Nigeria:Massenproteste gegen Hunger und explodierende Preise

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Aufstand gegen die „reichen Unterdrücker“: Protestierende in Nigerias Hauptstadt Abuja am Donnerstag. (Foto: Seun Sanni/Reuters)

Kritiker der Regierung Tinubu haben im bevölkerungsreichsten Staat Afrikas zu „Tagen der Wut“ aufgerufen. Tausende zogen durch die Straßen, weil sie sich das Leben kaum noch leisten können.

Von Arne Perras

Um satt zu werden, essen die Nigerianer gerne Fufu. Das ist ein fester Brei aus Kochbananen oder Yamsmehl, den sie als nahrhafte Beilage etwa zum Hühnereintopf verzehren. Aber schon eine einzige Yamswurzel auf dem Markt zu kaufen, wird für Millionen Menschen im bevölkerungsreichsten Staat von Afrika zunehmend zum Problem.

Händler türmen ihre Yamswurzeln manchmal zu beeindruckend hohen Türmen auf. Wie die Zeitung Business Day Ende Juli berichtete, kostet eine große Knolle, die für eine fünfköpfige Familie reiche, 10 000 Naira, umgerechnet etwas mehr als fünf Euro. Im Vorjahr lag der Preis noch bei 3000 Naira. Das können viele nicht mehr aufbringen, weshalb die Verkäufer an ihren Ständen begonnen haben, die Wurzeln für ihre Kunden in Hälften oder noch kleinere Stückchen zu schneiden.

Die steigenden Kosten schüren Unruhe, Verzweiflung und Wut; viele Menschen sind hungrig, und so ist es kein Wunder, dass sie sich nun sammeln auf den Straßen, dass sie protestieren gegen eine Inflation, die inzwischen mehr als 34 Prozent erreicht hat. Bei Lebensmitteln liegt sie sogar noch deutlich höher, wie Daten des nationalen Statistikbüros in Nigeria zeigen. Im Juni hat sie fast 41 Prozent erreicht, den höchsten Wert seit nahezu drei Jahrzehnten.

Den Mindestlohn hat die Regierung erhöht, Subventionen für Treibstoff gestrichen

Zehn Tage der Wut haben die Kritiker der nigerianischen Regierung ab dem 1. August ausgerufen. Die ausufernde ökonomische Krise mündet nun in Massenproteste. Schon am Donnerstagvormittag sammelten sich Tausende Demonstranten in verschiedenen Städten Nigerias, wie Medien des Landes berichteten; überschaubar war das genaue Ausmaß der Proteste zunächst nicht. In der Stadt Kano feuerte die Polizei nach ersten Berichten auch mit scharfer Munition, um gegen Demonstranten vorzugehen, in sozialen Medien verbreiteten sich Videos von Menschen, die Reifen in Brand setzten und einen Industriepark plünderten. Im Bundesstaat Kaduna wurden drei Jugendliche getötet, wie Reuters berichtete, die genauen Umstände blieben zunächst unklar. In der Hauptstadt Abuja riegelte das Militär Zufahrten zu Regierungsgebäuden ab, in der Metropole Lagos marschierten gut gerüstete Einsatzpolizisten auf.

Schon bald gab es erste Berichte über hitzige Konfrontationen. Am Eagles Square in Abuja setzten die Truppen Pfefferspray und Tränengas ein, um die Menge zu zerstreuen, wie die Zeitung Punch berichtete. Eine Frau aber versuchte, wiederum die Polizei zu stoppen, indem sie einfach ihr Baby in die Luft hielt, auf dass die Polizei es ja nicht wagen sollte, auf Kinder zu schießen. Der Reporter konnte im Gemenge nicht mehr sehen, ob die Mutter schließlich verhaftet wurde oder sich zurückziehen konnte.

Nigeria ist mit 229 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Nahezu jeder Zweite lebt in Armut. Die Vereinten Nationen rechnen damit, dass die Zahl der Einwohner bis Mitte des Jahrhunderts auf 400 Millionen wachsen wird. Als Ursache für die explodierenden Preise von Lebensmitteln werden mehrere Faktoren diskutiert: gestiegene Treibstoff- und Transportkosten, gewaltsame Konflikte, die es Farmern erschweren, auf ihren Feldern zu arbeiten. Effekte des Klimawandels. Und auch die Entscheidung, die Landeswährung nicht mehr an den US-Dollar zu koppeln. Dadurch erhoffte sich die Regierung eigentlich einen Schub an Investitionen, doch der Kurs des Naira stürzte drastisch ab.

Kritiker der Regierung fordern, gestrichene Subventionen wieder einzuführen

Die Regierung versucht, das Leiden der Massen abzumildern. So hat sie den Mindestlohn mehr als verdoppelt, von 30 000 Naira auf 70 000 Naira im Monat, knapp 40 Euro. Gleichwohl machen viele die Politik des im Frühjahr 2023 gewählten Präsidenten Bola Tinubu für die Krise verantwortlich und fordern, dass vom Staat gestrichene Subventionen für Treibstoff nun wieder eingeführt werden müssten.

Beflügelt fühlen sich Protestgruppen auch durch den Blick auf die Ostseite des Kontinents, nach Kenia. Dort setzten Proteste den Präsidenten William Ruto unter Druck, der Steuererhöhungen durchsetzen wollte. Diese Pläne hat Ruto schließlich angesichts des massiven Widerstands verworfen. Doch das Land zahlte dafür einen hohen Preis: Etwa 50 Menschen starben bei den Protesten, wofür die Kenianerinnen und Kenianer vor allem den Staat verantwortlich machen, dessen Einsatzkräfte teils scharf auf Menschen geschossen haben sollen. Auch sind einige Demonstranten verschwunden, was den Verdacht nährt, dass staatliche Agenten die Kritiker entführt haben könnten.

Der Staatschef erklärte, er habe nichts gegen Proteste – solange sie friedlich blieben. „Wir wollen Nigeria nicht in den Sudan verwandeln“, zitierte die Zeitung Business Day den Staatschef vergangene Woche, was manche weniger als umsichtige Warnung, sondern schon als Drohung verstanden. Die Armee sendete ebenfalls abschreckende Signale. Sie ließ keinen Zweifel daran, dass sie intervenieren werde, damit die Lage nicht außer Kontrolle gerate – so zitierte die Nachrichtenagentur Reuters einen Sprecher in Abuja Ende Juli. Bei manchen Nigerianern ruft dies schlimme Erinnerungen wach. Zuletzt griffen Soldaten 2020 bei Protesten in Lagos ein. Der Einsatz endete in einem Blutbad.

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