Süddeutsche Zeitung

Shell:Sumpf im nigerianischen Öldelta

20 Jahre nach der Hinrichtung von Umweltaktivist Ken Saro-Wiwa ist das Nigerdelta immer noch durch Öl verseucht. Dabei hatte Shell zuletzt versprochen, die Schäden zu beseitigen.

Von Isabel Pfaff

Das Nigerdelta ist einer der größten Sümpfe der Welt, ein riesiges Mangroven-Gebiet mit Hunderten Tier- und Pflanzenarten. Eigentlich ein bizarr schöner Fleck Erde. Doch in den Fünfzigerjahren wurde im äußersten Süden Nigerias Öl entdeckt.

Der Ressourcenreichtum hat aus dem Land Afrikas größte Volkswirtschaft gemacht. Für die Natur und die Menschen, die im Delta leben und sich eigentlich von Landwirtschaft und Fischfang ernähren, ist der Segen jedoch längst zum Fluch geworden.

Der nigerianische Aktivist Ken Saro-Wiwa hat gegen diesen Fluch gekämpft: gegen die massiven Umweltschäden, die die Ölförderung in der Region anrichtet, gegen die ungleiche Verteilung der Öleinnahmen, und für die Rechte seines Volkes, der Ogoni.

Er störte damit nicht nur die internationalen Ölkonzerne, die seit den Siebzigerjahren nach den Vorkommen unter den Mangroven bohren. Er störte vor allem Nigerias Militärdiktator Sani Abacha, der an den staatlichen Joint Ventures mit Shell, Total und Agip Millionen verdiente, die er nicht mit der Bevölkerung teilen wollte.

Vor 20 Jahren, am 10. November 1995, wurde Ken Saro-Wiwa mit acht Mitstreitern hingerichtet. Der Schauprozess, den Abacha mit den Aktivisten veranstaltete, führte zur internationalen Isolation Nigerias; der Tod des Bürgerrechtlers und Schriftstellers machte den Staat vollends zum Paria.

Marode Ölleitungen, zahlreiche Lecks

Inzwischen ist Nigeria keine Diktatur mehr, die Welt kooperiert wieder mit dem westafrikanischen Riesen. Doch die Katastrophe im Nigerdelta dauert an: marode Ölleitungen, zahllose Lecks, Bewohner, die aufgrund der Umweltbelastung im Schnitt nicht viel älter als 40 werden, arbeitslose Jugendliche, die die Leitungen anbohren und das selbstgekochte Benzin auf dem Schwarzmarkt verticken.

Und immer wieder fällt in dieser Tragödie derselbe Name: Shell. Saro-Wiwa hatte das niederländisch-britische Unternehmen ins Zentrum seiner Anklage gerückt, es ist der größte in Nigeria tätige Ölkonzern.

Die Aktivisten um Saro-Wiwa hatten Gewinnanteile für die Bevölkerung und Schadenersatz für die Umweltzerstörungen der vergangenen Jahrzehnte gefordert - oder den Rückzug Shells aus dem Ogoni-Gebiet, zu dem es schließlich 1993 kam. Der Konzern machte im restlichen Delta weiter mit seiner Förderung, bis heute.

Obwohl Shell immer wieder beteuerte, nichts mit der Hinrichtung der neun Aktivisten zu tun zu haben, lastet ihr Tod auf dem Ruf des Konzerns - auch deshalb, weil Shell immer wieder mit Ölkatastrophen im Nigerdelta in die Schlagzeilen gerät. Allein seit 2007 soll es nach Angaben des Unternehmens zu knapp 1700 Pannen bei der Ölförderung gekommen sein - Kritiker vermuten eine sehr viel höhere Zahl.

Amnesty beklagt andauernde Verseuchungen

Zwar versucht sich der Konzern in Schadensbegrenzung: 2009 erhielten die Hinterbliebenen von Ken Saro-Wiwa eine Millionensumme (eine Mitschuld am Tod des Aktivisten bestritt Shell aber weiter). Anfang dieses Jahres entschädigte Shell außerdem mehr als 15 000 Fischer, die von Pipeline-Unfällen betroffen sind, und versprach die Säuberung der Gebiete.

Doch solchen Versprechen ist offenbar nicht zu trauen, wie ein Bericht von Amnesty International nahelegt, der vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde: Demnach sind mehrere Gebiete im Delta weiter stark verseucht - obwohl Shell versichert hatte, sie gesäubert zu haben.

Amnesty zufolge sind die Schäden nicht auf neue Lecks, sondern auf die mangelhafte Sanierung nach vergangenen Pannen zurückzuführen. Der Konzern, so Amnesty, weise die Rechercheergebnisse zurück. An Aktualität hat Saro-Wiwas Anliegen auch 20 Jahre nach seinem Tod nichts verloren.

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Quelle:
SZ vom 10.11.2015/gal
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