Süddeutsche Zeitung

Friedensnobelpreis für Liu Xiaobo:"Ich habe keine Feinde"

Der Dissident Liu Xiaobo erhält den Friedensnobelpreis - Peking ist empört. Seit langem setzt sich der inhaftierte Intellektuelle für mehr Demokratie in China ein. Das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens veränderte sein Denken.

Barbara Vorsamer

Nachdem das Komitee im vergangenen Jahr mit der Auszeichnung von Barack Obama - einem Präsidenten, der zwei Kriege führt - viel Kopfschütteln ausgelöst hat, geht der Nobelpreis in diesem Jahr wieder an einen Friedensaktivisten im Wortsinne. Der inhaftierte chinesische Dissident Liu Xiaobo galt bereits im Vorfeld als Favorit für den Preis.

Komitee-Chef Thorbjørn Jagland hatte, unüblich für das ansonsten hoch geheimnisvolle Verfahren, die Spekulationen angeheizt. "Wir wollen den Preis an jemanden geben, der gekämpft hat, ein Risiko eingegangen ist. Der aktiv ist und Friedensarbeit nicht hinter einem Schreibtisch betrieben hat", sagte er wenige Tage vor der Verleihung einer norwegischen Tageszeitung.

Die Süddeutsche Zeitung nannte ihn "Chinas bekanntesten Demokraten" als Liu vor fast zwei Jahren zum wiederholten Mal verhaftet wurde. Die chinesische Polizei begründete die Gefangennahme mit "Aktivitäten der Agitation" und umstürzlerischen Umtrieben. Liu hatte 2008 im Vorfeld der Olympischen Spiele in China die Internet-Petition "Charta 08" mitverfasst, in der er eine neue Verfassung und demokratische Reformen fordert. Mehr als 300 Erstunterzeichner unterstützten seinen Ruf nach mehr Meinungsfreiheit, unabhängigen Gerichten und einem Ende des "Umsturzparagraphen", der als Begründung für Verfolgung und Verhaftung von Dissidenten genutzt wird. Auch Lius Verhaftung basierte auf dem umstrittenen Paragraphen.

Nach dem deutschen Journalisten Carl von Ossietzky, der sich im Konzentrationslager befand, als ihm der Friedensnobelpreis verliehen wurde, ist Liu der zweite inhaftierte Preisträger. Zahlreiche seiner Vorgänger haben sich für eine Ehrung Lius ausgesprochen, darunter Bischof Desmond Tutu, der Dalai Lama und der ehemalige Präsident der tschechischen Republik, Vaclav Havel. Dessen "Charta 77", die den Fall des Eisernen Vorhangs und den Zusammenbruch der Sowjetunion mitauslöste, war Vorbild für Lius "Charta 08".

Der 54-jährige Dissident setzt sich seit Jahrzehnten für mehr Demokratie und Menschenrechte in China ein, weswegen er einen großen Teil der vergangenen 20 Jahre in Haft, Hausarrest oder im Arbeitslager verbrachte. Schon 1989 unterstützte er die Studentenproteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens - für den Aktivisten Liu war es ein Wendepunkt.

Während der Intellektuelle davor als "einsames Rauhbein" beschrieben wurde, das es sich mit allen verdarb (Frankfurter Allgemeine Zeitung), wurde er danach zu einem Friedensaktivisten im Wortsinn, der Gewalt in jeder Hinsicht ablehnt. Liu war in letzter Minute vor den heranrückenden Panzern vom Platz des Himmlischen Friedens geflohen und hatte mehrere Studenten überredet, den Ort ebenfalls zu verlassen. So rettete er ihnen das Leben - und gelangte zur Überzeugung, dass der Wandel ohne Gewalt zu schaffen sein müsse.

Damit steht er in der Tradition der Gewaltlosigkeit wie sie auch der Dalai Lama, Martin Luther King und Mahatma Gandhi vertreten haben. In seinen Schriften wendet sich Liu gegen Hass und Feindschaft, da diese nur den Geist der Nation vergifteten und den Weg zur Demokratie blockierten. Obwohl so oft grundlos inhaftiert, schreibt er Sätze wie "Ich habe keine Feinde" und lobt Zellenwärter und Sicherheitsbehörden für ihre Arbeit.

Das ist nicht sarkastisch gemeint. Liu glaubt, dass eine Veränderung der chinesischen Gesellschaft nur friedlich möglich sei. Nach 1989 hat er sich programmatisch vom Begriff der Revolution abgewandt. Statt einem Sturz der Kommunistischen Partei arbeitet er auf deren Selbstdemokratisierung hin.

Sein immerwährendes Pochen auf Gewaltlosigkeit ist das Hauptargument für die Verleihung des Friedensnobelpreises an den Aktivisten. 300 chinesische Intellektuelle schrieben vor der Vergabe in einem öffentlichen Appell, wie sehr die Welt auf einen friedlichen Wandel in China angewiesen ist. "Wenn China in Gewalt versänke, würde die ganze Welt den Stoß spüren", zitiert die FAZ aus dem Schreiben.

Von dem kleinen, schmalen Mann mit der runden Brille und dem freundlichen Lächeln gibt es nur wenige Bilder. Zu oft war er inhaftiert, zu selten kamen Medien mit ihm in Kontakt. Eine Stimme in der internationalen Öffentlichkeit gibt ihm seine Frau Liu Xia. Die Künstlerin ließ im Vorfeld verkünden, sie glaube nicht, dass ihr Mann eine Chance auf die Auszeichnung habe - zu einflussreich sei die chinesische Regierung.

Ihr Mann hat von der Debatte im Vorfeld der Preisverleihung vermutlich nichts mitbekommen. Liu Xia darf ihn nur einmal im Monat besuchen und hat ihn das letzte Mal am 7. September gesehen. Da war die Nobelpreisdebatte noch kein Thema. Außerdem finden die Treffen unter Aufsicht statt und das Paar darf nur über familiäre Dinge reden, sagte Liu Xia der Zeitung Die Welt.

In dem Gespräch schilderte sie auch die Haftbedingungen des Dissidenten. Er teile seine Zelle mit mehreren Kriminellen, werde normal behandelt und dürfe jeden Tag eine Stunde ins Freie. Vom Arbeitsdienst sei er befreit, stattdessen dürfe er lesen und schreiben. Ein Termin für den nächsten Besuch - und wer Liu wann von der Nobelpreis-Ehrung erzählen kann - steht noch nicht fest.

Der Nobelpreiskomitee-Vorsitzende Jagland behauptete im Vorfeld, die Wahl werde "eindeutig" ähnlich umstritten sein wie die Vergabe des Friedensnobelpreises an Obama. Doch kontrovers ist die diesjährige Entscheidung höchstens in China. Das Land hatte bereits im Vorfeld Druck ausgeübt, um eine Verleihung des Preises an Liu zu verhindern und eine solche als "unfreundlichen Akt" bezeichnet. Auf die Vergabe reagierte die chinesiche Regierung nun empört. Mit der Auszeichnung an den "Kriminellen" Liu Xiaobo verstoße das Nobelpreiskomitee gegen seine eigenen Prinzipien, erklärte die Staatsführung in Peking.

Weltweit wird die Vergabe des Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo hingegen positiv aufgenommen. Die Bundesregierung würdigte den Dissidenten als "mutigen Mann" und wünschte sich erneut, dass er aus der Haft entlassen werde.

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