Süddeutsche Zeitung

Noam Schalit geht in die israelische Politik:Vom Vater zum Volksvertreter

Kaum ist der eine Kampf vorbei, beginnt ein neuer: Noam Schalit, Vater des einst von der Hamas entführten Soldaten Gilad Schalit, möchte ins israelische Parlament einziehen. Als sein Sohn verschleppt wurde, mobilisierte er die Öffentlichkeit, die Arbeitspartei erhofft sich viel von dem prominenten Mitglied - andere kritisieren seine Entscheidung heftig.

Peter Münch, Tel Aviv

Noam Schalit steht im Regen, als er sich oben im nasskalten Norden vor seinem Haus in Mitzpe Hilla wieder einmal den Reportern und den Fotografen stellt. An Medienrummel hat er sich gewöhnt in den mehr als fünf Jahren, in denen ganz Israel heftig Anteil genommen hatte am Schicksal seines im Gaza-Streifen eingekerkerten Sohnes Gilad. Doch neu ist nun, dass keiner mehr nach dem unlängst befreiten jungen Soldaten fragt, sondern nach dem Vater und einer Entscheidung, die kurz zuvor von der Arbeitspartei publik gemacht wurde. Denn Noam Schalit zieht es in die Politik: Für die Arbeitspartei will er bei der nächsten Wahl ins Parlament einziehen. Kaum ist der eine Kampf vorbei, beginnt auch schon ein neuer.

Als der junge Soldat Gilad Schalit im Juni 2006 von einem Entführungskommando in den Gaza-Streifen verschleppt wurde, da hatte der Vater all seine Kräfte mobilisiert und dann die israelische Öffentlichkeit. Er quittierte seinen Job als Ingenieur in einer Werkzeugfabrik, er traf Rabbis und Regierungschefs, reiste um die halbe Welt, organisierte Massenmärsche und ließ sich schließlich in einem Protestzelt genau gegenüber der Residenz des Premierministers in Jerusalem nieder, um eindrücklich auf das Schicksal seines Sohnes hinzuweisen.

Die Menschen bemitleideten und bewunderten ihn, er wurde zu einer Celebrity des Schmerzes und der Sorge - und als er nach fast 2000 Tagen endlich am Ziel war und seinen gegen mehr als tausend palästinensische Gefangene ausgetauschten Sohn wieder in die Arme schließen konnte, da hat es nur noch einen Wunsch gegeben: Ruhe und Normalität.

Die Arbeitspartei bemüht sich um den prominenten Neuzugang

Die Nation hat ihm das gegönnt, und selbst die sonst nicht zimperlichen israelischen Medien haben die Privatsphäre respektiert, in der die Familie sich wieder finden und Gilad Schalit sich erholen soll von den Torturen der Geiselhaft. Nun aber hat Noam Schalit nach wenigen Wochen die Ruhe selbst durchbrochen. Nach Jahren im grellen Licht der Scheinwerfer, die immer als notwendiges Übel erschienen waren, will er auch künftig in der Öffentlichkeit stehen und eine Karriere in der Politik versuchen. "Die israelische Gesellschaft hat sich für Gilad eingesetzt, nun will ich der Gesellschaft etwas zurückgeben", sagte er.

Die Arbeitspartei, die nach Jahren des Niedergangs im Parlament derzeit marginalisiert ist, erhofft sich einen kräftigen Auftrieb durch den prominenten Neuzugang. Intensiv hatte sich die neue Parteivorsitzende Shelly Yachimovich um Noam Schalit bemüht, und als sie am Dienstag gemeinsam mit ihm vor die Presse trat, da sagte sie stolz: "Er ist ein Mann der Arbeiterbewegung, er ist Fleisch von unserem Fleisch."

Tatsächlich ist Schalit schon 1996 in die Partei eingetreten, kurz nach dem Mord an Premierminister Jitzchak Rabin. "Die Arbeitspartei", so erklärte er nun, "ist sozialdemokratisch und eine Partei der Friedenssuche, und deshalb ist sie meine natürliche Heimat." Zum Einstieg ins Politikerleben bekannte er sich außerdem noch zum Rechtsstaat und zu einer Wirtschaftsordnung, die auch die Schwachen schützen müsse.

Familienintern war die Entscheidung für die politische Bühne offenbar nicht unumstritten. Seine Frau Aviva sei zunächst dagegen gewesen, bekannte Noam Schalit - und er versprach, seinen durch die Geiselhaft zum Volkshelden gewordenen Sohn Gilad nicht einzuspannen für seine Ambitionen. Der Kritik von mehreren Seiten konnte er dennoch nicht entkommen, und schon am Tag nach seinem raschen Rollenwechsel vom Vater zum Volksvertreter sieht sich Schalit im Mittelpunkt eines politischen Schlagabtauschs.

Wütend reagierte zum einen die Likud-Partei, die dem neuen Konkurrenten glatte Undankbarkeit vorwarf. Seine Kandidatur sei "ein Schlag ins Gesicht von Premierminister Benjamin Netanjahu", der mit dem Gefangenenaustausch schließlich einen hohen Preis für die Freilassung von Gilad Schalit gezahlt habe, klagte der Abgeordnete Ajoub Kara. Enttäuscht äußern sich in den Medien aber auch einige Aktivisten der Schalit-Kampagne. Von einem verfrühten, unangemessenen oder gar zynischen Schritt ist da die Rede.

Noam Schalit reagiert darauf schon wie ein alter Polit-Profi. "Der Wähler", sagt er, "kann entscheiden, ob das, was ich tue, richtig ist."

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SZ vom 11.01.2012/fran
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