In der No-Spy-Affäre gibt es neue Details, die den Verdacht begründen, dass die Bundesregierung die Öffentlichkeit in die Irre geführt hat. Aus Dokumenten, die dem NDR und der Süddeutschen Zeitung vorliegen, geht hervor, dass die Bundesregierung auch im Januar 2014 den Stand der Gespräche über ein bilaterales Anti-Spionage-Abkommen mit den USA offenbar aus taktischen Gründen öffentlich falsch dargestellt hat.
Bislang wurde dem vorherigen Chef des Bundeskanzleramtes, Ronald Pofalla, vorgeworfen, im August 2013 zu Wahlkampfzeiten die Aussichten auf ein solches Abkommen übertrieben dargestellt zu haben.
Nach der Wahl ging es, ohne Pofalla und mit dem neuen Chef des Bundeskanzleramtes, Peter Altmaier (CDU), offenbar so weiter. Die Probleme waren die alten: Dem Kanzleramt war im Januar 2014 offensichtlich klar, dass das Weiße Haus auf absehbare Zeit nicht zu einem No-Spy-Abkommen bereit sein würde. Aus taktischen Gründen sollte die Lage anders dargestellt werden.
Widerspruch zur Bewertung des Kanzleramts
Das geht aus einem an den Chef des Bundeskanzleramtes und an Kanzlerin Angela Merkel gerichteten Geheimvermerk aus den Abteilungen Außen- und Sicherheitspolitik sowie Koordinierung der Nachrichtendienste im Bundeskanzleramt hervor. Die Abteilungen verfassten den Vermerk am 14. Januar 2014.
Hintergrund waren am Tag zuvor veröffentlichte Recherchen unter anderem von NDR und SZ. Die Linken hatten direkt nach den ersten Meldungen eine aktuelle Stunde beantragt, auch in der Bundespressekonferenz waren kritische Nachfragen zu erwarten.
Deshalb erscheine es "nicht angebracht, bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt vom Ende der Verhandlungen zu sprechen. Vielmehr sollte auf die laufenden Gespräche verwiesen werden, die bereits jetzt zu einem besseren Verständnis der gegenseitigen Erfordernisse und Befürchtungen geführt haben", schreiben die Mitarbeiter der beiden Abteilungen in der Empfehlung für eine Kommunikationsstrategie weiter.
Diese Kommunikationsstrategie steht allerdings im Widerspruch zu der Bewertung der Lage durch das Kanzleramt selbst. Im selben Geheim-Vermerk kommen die Autoren zu dem Schluss, dass die USA "auf absehbare Zeit nicht bereit sein werden, eine Vereinbarung, die diese für uns essenziellen Punkte beinhalten würde, abzuschließen."
Das habe die Sicherheitsberaterin von US-Präsident Barack Obama, Susan Rice, zuletzt am 11. Januar in einem Gespräch mit dem außenpolitischen Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Christoph Heusgen, bestätigt.
Bermerkenswertes Eingeständnis
In der Vorlage für die Kanzlerin findet sich noch das bemerkenswerte Eingeständnis, dass die Zusage auf ein No-Spy-Abkommen "auf politischer Ebene nie wiederholt" worden sei.
Am 15. Januar sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz: "Der Stand der Dinge ist im Moment, dass die Verhandlungen andauern und dass mit Hochdruck daran gearbeitet wird, dass man zu einer Einigung kommt."
Ähnlich äußerten sich an diesem Tag der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Günter Krings, und kurz darauf auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (beide CDU). Hintergrund dieser Kommunikationsstrategie war offenbar das im Mai 2014 bevorstehende Treffen Merkel mit Obama in Washington.
Aus dem Geheim-Vermerk geht ebenfalls hervor, dass die deutsche Seite "trotz der negativen Äußerung der US-Seite am Abschluss einer politischen Erklärung" festhalten wollte - in der Hoffnung, in Rahmen des Besuches eine gemeinsam politische Erklärung abschließen zu können.
Dazu kam es allerdings nicht. Vielmehr beerdigte Obama dort bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Merkel das No-Spy-Abkommen. Auf eine Anfrage von SZ und NDR zu den Vorgängen im Januar 2014 teilte ein Regierungssprecher mit, die Bundesregierung äußere sich nicht öffentlich zu vertraulichen internen Vorgängen und nehme dazu nur in den zuständigen parlamentarischen Gremien Stellung.