streitlustig wie eh und je, seinen 75. Geburtstag.