Süddeutsche Zeitung

Nikolai Andruschtschenko:Putin-Kritiker Andruschtschenko stirbt nach Prügelattacke

  • Mitte März hatten Unbekannte den russischen Journalisten Nikolai Andruschtschenko verprügelt. Nun ist er seinen Verletzungen erlegen.
  • Andruschtschenko hatte wiederholt über Korruption berichtet sowie zu Protesten aufgerufen.
  • Er gilt als eine der größten Putin-Kritiker.

Von Antonie Rietzschel

Nikolai Andruschtschenkos Gang in die Politik war Zufall. Ein Filmregisseur hatte ihn Anfang der Neunzigerjahre überredet, zur Wahl des Regionalparlaments von Sankt Petersburg anzutreten. Er selbst habe damals keine Ambitionen gehabt, sagte er in einem Interview. Doch nach dem Ende der Sowjetunion war das Land im Umbruch, neue Möglichkeiten taten sich auf. Und so wurde aus dem Physiker und Geschäftsmann ein Abgeordneter.

Aus der zufälligen Entscheidung erwuchs eine Lebensaufgabe: Andruschtschenko wollte die Missstände offenlegen, vor allem die Korruption im Land. Als Journalist schrieb er für die Zeitung Nowy Petersburg und wurde früh zu einem der bekanntesten Kritiker des heutigen Präsidenten Wladimir Putin. Nun ist Andruschtschenko im Alter von 73 Jahren unter ungeklärten Umständen verstorben - so wie vor ihm schon die Journalistin Anna Politkowskaja und der Oppositionspolitiker Boris Nemzow.

Vor sechs Wochen war Andruschtschenko auf dem Weg zu einem Geschäftstermin von Unbekannten zusammengeschlagen worden. Er kam mit schweren Kopfverletzungen ins Krankenhaus, wo die Ärzte ihn nach einer Operation ins künstliche Koma versetzten. Er wachte nie wieder auf, jetzt ist er gestorben. Die Täter sind bis heute nicht gefasst. "Es ist unwahrscheinlich, dass die Polizei bei den Ermittlungen große Fortschritte machen wird. Andruschtschenko hat Polizeiwillkür immer wieder thematisiert und ist deswegen nicht sehr beliebt", sagte vor einigen Wochen die Chefredakteurin von Nowy Petersburg im Gespräch mit Offenes Russland.

Bericht über angebliche Verbindungen zur russischen Mafia

Andruschtschenkos Kollegen sind davon überzeugt, dass die Attacke mit seiner Arbeit zu tun hatte. Der Journalist hatte in der Vergangenheit immer wieder Ärger mit den Behörden. 2007 wurde er festgenommen, nachdem er zur Teilnahme an einem Protestmarsch aufgerufen hatte und selbst vor Ort war. Der Vorwurf lautete Verleumdung und Einflussnahme auf die Justiz. Offenbar nur ein Vorwand.

"Ich wurde von denselben korrupten Verrätern eingesperrt, die in der Zeitung Nowy Petersburg bloßgestellt wurden", schrieb er damals in einem offenen Brief. Darin beschrieb er auch die Prügelattacken in Haft, die schweren Verletzungen, die er erlitt. Es ist ein Dokument der Wut, auch auf den russischen Staat, dem Andruschtschenko Passivität vorwarf. Im Frühjahr 2008 kam er schließlich frei, alle Vorwürfe wurden fallengelassen.

Vor dem Tod von Nikolai Andruschtschenko hatte Nowy Petersburg über das Scheitern der russischen Regierung im Kampf gegen Korruption berichtet. Außerdem veröffentlichte die Zeitung einen Text über angebliche Verbindungen der Mafia zur Regierung von Sankt Petersburg in den Neunzigerjahren. Damals war Wladimir Putin zunächst zum Vizebürgermeister und schließlich zum ersten Bürgermeister der Stadt aufgestiegen. In der Vergangenheit gab es immer wieder Gerüchte über Korruptionsfälle, in die der heutige russische Präsident verwickelt gewesen sein soll.

Begegnung mit Putin

Andruschtschenko machte 2015 entsprechende Andeutungen. In einem Interview berichtete er von einem Gespräch mit Putin im Jahr 1991. Andruschtschenko war damals ein offener Unterstützer des Augustputsches gewesen, bei dem reaktionäre Kräfte versuchten, Michail Gorbatschows geplanten Umbau der Sowjetunion zu verhindern und damit auch eine wirtschaftliche Reform des Landes. Nach dem Putschversuch musste Gorbatschow zwar zurücktreten - doch das Ende der Sowjetunion war bereits besiegelt.

Andruschtschenkos Erzählung zufolge traf er wenige Wochen nach dem Putschversuch Wladimir Putin auf dem Flur des Verwaltungsgebäudes in Sankt Petersburg. Sie seien allein gewesen, schrieb Andruschtschenko. Das habe Putin bewogen offen zu sprechen. "Was hast du dir dabei gedacht? Du hättest im Gefängnis landen können", zitierte der Journalist Putin. Und weiter: "Jetzt ist es an der Zeit, Geld zu machen, für das Land und die Menschen."

Andruschtschenko vermutete, dass Putin sich damals persönlich bereicherte. Über das Vermögen des russischen Präsidenten ist bis heute wenig bekannt. Unter russischen Journalisten ist es ein Tabuthema. 2012 veröffentlichte der Oppositionspolitiker Boris Nemzow ein Dossier über die Besitztümer des Präsidenten. Anfang 2015 war Nemzow tot: Unbekannte erschossen ihn mitten in Moskau.

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