Nobelpreisträger zur Jugendgewalt-Debatte:Günter Grass greift Koch an

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Nobelpreisträger Günter Grass hat mit scharfen Worten davor gewarnt, die Debatte um "Jugendkriminalität an der Ausländerfrage festzumachen." Roland Koch übernehme "die Sprache der NPD", sagte Grass auf einer SPD-Wahlkampfveranstaltung in Hamburg.

Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass hat in der Debatte über Jugend- und Ausländerkriminalität erneut Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) scharf angegriffen.

Nobelpreisträger Günter Grass (rechts) mit dem Hamburger SPD-Spitzenkandidaten Michael Naumann. (Foto: Foto: dpa)

Er warnte am Sonntag in Hamburg vor "Politikern in Verantwortung", die "die Sprache der NPD" übernähmen. "Das macht jetzt Roland Koch", sagte Grass auf einer Veranstaltung mit Hamburgs SPD-Spitzenkandidat Michael Naumann.

"Die Jugendkriminalität wird an der Ausländerfrage festgemacht. Das ist das Schändliche an der Diskussion", sagte Grass. Es werde eine latente, vermutete Ausländerfeindlichkeit benutzt, betonte der 80-Jährige, der Naumann für die Bürgerschaftswahl am 24. Februar unterstützt.

"Deutschland guckt auf Hamburg, ob der Wechsel klappt und ob es gelingen kann, in dieser reichen Stadt die Gerechtigkeitslücke, die es gibt, zu schließen", sagte der Literatur-Nobelpreisträger.

Grass hat sich trotz einer kritischen Haltung zur SPD in der Vergangenheit immer wieder als Wahlkampfhelfer für die Partei engagiert, unter anderem für die Ex-Bundeskanzler Willy Brandt und Gerhard Schröder.

Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hat seine Forderungen nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts noch einmal aufgestockt. Laut Bild am Sonntag fordert er die Anwendung des Strafrechts auch für unter 14-Jährige - im Rechtssinn Kinder und daher schuldunfähig.

"Wir wollen keine Schnellschüsse, aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es eine sehr aggressive Kriminalität einer sehr kleinen Gruppe von Menschen unter 14 Jahren gibt", sagte Koch der Zeitung. Oft würden sie auch von Erwachsenen benutzt, die die Strafunmündigkeit der Täter ausnutzen wollten.

Koch sagte, in Ausnahmefällen könnten Elemente des Jugendstrafrechts für diese Zielgruppe eingesetzt werden. Eine weitere Antwort sei die striktere Entziehung des Sorgerechts durch die Jugendbehörden.

Zugleich kritisierte Koch die Justiz. "Ich bin gelegentlich sehr verwundert über unsere Jugendrichter, die ja eigentlich die Instrumente der Härte zu verwalten haben", sagte er.

Die Richter gingen mit dem Instrument der Strafe wenig selbstbewusst um. "Auch bei 20-Jährigen, die ansonsten ja auch wie Erwachsene behandelt werden wollen, wenden sie Jugendstrafrecht an, um mildere Strafen verhängen zu können. Das ist ein falsches Signal", sagte Koch.

Der Präsident des Amtsgerichts München, Gerhard Zierl, wies Kritik an der Justiz zurück. Es könne nicht angehen, dass Jugendrichter von Politikern als "entrückt" oder "Alt-68er, denen das Opfer egal ist", diffamiert würden, sagte Zierl dem Nachrichtenmagazin Focus.

Forderungen nach Gesetzesänderungen seien im Prinzip völlig in Ordnung. Auch er befürworte eine Anhebung der Höchststrafe und die Einführung eines "Warnschussarrestes". "Mich erschreckt und empört die Form, in der das Ganze vorgebracht wird. Die Grenzen sind überschritten", sagte der Amtsgerichtspräsident.

Die pauschale Schelte aus der Politik sei auch der Grund, dass seine Jugendrichter mittlerweile täglich Droh- und Schmähbriefe erhielten, sagte Zierl. Inzwischen hätten Schutzmaßnahmen für die Richterin angeordnet werden müssen, die in den vergangenen Jahren für Serkan A. zuständig war, einen der beiden Verdächtigen die Mitte Dezember in der Münchner U-Bahn einen Rentner zusammengeschlagen haben sollen. Die Kritik an der Richterin sei jedoch unangebracht.

Serkan A. sei in sechs Fällen für alle Taten verurteilt worden, für die er angeklagt war, und er habe auch sechs Monate in Haft gesessen. "Von übertriebener Milde kann keine Rede sein. Dass der junge Mann eines Tages eine derart schwere Straftat begehen würde, war für niemanden vorhersehbar", sagte Zierl.

Erneute Kritik an Roland Koch kam auch von Hessens SPD-Chefin Andrea Ypsilanti. Sie warf Koch vor, die Gesellschaft spalten zu wollen. "Koch tut das, was er immer tut, wenn er mit dem Rücken zur Wand steht: Er macht Ängste, er spaltet und er diffamiert", sagte Ypsilanti. Die Betonung deutscher Werte sei "peinlich".

"Roland Koch nimmt billigend in Kauf, dass es zur Spaltung der Gesellschaft kommt." Er habe die Landespolitik "sozial abrasiert" und mehr als 1000 Stellen bei der Polizei gestrichen.

Auch Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier (SPD) betonte dies: "Parolen helfen nicht, Polizisten helfen." Koch beschädige sich selbst: "Wer breitbeinig die Hand am Revolver trägt, ist unseriös", sagte der Vizekanzler. Steinmeier warf Koch vor, einen verantwortungslosen Wahlkampf zu führen.

"Er macht Wahlkampf mit Angst, statt die Sorgen der Leute ernst zu nehmen. Das, was er macht, ist gefährlich", sagte der Außenminister am Samstagabend auf einer SPD-Wahlkampfveranstaltung in Kassel.

Mit einem "Spiel mit der Angst" wolle Koch seine "miese Bilanz vertuschen". Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warf Steinmeier vor, "sich auf diese Linie einschwören zu lassen, vielleicht auch gegen ihre eigene Überzeugung".

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