Nizza:Der Albtraum

Am französischen Nationalfeiertag überfährt ein Attentäter auf der Strandpromenade der französischen Küstenstadt wahllos Menschen. Mindestens 84 sterben, auch Deutsche. Der IS beansprucht die Tat für sich.

Von Annette Zoch

Der Terror hat Frankreich erneut getroffen - an einem symbolträchtigen Tag und an einem besonderen Ort. Am Abend des französischen Nationalfeiertags ist ein Attentäter in einem Lastwagen im südfranzösischen Nizza über die Promenade des Anglais gerast und hat auf einer Strecke von zwei Kilometern mindestens 84 Menschen totgefahren. 200 Menschen wurden verletzt, etwa 50 von ihnen schweben noch in Lebensgefahr.

Laut dem IS-nahen Nachrichtendienst und Sprachrohr Amaq beansprucht der sogenannte Islamische Staat (IS) die Urheberschaft des Anschlags. Der Täter sei "ein Soldat des Islamischen Staats" gewesen und habe auf Aufrufe der Terrororganisation reagiert. Die Echtheit der Erklärung ließ sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Am Samstagmorgen wurden offenbar drei Männer in Nizza festgenommen, die nach Angaben aus Justizkreisen aus dem engen Umfeld des Täters stammen sollen. Fest steht, dass es sich bei dem Attentäter um Mohamed Lahouaiej-Bouhlel handelt, geboren am 31. Januar 1985 in Msaken in Tunesien. Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve verneinte im Fernsehsender TF1 die Frage, ob man Mohamed Lahouaiej-Bouhlel bereits Verbindungen zum radikalen Islam nachweisen könne. "Wir haben hier ein Individuum, das den Geheimdiensten nicht für Aktivitäten in Verbindung mit dem radikalen Islamismus bekannt war", sagte Cazeneuve. Der französische Staatsanwalt François Molins hatte gesagt, das Vorgehen entspreche den Mordaufrufen islamistischer Terrorgruppen.

Die Strandpromenade von Nizza ist eine der bekanntesten Flaniermeilen der Welt, sie verläuft etwa fünf Kilometer entlang der Baie des Anges, der Bucht der Engel, und ist gesäumt von zahlreichen Stränden, Restaurants und eleganten Hotels. Erst vier Tage zuvor war im Stade de France in der Hauptstadt Paris die Fußball-Europameisterschaft zu Ende gegangen - ohne den befürchteten Terroranschlag. Die Erleichterung darüber ist nun dem Entsetzen gewichen: Frankreich ist zum dritten Mal in 18 Monaten zum Schauplatz eines tödlichen Attentats geworden.

Teile der Promenade des Anglais waren für die Feiern des 14. Juli für den Autoverkehr gesperrt worden. Etwa 30 000 Menschen wollten dort am Abend das große Feuerwerk ansehen. Es ist schon fast zu Ende, als plötzlich ein weißer 19-Tonner auf Höhe des Kinderkrankenhauses von einer Seitenstraße auf die Promenade des Anglais einbiegt. Wie französische Medien berichten, rast der Fahrer mit etwa 80 Kilometern pro Stunde die Straße entlang und überfährt gezielt Menschengruppen. Offenbar weicht er einer Straßensperre einfach über den Gehweg aus. Schon nach wenigen Minuten versucht die Polizei, den Fahrer mit Schüssen zu stoppen. Auch ein Motorradfahrer soll versucht haben, ihn aufzuhalten. Der Mann am Steuer schießt mehrmals auf Polizisten, gibt erneut Gas und steuert in eine Menschenmenge.

Die meisten Opfer, zwischen 20 und 30, sterben zwischen dem Royal Hotel und dem Casino du Palais de la Méditerranée. Zeugen erzählen, dass der Fahrer im Zickzack fuhr, um möglichst viele Menschen zu überfahren. Wie Nice Matin und Le Figaro berichten, soll ein Passant noch versucht haben, die Fahrerkabine zu erklimmen. Auf Höhe des Palais Méditerranée schließlich erschießt die Polizei den Täter. In der Fahrerkabine zählen die Ermittler mehr als 50 Einschusslöcher.

Den weißen Kühllaster hatte der Täter zwei Tage zuvor in Saint-Laurent-de-Var angemietet. Im Fahrzeug fand die Polizei seine Papiere, ein Mobiltelefon und eine Kreditkarte. Außerdem eine nicht funktionierende Handgranate und Waffenattrappen. Am Freitagmorgen durchsuchten die Spezialeinheit Raid die Wohnung des Attentäters. Seine Ex-Ehefrau wurde in Gewahrsam genommen.

Unter den Todesopfern sind viele Ausländer, darunter Amerikaner, Armenier, Schweizer, Russen - und auch drei Deutsche. Das Berliner Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf teilte mit, dass eine Lehrerin und zwei Schülerinnen einer 12. Klasse umgekommen seien. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagte: "Wir müssen leider auch davon ausgehen, dass Berliner unter den Opfern sind." Insgesamt waren 28 Schüler der Gesamtschule auf Abiturfahrt in Nizza. Acht weitere Berliner Schulen gaben für ihre Klassen Entwarnung, ebenso ein Gymnasium in München und eines in Garmisch-Partenkirchen.

Präsident François Hollande kündigte an, der seit den Pariser Anschlägen vom November geltende Ausnahmezustand solle um drei weitere Monate verlängert werden. Nur Stunden vor dem Attentat hatte er gesagt, den Ausnahmezustand zum 26. Juli beenden zu wollen. Kanzlerin Angela Merkel kondolierte Hollande: "Unsere Anteilnahme kann den Verlust so vieler Menschenleben nie aufheben. Und doch ist die Solidarität in solchen Stunden das Wertvollste, was wir haben: die Solidarität über Grenzen hinweg all derjenigen, die an die Freiheit und die Mitmenschlichkeit glauben und die sich dem blinden Fanatismus entgegenstellen, der uns beides nehmen will."

In Deutschland verstärkte die Bundespolizei ihre Kontrollen an Flughäfen und Bahnhöfen. Auch an der deutsch-französischen Grenze soll stärker kontrolliert werden, Italien und Belgien kündigten ähnliche Maßnahmen an. Brasilien will die Sicherheit für die Olympischen Spiele nochmals erhöhen. Die 13. Etappe der Tour de France in der Region Ardèche startete am Freitag mit einer Schweigeminute. "Wir wollen nicht dem Druck der Menschen nachgeben, die unsere Lebensweise ändern sollen", sagte Tour-Chef Christian Prudhomme. Die Sicherheitsvorkehrungen für die Tour wurden allerdings weiter verschärft. Auch in Nizza hatte es erst Anfang März eine große Sicherheitsübung gegeben - um gegen Terroranschläge während der EM gewappnet zu sein.

Nice Bastille Day celebrations terror truck attack aftermath

Nizzas Flaniermeile wird zum Boulevard der Tränen: Auf der Promenade des Anglais gedenken am Freitag viele derer, die dort umkamen.

(Foto: Ian Langsdon/dpa)
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